Christian Friedel und Sandra Hüller: „Wir sollen uns fragen: Sind das wir?“
Porträt Christian Friedel und Sandra Hüller spielen in „The Zone of Interest“ den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß und dessen Frau. Der Dreh lässt beide nicht los
Christian Friedel und Sandra Hüller eines schönen Morgens in London
Foto: Sarah Lee/Guardian/Eyevine/Laif
Kann man der Banalität des Bösen ein Gesicht geben? Wie wäre es mit zweien? Es ist ein strahlend schöner Morgen in London, Sandra Hüller und Christian Friedel kommen vom Fototermin zurück. Sie sind hier, um über ihren Film The Zone of Interest zu sprechen, den sie mit dem britischen Regisseur Jonathan Glazer gedreht haben und der lose auf Martin Amis’ gleichnamigem Roman von 2014 basiert. Aber zuerst sprechen wir noch über Friedels Faible für Porridge und darüber, dass Hüller so früh lieber nichts isst. Dann lächeln sie und schweigen erst mal, wissend, was als Nächstes kommt.
Hüller und Friedel spielen in The Zone of Interest das Ehepaar Hedwig und Rudolf Höß, das während des Zweiten Weltkriegs f
end des Zweiten Weltkriegs fünf Kinder in einer Villa mit reizendem Blumengarten großzog. Die Villa grenzte an eine Mauer des Konzentrationslagers Auschwitz, wo Rudolf Kommandant war. Damit ist das Geplänkel dann auch vorbei.Hüller ist seit ihrer grandiosen Darstellung einer des Mordes angeklagten Schriftstellerin in dem Thriller Anatomie eines Falls routiniert, was Aufmerksamkeit betrifft: „Ich versuche durch sie hindurchzufliegen, als wäre sie Wasser. Wie Bruce Lee.“ Beide sind überragend in diesem Film, der die meisten Schauspieler überfordern würde. Auf der Leinwand kommen die Gaskammern und das übrige Lager niemals ins Bild, aber wir hören sie die ganze Zeit. Was wir sehen, ist, wie Rudolf sich um den Verlauf seiner Karriere sorgt und Hedwig die Azaleen hegt.Hüller wollte Hedwig Höß nicht spielen, sagt sie. Als sie angefragt wurde, lehnte sie ab. Sie hatte zu viele deutsche Schauspieler als Nazis verkleidet in banalen Historiendramen gesehen. „Außerdem habe ich nicht den Drang, diese Art von Charakter zu erforschen. Grausamkeit und Gewalt interessieren mich nicht.“Wie in Anatomie eines Falls zu hören ist, spricht Hüller fließend Englisch. Friedel ist zögerlicher, seine Stimme sanft. Später wird er erzählen, er habe nie Alkohol getrunken „oder eine Droge genommen“. Sein erster Film war Michael Hanekes Das weiße Band, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg spielt. Haneke besetzte ihn als den gutmütigen Lehrer und bescheinigte ihm ein „historisches Gesicht“. Jonathan Glazer und den Produzenten Jim Wilson traf Friedel erstmals 2019 in London. Er fühlte sich von dem Film, den sie beschrieben, eingeschüchtert, aber auch herausgefordert.„Schon im Kindergarten habe ich es geliebt, für andere mit Liedern, Tanzen und Handpuppen Ideen zum Leben zu erwecken. Hier ging es in die gleiche Richtung. Auch wenn die Idee eine so unerträgliche ist – ein Massenmörder, der mit seinen Kindern Fangen spielt.“ Er fragte, ob sie die Rolle der Hedwig schon besetzt hätten. „Weil es eine besonders gute Schauspielerin sein musste, die aber nicht denken würde“ – er setzt eine divenhafte Miene auf –: „Hier mache ich etwas Spektakuläres. Also sagte ich: ‚Wollt ihr Sandra?‘“„Das hast du mir nie erzählt“, sagt Hüller. „Wie nett.