„Der Faschismus beginnt mit einem Lächeln, geht über zu Angst und endet dann in Gewalt. Es ist eine Politik, wie sie heutzutage in vielen Ländern dieser Welt stattfindet“, so begründete der chilenische Regisseur Pablo Larraín seine Rückkehr zum Thema Pinochet gegenüber dem Hollywoodreporter bei der Premiere seines neuen Films El conde während des Festivals in Venedig. Im Film, der, statt ins Kino zu kommen, direkt bei Netflix startete, kehrt der chilenische Diktator als Untoter wieder. Besser gesagt: In Larraíns Vision war er nie weg, weil der Vampir seinen eigenen Tod nur vortäuschte, während er in der Deckung der Nacht weiter das chilenische Volk aussaugt.
Der Mann, der 1973 Salvador Allende stürzte und siebzehn bluti
#252;rzte und siebzehn blutige Jahre regierte, starb bekanntlich 2006 im stolzen Alter von 91 eines natürlichen Todes. Vollkommen reuelos, wie es heißt. Aber: Dass Augusto Pinochet straffrei ausgegangen sei, habe ihn gleichsam unsterblich gemacht, begründet Larraín seine Filmidee, mit der er an seine Diktatur-Trilogie anschließt, die ihm als Filmemacher zu internationalem Ansehen verhalf. In Tony Manero (2008) und Post Mortem (2010) zeichnete Larraín verstörende Studien von Mitläufern und Nebengewinnlern der Diktatur, bevor er in No (2012) vom letztlich bizarren Ende des Pinochet-Regimes erzählte, das sich bei einer Volksabstimmung der besseren Werbekampagne eines Waschmittelreklamespezialisten geschlagen geben musste. Pinochet als Untoter illustriert in El conde nicht nur den Gedanken, dass die unbewältigte Vergangenheit nicht vergehen will. Larraín will auch jede Sympathie für seine zentrale Figur verhindern.Aber zunächst entlockt er einem eben doch fast ein Lächeln, der tattrige Vampir, den der 87-jährige chilenische Volksschauspieler Jaime Vadell mit farcenhafter Dumpfheit verkörpert. Er mag sich zwar eitel „El conde“ nennen, aber der Film entlarvt ihn als eine bloße Marionette von Mächten, über die er selbst nicht einmal richtig Bescheid weiß. In einer weit ausholenden Vorgeschichte erfährt man, dass er als Claude Pinoche kurz vor der französischen Revolution in einem Waisenhaus aufwuchs, dann als monarchistischer Soldat auf der falschen Seite der Geschichte stand und anlässlich der Köpfung von Marie Antoinette seine Neigung so richtig entdeckte. Lüstern leckt er das Blut des Guillotine-Messers ab und macht sich dann nach Lateinamerika davon. Dort gesellt sich ein Jahrhundert und ein paar Zerquetschte später mit dem vor den Bolschewisten geflohenen Weißgardisten Fyodor (Alfredo Castro) ein anderer Reaktionär zu ihm. Erzählt wird das Ganze aus dem Off von einer Frauenstimme, deren britischer Akzent wiederum Hinweise gibt auf eine weitere Blutsauger-Verwandtschaft des chilenischen Diktators.Von Marie Antoinette bis Margaret Thatcher öffnet Larraín so den Assoziationshintergrund, noch bevor die eigentliche Handlung von El conde beginnt. Da versammelt sich in der Gegenwart die Familie Pinochet auf einer abgelegenen Ranch, weil die fünf erwachsenen, sich aber lang als nutzlos erwiesenen Kinder endlich ihr Erbe antreten wollen. Doch das Wesen der Untoten ist nun mal, nicht abtreten zu können. Die katholische Kirche beauftragt unterdessen eine junge Nonne (Paula Luchsinger), den Alten zu exorzieren und gleichzeitig nach abzugreifendem Vermögen Ausschau zu halten. Aber es kommt, wie es im Vampirfilm kommen muss: Das junge Blut wird zum Objekt der Begierde.In düster-schmutzigen Schwarzweiß-Tönen von Kameramann Ed Lachman gefilmt, machen die Bilder von El conde viel her, auch wenn die Handlung als solche nie richtig in Gang zu kommen scheint. Zu schwer wiegt der intellektuelle Überbau mit seinen vielen historischen und theoretischen Assoziationen, der neben den neoliberalistischen Verflechtungen als Putsch-Ursache auch die Komplizenschaft der katholischen Kirche und das aktuelle Wiedererstarken der Rechten zum Thema machen will. Das Vergnügen an der Farce bleibt deshalb genauso gedämpft wie das Licht in diesem beständig fahlen Film. Aber genau das könnte ganz im Sinne von Larraín sein. Schließlich soll man sich in einem Film über Pinochet nie zu gut amüsieren, das Lächeln könnte umschlagen und das Grauen noch ganz real werden.Eingebetteter Medieninhalt