Western wie gestern

Was läuft Über Kindheitsmuster, Genre-Posen und die Netflix-Westernserie „Godless“. Spoiler-Anteil: 10 Prozent
Ausgabe 50/2017

Von allen totgesagten Genres ist der Western wohl das am totgesagteste. Das genau macht seinen Charme aus. So sehr man ihn „revidiert“, historisch-kritisch aufbereitet oder gar modernisiert, er bleibt eine alte Form, eine Art Sonett im 20. Jahrhundert oder Schreibmaschinenschrift im digitalen Zeitalter: brauchbar, aber Nostalgie evozierend.

Als westdeutsches Fernsehkind der 1970er Jahre ist man mit dieser Nostalgie aufgewachsen. Mit Serien wie Rauchende Colts und Bonanza, deren Handlungen keine Spuren im Gedächtnis hinterlassen haben. Was zählte, waren Posen, Gesten: Männer, die schweren Schrittes durch die Drehkreuztüren eines Saloons traten. Reiter, deren Näherkommen sich durch Staubwolken bemerkbar machte. Revolverhelden, die beim „Ziehen“ des Colts selbigen noch um den Finger revoltieren ließen, bevor sie den Gegner niederstreckten.

Genau dieses Gunslinger-Kunststück sieht man eine der Figuren in der Netflix-Westernserie Godless wieder und wieder üben. Es ist der von Thomas Brodie-Sangster gespielte Hilfssheriff Whitey Winn, der damit die Damenwelt um sich herum beeindrucken möchte, was sonst. Wobei seine Lage sich von der üblicher Westernhelden dadurch unterscheidet, dass er fast ausschließlich von Damen umgeben ist.

Die Männer von La Belle, der Siedlung in New Mexico, in der er das „Gesetz“ vertritt, hat wenige Jahre vor der in den 1880er Jahren einsetzenden Handlung ein Minen-Unglück dahingerafft. Seither ist La Belle eine Art Geisterstadt, bevölkert von Frauen, Kindern und zwei lädierten Gesetzesmännern: besagtem Whitey Winn, der noch grün hinter den Ohren ist und das mit der Revolverdrehung nicht hinbekommt, und dem von Scoot McNairy gespielten Sherriff Bill McNue, den alle für einen Feigling halten, weil er sich nicht mehr zu schießen getraut.

Dass er sich in Wahrheit nicht mehr auf seine Augen verlassen kann, vertraut er nur Schwester Mary Agnes (Merritt Wever) an. Die trägt seit dem Tod ihres Gatten nur noch dessen Kleider und macht der früheren Salonhure und jetzigen Dorflehrerin Callie (Tess Frazer) den Hof. Irgendwo außerhalb von La Belle ist die Ranch von Alice (Michelle Dockery, besser bekannt als Lady Mary aus Downton Abbey), deren Mann, ein Paiute, von La-Belle-Leuten erschossen wurde, weshalb Alice jeden Besucher, der sich auf ihr Grundstück wagt, mit gezücktem Gewehr begrüßt und Worten wie: „Keinen Schritt weiter!“ Auch das ist so eine Westernpose, die völlig ohne Handlung funktioniert: wie sie im Dunkeln ihres Hauses zum Gewehr greift, hinaus ins Helle schreitet und den ankommenden Reiter konfrontiert – das allein hat schon genug Intensität. Der Trotz! Die Feindseligkeit! Die Selbstbehauptung!

Godless hat einen durchgehenden Handlungsbogen, aber der ist das, was sich am wenigsten einprägt. Da gibt es den von Jeff Daniels gespielten Oberbösewicht Frank (Bösewichte im Western müssen Frank heißen, oder?), der mit seiner 30 Mann starken Bande die Gegend unsicher macht. Er sucht seinen Ziehsohn Roy (Jack O’Connell), der ihm davongelaufen ist und schwerverletzt eines Nachts auf der Ranch von Alice landet. Und während die Serie von Folge zu Folge auf den großen Shoot-out zwischen Frank und Roy zusteuert, lernt man, wie es in den Pilotserien der Streamingdienste zunehmend üblich ist, das große Figurenarsenal der Serie nach und nach kennen.

Aus seinem feministischen Setting macht Godless leider nicht allzu viel. Gerne hätte man noch mehr über die Frauen von La Belle erfahren und wie sie seit dem Tod ihrer Männer zurechtkommen. Zu oft überlässt Serienautor Scott Frank dem Soziopathen Frank das Wort, der in Tarantino-Manier über Gott, Glaube und Tod doziert. Aber es besteht Hoffnung, dass das die Kinderkrankheiten von Godless sind und es mit der zweiten Staffel besser wird.

Denn die Serie lohnt allein deswegen, weil so viele Dinge in ihr vorkommen, die das Westerngenre so faszinierend machten, gerade für das kindliche Gemüt: die Duelle natürlich, in denen geknallt, aber nicht unbedingt getroffen wird. Und das Reiten in all seinen Formen: vom wilden Zuritt über die Postkutschenjagd bis zum gemächlichen Bezwingen ganzer Landstriche. Gen Ende sieht man minutenlang nichts anderes, als wie ein Mann mit seinem Pferd durch die Steppe reitet, die Sierra Nevada überquert und schließlich an den nebligen Gestaden des Pazifiks landet. Es geht einem das Herz auf.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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