“Versteckte Kameras im HausDie beiden lernten sich 2013 kennen, als sie in Jessica Hausners Amour Fou spielten. Sie blieben Freunde. Sie haben viel gemeinsam. Beide sind in der DDR aufgewachsen: Hüller in der Kleinstadt Friedrichroda, Friedel in Magdeburg. Als Erwachsene verschrieben sich beide der Strenge des deutschen Theaters (beide stehen nach wie vor auch auf der Bühne). Beide können singen. Friedel ist Frontmann der Art-Rock-Band Woods of Birnam; in der absurden Komödie Toni Erdmann gab Hüller eine bemerkenswerte Version von Whitney Houstons The Greatest Love of All zum Besten.Und dennoch. „Sie sind so unterschiedlich, nicht wahr?“, sagt Wilson. „Christian ist die Nettigkeit in Person. Unvermittelt. Und Sandra ist komplex. Sie kann so witzig sein, aber in ihr brodelt es.“Hüller änderte ihre Meinung, als sie erfuhr, was der Film nicht sein sollte. „Als ich Jonathan traf, wurde mir klar, dass es nicht wirklich um das Ehepaar Höß ging. Es ging um Menschen, die furchtbare Dinge ignorieren, die genau dort, wo sie leben, vor sich gehen. Ein Film, der uns im Kino verunsichert. Und das soll so sein. Wir sollen uns fragen: Sind wir auch so? Machen wir das auch? Jeden einzelnen Tag?“The Zone of Interest wurde im Sommer 2021 gedreht. Die Vorbereitungen waren kaum anders als bei jedem Historienfilm; Friedel lernte reiten. Den Unterschied machte der Ort: Gedreht wurde zwar nicht in der inzwischen baufälligen Villa Höß, aber in einem Haus, das ebenfalls an das Konzentrationslager grenzte. Drinnen ersetzten zehn versteckte Kameras ein Filmteam, sodass Friedel und Hüller ohne die Künstlichkeit eines Sets agieren konnten (Glazer nannte das Set-up „Big Brother in einem Nazihaus“). In kreativer Hinsicht, sagen die beiden, war es faszinierend.Zugleich war es hart. Da war der professionelle Druck, und der persönliche. Der Abgrund schaute zurück. „Wir waren dem Konzentrationslager so nah“, sagt Friedel. „Wir empfanden Verantwortung gegenüber den Opfern. Mein Unterbewusstsein drängte nach oben.“ Ihn plagten Albträume. Jener Friedel, von dem Hüller sagt, er „könne einfach kein Arschloch sein“, strebte danach, in seinem Inneren einen Mann zu finden, der in der Lage war, den Holocaust zu vollstrecken.Auch Hüller wurde auf die Probe gestellt. Bei Anatomie eines Falls hatte sie die Regisseurin Justine Triet angefleht, ihr zu sagen, ob ihre Figur schuldig sei. Hedwig Höß, das stellt die historische Beweislage unmissverständlich klar, wusste genau, was jenseits ihres Gartens vor sich ging. Normalerweise entwickelt Hüller ihre Figuren aus einer Einfühlung heraus. „Aber ich schenkte ihr nichts.“ Sie ist überzeugt, dass Hedwig nie in sich hineinschaute. Man spürt, dass das so ziemlich das Schlimmste ist, was Hüller über jemanden sagen kann.Der Dreh, sagen beide, war „einsam“ und „unangenehm“. Jeden Abend aßen Friedel und Hüller zusammen. „Es war wichtig, eine Kollegin zu haben.“ Im Winter drehte er jedoch weitere Szenen ohne sie. „Ich trug wieder diese Uniform, und da war jetzt nur noch ich.“ Er brach zusammen.Ich frage, wie sie sich fühlten, als die Dreharbeiten abgeschlossen waren. „Ich war so froh, dass es vorbei war“, sagt Friedel. Genau genommen strahlt er. Hüller nickt: „Und ich würde so gerne wieder mit Jonathan arbeiten. In 15 Jahren.“ Ein Scherz. Mehr oder weniger.Aber wirklich vorbei ist es nicht. Da sind die Interviews. Hüller sehe ich im Videocall wieder. Sie ist zu Hause in Leipzig, wo sie mit ihrer Tochter und dem Hund lebt. Sie trägt ein weites T-Shirt; soweit ich es erkennen kann, steht darauf: „God Loves Me“.Ihre beiden aktuellen Filme werden mit Preisen und Nominierungen überhäuft. „Ich kann auf einer Party im Mittelpunkt des Gesprächs stehen. Egal worüber ich rede. Aber zu Hause fühle ich mich damit nicht. Sollte ich auch nicht. Es ist Arbeit.