Weißer Putsch: Unter Beihilfe der CIA wird 1973 in Chile Salvador Allende gestürzt
Zeitgeschichte Für US-Präsident Richard Nixon wie Außenminister Henry Kissinger ist das Thema Allende Chefsache, seit die Unidad Popular 1970 mit ihrem Kandidaten die Wahl in Chile gewonnen hat. Der parlamentarische Weg zum Sozialismus macht große Sorgen
Er opferte mit 65 sein eigenes Leben, anstatt sich demütigen zu lassen: Salvador Allende (1908 – 1973)
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Es ist der andere 11. September – nicht der 11. September 2001 mit dem Anschlag auf das World Trade Center in Manhattan. Am 11. September 1973 stürzen Soldaten des Generals Augusto Pinochet in Chile den drei Jahre zuvor demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Panzer rollen durch die Hauptstadt Santiago, der Präsidentensitz La Moneda wird beschossen und durch Hawker-Hunter-Flugzeuge bombardiert. Rauch und Feuersäulen dringen aus Dach und Fenstern. Allende selbst nimmt sich das Leben.
Seine Tochter Isabel sagt Jahre später, angesichts „der extremen Umstände“ habe ihr Vater „die Entscheidung getroffen, sein eigenes Leben zu opfern, anstatt sich demütigen zu lassen“. Die Putschisten zeigen von Anf
en von Anfang an, mit welcher Brutalität sie zu regieren gedenken. Die „siegreichen“ Soldaten schlagen auf Unterlegene ein. Manche von der Leibwache Allendes, die im Palast festgenommen werden, müssen sich ausziehen und nackt im Regen liegen.Terror gegen Salvador Allendes AnhängerNur wenige der Personenschützer überleben ihre Festnahme. Die um Pinochet gebildete Junta verbreitet die Warnung, sie würde „fünf Marxisten in Haft“ für jeden Soldaten erschießen lassen, der Opfer eines Angriffs werden sollte. Allende-Anhänger werden terrorisiert. Das Leben habe sich grundlegend für all jene verändert, „die das Glück hatten, zu überleben“, so Allendes Pressemitarbeiterin Verónica Ahumada in einer 2003 ausgestrahlten BBC-Dokumentation: „Wir haben die Demokratie als unseren Halt verloren, und wir wussten, dass es sehr schwer sein würde, diesen jemals zurückzubekommen.“Einige Jahre nach dem 11. September 1973 berichtete die Schülerin Lelia Pérez gegenüber Amnesty International, wie sie ins Nationalstadion von Santiago verschleppt wurde, einen Ort, an dem die Junta in den Wochen nach dem Staatsstreich Menschen foltern und ermorden ließ. Die Soldaten hätten sie, so Lelia, mit einem elektrischen Viehtreiber gequält, aber nie etwas gefragt. Ihnen sei beigebracht worden, wie man foltert, „wie man Strom einsetzt, wo und für wie lange“. Sie sei gedanklich in ihre eigene Welt geflüchtet: „Ich habe auf mich selber hinuntergeschaut. So, als ob mir gar nichts passieren würde. Es war grausam.“ Nach fünf Tagen sei sie mitten in der Nacht freigelassen worden. Die Soldaten hätten ihr Kleidung von Menschen gegeben, die im Stadion getötet wurden. „Ich kam als 16-Jährige dorthin. Als ich ging, war ich 60.“Richard Nixon mahnt Henry Kissinger zur VorsichtIn Washington war man zufrieden. Außenminister Henry Kissinger telefonierte kurz nach dem Putsch mit Präsident Richard Nixon. Das Memorandum des Gesprächs kann beim National Security Archive eingesehen werden. Die „chilenische Sache“ konsolidiere sich, räsonierte Kissinger und entrüstete sich über Medien, die jammerten, „weil eine pro-kommunistische Regierung gestürzt wurde“. Früher einmal hätte man das gefeiert, „und wir wären Helden gewesen“. Nixon mahnte zur Vorsicht. „Nun, wir haben es nicht getan, wie Sie wissen, unsere Hand ist in diesem Fall nicht zu sehen.“ Kissinger: „Wir haben es nicht getan, aber ihnen geholfen, meine ich.“ Nixon: „Das ist richtig.“Wie das war mit dem Helfen, sollte die Weltöffentlichkeit bald nach dem Putsch erfahren. Der demokratische US-Senator Frank Church rief 1975 einen Untersuchungsausschuss zu den Geheimdiensten ins Leben. Mordanschläge gegen ausländische Politiker kamen zur Sprache. Der Ausschuss zählte unter anderem acht CIA-Versuche, den kubanischen Staatschef Fidel Castro zu ermorden. CIA-Direktor William Colby zeigte den Senatoren im September 1975 eine Schusswaffe für tödliche Giftpfeile. Reichweite etwa hundert Meter. Das Church-Komitee prüfte besonders, was die CIA in Chile getan hatte. Covert Action in Chile 1963 – 1973 war der vorgelegte Bericht überschrieben. Für eine direkte Beteiligung der CIA beim Putsch 1973 habe das Komitee keine Beweise gefunden.Die Ermordung von General René SchneiderTatsächlich war Allendes Sturz das Ergebnis von Jahren der Vorarbeit, bei der es dem US-Dienst darum ging, die Polarisierung