Kunst und Kommerz sind oft die entgegengesetzten Pole, die im Kino zur Orientierung dienen, hier das Arthouse-Kino, dort die Megablockbuster. Dabei wäre eine Skala der Gefühle, die die einzelnen Filme beim Zuschauer auslösen, vielleicht sinnvoller. Auf der einen Seite stünden dann die Filme, die Wohlbefinden und Freude bereiten, weiter in der Mitte die, bei denen sich die Lust an Angst und Schrecken ausleben lässt, und dann am anderen Ende jene Filme, die unwohle Gefühle, ja nachgerade Unbehagen erzeugen. Filme, in die man besser alleine geht, weil man sie eigentlich niemandem empfehlen kann, es sei denn mit Worten wie „wichtig“ und „interessant“. Jonathan Glazers The Zone of Interest gehört in die letztere Kategorie.
Natürlich
Natürlich erwartet niemand einen Feelgoodfilm, wenn es um den Holocaust geht. Obwohl von Roberto Benignis Das Leben ist schön (1997) bis zuletzt Taika Waititis Jojo Rabbit (2019) es immer wieder Ansätze gab, mit Elementen der Komödie vom unsagbaren Horror zu erzählen. Lustig dürfen solche Filme nur bis zu jenem Maß sein, das im Deutschen mit der Phrase vom Lachen, „das im Hals steckenbleibt“, angegeben wird. In ähnlicher Weise wird auf der anderen Seite des Genrespektrums die Rührseligkeit der Melodramen in Schach gehalten: Schindlers Liste von Steven Spielberg galt 1993 nicht wenigen in dieser Hinsicht als zu mitreißend und zu sentimental.Abwägungen über die Form der Darstellung, darüber, „was geht“ und „was nicht geht“, wenn eine Fiktion vom Holocaust handelt, führten dazu, dass sowohl der deutsche Hanser-Verlag als auch der französische Gallimard-Verlag 2014 The Zone of Interest, das neue, im anglophonen Raum auch sehr gelobte Buch ihres Autors Martin Amis, nicht herausbringen wollten. Die Momente von Unterhaltungsliteratur mit einem Liebesdreieck im Zentrum, die Amis einsetzt, waren dabei nicht der einzige Stein des Anstoßes.Das ganze Projekt, das sich zum großen Teil in Täter-Köpfe und -Seelen gewissermaßen einfühlt, schien verdächtig. Als das Buch 2015 in einem Schweizer Verlag dann auf Deutsch herauskam, fielen die Kritiken überwiegend zwiespältig aus. Was wiederum vollkommen in Vergessenheit geraten war, als Glazers Film im Mai 2023 nur wenige Tage nach Amis’ Tod seine Premiere auf dem Filmfestival in Cannes feierte. Mit keineswegs in Schach gehaltenem Pathos wurde da vielerorts eine gewisse Tragik des Verpassens beschworen: Amis, der den Erfolg „seiner“ Adaption nicht mehr miterleben konnte.Mit der Vorlage von Amis hat Glazers Film dabei kaum mehr als den Ort der Handlung und die Inspiration für die beiden Hauptfiguren gemein. Wo Amis fiktive Namen einsetzte, benutzt Glazer die der realen Vorbilder: Rudolf Höß, von 1940 bis 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, und seiner Frau Hedwig. „Interessengebiet“ war die Bezeichnung der Nazis für die Sperrzone um den Lagerkomplex. Das Konzentrationslager selbst kommt in Glazers Film nur als Hintergrund vor. Das wiederum ist eine Beschreibung, die gewisse Reflexe in der Diskussion über die Darstellbarkeit beziehungsweise Undarstellbarkeit der Holocaust-Realität aufruft.Aber mit dem Hintergrund dieses Films ist es so eine Sache. Von Anfang an wird eigentlich klar, dass ihm eine besondere Rolle zukommt. Zwar stehen mit Hedwig (Sandra Hüller) und Rudolf (Christian Friedel) die Eheleute Höß im Vordergrund, die mit ihren Kindern ein betont beschauliches Leben in einer hübschen modernen Villa mit großem Garten führen. Aber sie sind Figuren, in die man sich als Kinozuschauer weniger einfühlt, als dass man sie beobachtet. Die Kameraführung, die sie in längeren Einstellungen aus ungewöhnlichen Winkeln filmt, unterstreicht das. Es gibt die Anmutung von Überwachungsvideos. Man sieht Rudolf, der scheinbar die eigene Pose immer wieder nervös überprüft.Man folgt Hedwig, die herrisch durchs eigene Haus stakst oder der angereisten Mutter (Imogen Kogge) stolz den Garten zeigt, die Blumen- und Gemüsebeete, den Spielplatz für die Kinder, ein echtes Paradies! Und dann kommt eben der Hintergrund hinzu: Die Mauer des Konzentrationslagers ist wie unbeabsichtigt immer mit im Bild, manchmal erkennt man den Überwachungsturm des KZs, Rauchschwaden steigen auf und Schreie dringen herüber. Es braucht schon eine Leistung, um all das auszublenden.Es ist eine Erkenntnis, für die einem der Film einige Zeit lässt. Das macht aus Hüllers Hedwig und Friedels Rudolf so nachgerade unheimliche Charaktere: Man sieht ihnen das Monströse nicht an, und fast will man den Film dafür ablehnen, dass er sie nicht schärfer als Bösewichte zeichnet, sondern eine Unwägbarkeit belässt. Oder doch nicht? Denn dann häufen sich die Details. Ein paar Knochen im Fluss, in dem die Kinder spielen, von dem sie dann hektisch verscheucht werden. Der Pelzmantel, der Hedwig gebracht wird von „drüben“, den sie dann aber heimlich anprobiert, ein gleichsam unbewusstes Anzeichen dafür, dass sie genau weiß, woher er kommt.The Zone of Interest ist ein Film, der auf unangenehme Weise unter die Haut geht, weil er in seiner Vagheit und Künstlichkeit umso verstörender die eine Frage stellt: Was, wenn wir diesen abstoßenden Figuren ähnlicher sind, als wir es wahrhaben wollen? Blenden wir nicht alle täglich die Schrecken aus, die gleich in unserer Nachbarschaft geschehen?Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1