Putins Kulturnetzwerk: Es reicht nicht, mit dem Finger auf Russland zu zeigen

Kommentar In Deutschland hat der Ukraine-Krieg einen Kulturkampf ausgelöst. Stimmt es, dass Künstler:innen aus Russland hierzulande einer „Gewissensprüfung“ unterzogen werden?
Ausgabe 10/2022
Anna Netrebko als Prinzessin Turandot in Moskau
Anna Netrebko als Prinzessin Turandot in Moskau

Foto: IMAGO/Itar-Tass

Krieg ist immer auch: Kulturkampf. Und der tobt derzeit auch in Deutschland. Sopran-Star Anna Netrebko wurde an vielen Opernhäusern ausgeladen (sie hatte Geld an die Donbass-Regionen überwiesen, sich mit Separatistenführern gezeigt und nun erklärt, sie sei doch „nur eine Künstlerin“ und „habe keine Ahnung von Politik“). München hat den Chef der Philharmoniker, Valery Gergiev, vor die Tür gesetzt (er hatte Putin von den ersten Anti-Schwulen-Gesetzen über die Annexion der Krim bis zur Freundschaft mit Assad unterstützt). Nach seinem Rauswurf dirigierte er erst einmal den Triumphmarsch Das große Tor von Kiew aus Mussorgskis Bilder einer Ausstellung in Russland. Was für ein Affront!

Derzeit ist viel davon zu lesen, dass Künstler:innen aus Russland einer „Gewissensprüfung“ unterzogen würden. Für Deutschland gilt das zum Glück nicht. Es geht lediglich darum, dass Künstler:innen, die Putin seit Langem nahestehen, kurz erklären, dass wir noch von einem gemeinsamen C-Dur sprechen – von Beethovens humanistischem C-Dur, das die Verfolgung von Minderheiten, einen Angriffskrieg auf selbstbestimmte Länder und das Morden von Zivilisten kategorisch ausschließt. Es geht nicht um eine „Cancel Culture“ für alles Russische! In Deutschland wurde bislang niemand auf Grund seiner Herkunft ausgeladen, kein Mussorgski oder Glinka von den Spielplänen genommen, im Gegenteil: Ensembles, in denen Russen und Ukrainer arbeiten, erleben die vereinende Größe der Musik.

Kultur aber ist für den Kreml seit Jahren ein oft unterschätzter Politfaktor. Beteiligt sind nicht nur Russen, sondern auch Deutsche. So wurde etwa Hajo Frey, ehemals Intendant des Theaters Bremen und des Bruckner-Hauses in Linz, hierauf Veranstalter des Dresdner Semperopernballs (nachdem er in Bremen Musical-Verluste hingelegt und in Linz für seine Russlandnähe unter Druck geraten war) von Putin und seinem Kultur-Freund, dem Cellisten Sergei Roldugin, als Intendant nach Sotschi geholt. Bei Roldugin wurden übrigens zwei Milliarden Dollar in Panama-Scheinfirmen gefunden. Hajo Frey organisiert seither sanften Kulturtourismus nach Sotschi, lädt Wirtschaftsführer der Österreichischen Handelskammer, Künstler:innen und Bundespolitiker in seine Wohlfühloase ans Schwarze Meer. Noch im Januar bejubelte Elisabeth Motschmann (CDU) auf Facebook den „Brückenbauer“ Frey.

Es sind diese Manager:innen und Künstler:innen, die nun hinterfragt werden. Und, ja: dabei reicht es nicht, mit dem Finger nach Russland zu zeigen. Putins Kulturnetzwerk funktioniert gerade durch Abhängigkeiten im Westen. Angefangen vom Intendanten der Münchner Philharmoniker, Paul Müller, der Gergievs Menschenverachtung stets als Privatsache schöngeredet hat, über den von Gazprom gesponserten Champions-League-Trailer, in dem Gergiev und der Pianist Denis Matsuev Tschaikowski malträtieren, bis zum griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis, der nicht nur Chef des SWR-Orchesters ist, sondern sich sein Ensemble Musicaeterna von der VTB-Bank finanzieren lässt, die zu über 60 Prozent dem russischen Staat gehört. Die Gastspiele des Orchesters werden, auch in westeuropäischen Musikmetropolen, gern von russischen Oligarchen finanziert.

Auch deshalb ist es wichtig, gerade in diesen Tagen, genau hinzuschauen: nach Moskau, aber auch nach Berlin, nach Salzburg und Baden-Baden.

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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