in Chile durch den Beistand für rechte Verbände und Medien anzuheizen. Laut CIA hätten die finanzielle Unterstützung und inhaltliche Assistenz bei der führenden Zeitung El Mercurio sowie anderen Medien „eine wichtige Rolle gespielt, um die Bühne zu schaffen für den Putsch am 11. September 1973“. Nach Allendes Wahlsieg im September 1970 habe die CIA mit Militärs Kontakt aufgenommen, die einen Putsch planten, steht ebenfalls im Church-Bericht. Eine Gruppe von Offizieren wollte den verfassungstreuen General René Schneider entführen, Oberbefehlshaber des chilenischen Heeres. Schneider wehrte sich und wurde erschossen. Der Putschversuch schlug fehl – Allende wurde vereidigt. Der Church-Report vermerkt: „Es gibt keinen Zweifel, dass die US-Regierung einen Militärputsch in Chile anstrebte.“Während der drei Jahre, in denen Allende regierte, hätten die CIA und US-Militärs stets engen Kontakt gehalten mit den chilenischen Streitkräften, um Hilfe zum Ausdruck zu bringen, ohne sie zu versprechen. Die CIA habe auch eng mit dem Kommunikationsunternehmen ITT zusammengearbeitet und bei der Finanzierung von Allendes Gegnern beraten. Der 11. September 1973 war der Höhepunkt einer Verschwörung, die im September 1970 begann. Allendes Ex-Berater Joan Garcés sagte 2003 im Freitag: „Die Außenpolitik der USA hat über Chiles Innenpolitik entschieden.“CIA-Chef Richard Helms will Chiles Wirtschaft „zum Schreien bringen“Für Nixon war das Thema Allende ab 1970 Chefsache. Der parlamentarische Weg zum Sozialismus machte große Sorgen. Allendes Wahl „stellt für uns eine der größten Herausforderungen dar“, die es für die USA jemals gegeben habe in dieser Hemisphäre, schrieb Kissinger am 5. November 1970 an Nixon. Allende führe die „erste marxistische Regierung, die jemals durch freie Wahlen an die Macht gekommen ist“. Das werde zweifellos einen Einfluss haben, „womöglich ein Präzedenzfall für andere Teile der Welt“. Es gehe auch um US-Investitionen in Chile. Kissinger empfahl, dass wir uns „Allende so stark wie möglich entgegenstellen und alles uns Mögliche tun, dass er seine Macht nicht konsolidieren kann“.Der Außenminister musste keine besondere Überzeugungsarbeit leisten. Bereits am Nachmittag des 15. September 1970 hatten Nixon, Kissinger, CIA-Direktor Richard Helms und Justizminister John Mitchell über Chile konferiert. Helms hielt in seinen Notizen fest, man müsse „Chile retten“, ohne Rücksicht auf Risiken. Man wolle die Wirtschaft dort „zum Schreien bringen“. Kissinger sprach im August 1975 vor dem Church-Komitee über das Meeting. Nixon habe zu erkennen gegeben, er wollte, „dass die CIA eine aktive Rolle“ übernehme, um die US-Politik auszuführen. Am Morgen des Staatsstreichs sprach Allende im linken Sender Radio Magallanes ein letztes Mal zu seinen Landsleuten. Die Katastrophe war im Gange. „Man kann weder durch Verbrechen noch durch Gewalt die gesellschaftlichen Prozesse aufhalten. Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen“, so Allende. „In diesem düsteren und bitteren Augenblick ... sollt ihr wissen, dass sich früher oder später die breiten Alleen öffnen werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht.“ Johnny Norden, Kulturattaché an der DDR-Botschaft in Santiago, hat das Band mit der Ansprache außer Landes gebracht.Urin und ExkrementeDer Putsch erschütterte Menschen weltweit. Linke mussten erfahren, dass eine demokratische Hinwendung zum Sozialismus vereitelt worden war. In den USA kollidierte der Antikommunismus Nixons und seines Nachfolgers Gerald Ford mit Stimmen aus der Demokratischen Partei, die eine harte Gangart gegen Pinochet forderten. Kissinger traf im Juni 1976 nach Tausenden von Folterungen und Exekutionen mit dem Diktator zusammen. „Wir wollen helfen, nicht Sie untergraben“, versicherte Kissinger. „Mit dem Sturz Allendes haben Sie dem Westen einen großen Dienst erwiesen.“ Lelia Pérez wurde um diese Zeit ins Exil gezwungen wie Tausende ihrer Landsleute. Sie war laut Amnesty Ende 1975 erneut verhaftet worden und hatte ein Jahr im Folterzentrum Villa Grimaldi zubringen müssen. Wieder gab es Elektroschocks. Wie das Waterboarding, das Untertauchen in Kübel voller Urin und Exkremente, gehörten sie zur Routine. Pinochet blieb fast zwei Jahrzehnte an der Macht. Im September 1998 wurde er bei einem Aufenthalt in Großbritannien festgenommen, da es einen Auslieferungsantrag des spanischen Richters Baltasar Garzón wegen Staatsterrorismus und Folter gab. Im März 2000 durfte Pinochet nach Chile zurück, angeblich wegen seiner angegriffenen Gesundheit. Er starb 2006.