“Und doch kann die Grenze zwischen Arbeit und Leben bei Schauspielern verschwimmen. Trotz ihres Abscheus gegen Hedwig spielt Hüllers Hund in The Zone of Interest das Haustier der Familie Höß. Und im Vorspann von Anatomie eines Falls sind Schnappschüsse von ihr als Teenager zu sehen. Triet bat sie als Requisite um die Fotos. Erst sehr viel später erfuhr sie von der Planänderung. „Das war ein Schock. Aber ich mag Justine sehr, und es ist in Ordnung für mich.“ Sie zieht ein Gesicht, das mich zum Lachen bringt. „Egal, es ist wichtig, dass man sein 14-jähriges Ich akzeptiert.“Sie erzählt von ihrem Alltag in Leipzig, von der Energie der Stadt, davon, dass sie gerne Menschen im Supermarkt beobachtet. Die Familie Höß konnte sie abschütteln, der Dreh geht ihr nach: eine Erinnerung an die Schuld der Vorfahren.Ich frage jetzt doch nach ihrem T-Shirt. God liebt mich? Sie prustet los, dann liest sie mir den ganzen Slogan vor: „God Loves Me – And There Is Nothing I Can Do About It“. Sie steht auf, um mir den Rest zu zeigen. Ein Teddybär in einem Halloween-Kürbis starrt mich an. „Ich habe das T-Shirt im Internet gesehen. Und ich fand es sehr lustig. Also habe ich es gekauft.“ Sie lacht immer noch, als sie sich wieder setzt. Womöglich wird sie sogar ein bisschen rot.Friedel ist ebenfalls zurück in Deutschland, daheim in Dresden. Am Vorabend hat er lange mit seiner Band geprobt. Kein Alkohol, keine Drogen, klar. „Meine Droge ist Eiscreme. Nicht so gefährlich fürs Hirn. Nur für meinen Körper.“Auch ihn verfolgt The Zone of Interest immer noch: „Da ist noch etwas von dieser Leere in mir. Ich brauche Zeit, um sie aus mir wieder rauszukriegen.“ Er erzählt von einer Panikattacke während des Drehs. Über den Film diskutiere er trotzdem gerne. „Das hilft.“Andere, stellte er fest, haben ebenfalls das Bedürfnis, über diesen Film zu sprechen. Der Schauspieler Josh O’Connor sah den Film und drängte Friedel, ihn sich unbedingt anzusehen – er hatte ihn nicht erkannt. Unweigerlich wurde nach den Vorführungen auch über Israel und Gaza gesprochen. „Es macht mir noch stärker bewusst, wie gegenwärtig der Film ist“, sagt Friedel. „Seine Botschaft ist zeitlos und universell. In uns allen ist etwas Finsteres. Geschichte wiederholt sich.“In Deutschland kommt der Film Ende Februar in die Kinos. Hüller ist auf die Reaktionen gespannt. Im ganzen Land steigen die Umfragewerte der rechtsextremen AfD alarmierend.„Sie ist eine faschistische Partei. Wir sollten sie einfach Faschisten nennen. Und die Faschisten ermuntern die Deutschen inzwischen nicht mehr nur, die Vergangenheit zu vergessen. Sie rechtfertigen sie. Sie sagen wieder: ‚Es ist gut, dieses Land zu säubern.‘ Also müssen wir anderen stattdessen von Menschlichkeit sprechen.“Manchmal muss man einfach klare Grenzen ziehen, findet Hüller. Sie erzählt davon, wie sie in Leipzig mit ihrem Hund spazieren ging und drei Jungs um die 17 ihr Beleidigungen nachriefen. Hatten die sie erkannt? Sie grinst: „Nee. Ich habe ihnen jedenfalls den Mittelfinger gezeigt. Weil ich dachte: So redet ihr nicht mit mir.“ Sie wirkt jetzt angespornt. „Dann warfen sie etwas! Und dann haben sie etwas Schlechtes über meine Mutter gesagt. Die sie nicht mal kennen! Also lachte ich sie aus. Ich dachte: Glaubt ihr echt, dass ihr so durch die Welt laufen könnt? Von wegen.“Es klingt so einfach bei ihr. Hatte sie keine Angst, dass die Situation in Gewalt umschlägt? Sie grinst. „Oh ja. Aber ich dachte nur: Nein. Damit kommen sie nicht durch. Und ich hatte einen Moment lang die Zuversicht, dass alles gut ausgehen würde.“Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder authorbio-1
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