Die Bilder aus dem Berlin der Monate nach der Maueröffnung stimmen heute sentimentaler denn je. Nicht nur wegen der Freude auf den Straßen, sondern mehr noch aufgrund der Pathos-Momente. Da betrachtet man Politiker und Politikerinnen aller Couleur, wie sie sich so verdammt viel Mühe geben, mit der Geschichtsträchtigkeit des Augenblicks zurechtzukommen – und von heute aus sehen sie damit eigentlich alle mehr oder weniger lächerlich aus, mit ihren großen Worten, den symbolisch intendierten Gesten und den großartigen Plänen. Weil uns, aus unserer privilegierten Perspektive der satten 34 Jahre später, so offen vor Augen steht, wie viele davon gescheitert sind. Weshalb man auch, sobald man über die Sentimentalität hinweg ist, sich zu
zu ärgern beginnt.Diese Mischung aus Nostalgie und Ärger ist es, die Florian Opitz’ fünfteilige Miniserie Capital B – Wem gehört Berlin? (Arte- und ARD-Mediathek) weit über die Oktoberfeierlichkeiten hinaus so sehenswert macht. Opitz erzählt die Geschichte des wiedervereinigten Berlin mit konzentriertem Fokus auf den Bau- und Immobilienmarkt, mithin auf das Terrain, bei dem die Weichenstellungen von vor 30 Jahren in ihrer fatalen Wirkung heute erst so richtig spürbar werden. Ja, es gab damals schon Streit über die Bebauung des Potsdamer Platzes, über den Verkauf des kommunalen Wohnungsbestands oder die Zukunft einer „Zwischennutzung“, wie etwa dem Tacheles. Aber zu welchem Gesamtstadtbild das schließlich führen würde, das hat man sich währenddessen nie ausreichend klargemacht.Opitz setzt die üblichen Mittel des öffentlich-rechtlichen TV-Doku-Formats ein: Er interviewt Zeitzeugen und montiert Archivaufnahmen. Aber was in seinem Fall herauskommt, hebt sich ab von bisherigen Wende-Dokumentationen. In Capital B werden die Dinge zugespitzt, manchmal auch polemisch. Da gibt es zum Beispiel die tollen Kontraste zwischen der Art und Weise, wie Renate Künast auf die frühen 90er Jahre zurückblickt, und dem, was der zweifache Exbürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) dazu zu sagen hat. Künast ist bemerkenswert offen in ihrer Unzufriedenheit mit Bürgermeister Walter Momper und dem konservativen Industrie-Denken der SPD. Diepgens beleidigtes Gebaren darüber, dass er ausgerechnet zur Maueröffnung nicht Bürgermeister spielen durfte, beschreibt sie ausgesprochen süffisant. In Diepgens eigenen Erzählungen dagegen kommt jemand wie Künast gar nicht vor. Mit dem gleichen schmalzigen Impetus wie in den 90ern spricht er, der Berlin in die Nah-Pleite getrieben hat, immer noch von „Projekten“, vom „Gestalten“ und vom „Machen“. Jede Kritik an den Folgen dieser „Macherei“ gleitet an ihm ab.Schön chronologisch schreitet die Miniserie vom „Sommer der Anarchie“ 1990 über die Phase des „Größenwahns“ unter Diepgen und Klaus-Rüdiger Landowsky zum „Absturz“ Anfang der 2000er, zu Thilo Sarrazins Sparkurs und Klaus Wowereits erfolgreichem „Arm, aber sexy“-Branding und schließlich dem Jetzt-Stadium der „Stadt als Beute“. Die Beschreibung der Stadtpolitik durch deren Akteure – außer Momper und Michael Müller sind alle Bürgermeister mit dabei – begleitet Opitz durch Interviews mit „kulturellen“ Zeitzeugen wie Marion Brasch, Peter Fox, Kool Savas oder Dimitri Hegemann. Die Auswahl ist erfreulich Ost-lastig und – leider ein ziemliches Novum im Wendegedenken – schließt endlich auch migrantische Stimmen mit ein.Es ist nicht der Hauptaspekt der Serie, gehört aber zu denen, die sich einprägen: Wie einschneidend die Wiedervereinigung das Leben in den migrantisch geprägten Kiezen Berlins verändert hat. Einer der Höhepunkte der Serie ist es, wenn Integrationsbeauftragte Güner Balcı erzählt, wie sie Thilo Sarrazin in Neukölln herumführte und der völlig verdattert war, wenn ihm junge Männer, die für ihn „Ausländer“ sind, entgegenhielten: „Ich bin hier geboren. Das ist meine Stadt!“ Köstlich auch, wenn Wowereit als ein Typ beschrieben wird, „der dir auf die Füße tritt und dich dabei anstrahlt“. Er selbst kommt auch zu Wort, tief gekränkt darüber, dass man ihm die Schuld am BER-Debakel „angehängt“ habe – bis zum Rohbau sei doch alles wunderbar gelaufen.Wie gesagt, empfindet man in der ersten Folge noch Nostalgie für den „Sommer der Anarchie“, kommt einem mit jeder Fortsetzung mehr und mehr die Galle hoch. Und das ist auch gut so.