Entschuldung nur für den Westen

Kommunalfinanzen Bundesfinanzminister Olaf Scholz will mit einem Entschuldungsprogramm armen Kommunen unter die Arme greifen. Die Idee ist gut, doch wieder mal verliert dabei der Osten

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Olaf Scholz scheint, den Osten nicht sehen zu können
Olaf Scholz scheint, den Osten nicht sehen zu können

Foto: Axel Schmidt/AFP/Getty Images

Seit Jahren fordern Kommunalpolitiker*innen unterschiedlichster parteipolitischer Provinienz, dass der Bund sich an der Tilgung kommunaler Schulden beteiligen solle. Auf dem Treffen der sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden von Bund und Ländern in Schwerin erklärte nunmehr Bundesfinanzminister Olaf Scholz, dass er Kommunen mit hohen Kassenkrediten durch Bundeshilfen zu entschulden gedenke. Vom Entschuldungsprogramm sollen 2.500 besonders stark kreditbelastete Kommunen profitieren. Die Länder sollen sich an der Schuldenhilfe beteiligen.

Bislang hatte der Bund solche Finanzhilfen an die Kommunen grundsätzlich abgelehnt und stattdessen die Länder aufgrund der Finanzaufsicht über die Kommunen in der Pflicht gesehen. Besonders stark verschuldet sind die Länder Rheinland-Pfalz, das Saarland, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Dort wurde bereits ein Entschuldungsprogramm auf den Weg gebracht, ebenso wie im Saarland. Der saarländische Entschuldungspakt gehörte zu den ersten politischen Initiativen, die Ministerpräsident Hans (CDU) in einer Regierungserklärung verkündete. Mit dem Pakt sollen die Kommunen im selbst notorisch verschuldeten Saarland von 2020 bis spätestens 2045 schuldenfrei sein.

Seitens des Freistaates Bayern wurde bereits Widerstand gegen ein von den Ländern mitzufinanzierendes Entschuldungsprogramm angekündigt. Eine solche Entschuldung setze Fehlanreize und würde dazu führen, dass die kommunale Haushaltsdisziplin nicht belohnt, sondern vielmehr bestraft werden würde, argumentierte Finanzminister Füracker (CSU). Auch Unions-Finanzexperte Eckhard Rehberg, ein haushaltspolitischer Falke wenn es um Finanzhilfen an die Länder geht, lehnte den Vorschlag des Koalitionspartners ab. Armin Laschet, CDU-Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens begrüßte ein solches Vorhaben hingegen grundsätzlich. Angesichts kommunaler Verschuldung in NRW in Höhe von 82 Milliarden Euro überlegt die Landesregierung bereits seit Langem ein entsprechendes Programm aufzulegen, erhoffte sich dabei aber Bundeshilfe, die nun in greifbare Nähe zu rücken scheint.

Dass nicht nur ein Unions-Ministerpräsident, sondern selbst das traditionell arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln eine kommunale Entschuldungshilfe - unter bestimmten Voraussetzungen - in Betracht zieht, zeigt, dass Scholz nicht unüberlegt handelt und eine Chance auf Umsetzung dieses Anliegens besteht.

Weitgehend wirkungslose Konsolidierungshilfen der Länder

Dass Handlungsbedarf auf kommunaler Ebene besteht, zeigt auch die Wirkungslosigkeit der bisherigen Konsolidierungshilfen in den Ländern und die vielfach kontraproduktive Finanzierung dieser Hilfsprogramme. Eine Übersicht der grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung zu kommunalen Konsolidierungshilfen benannte folgende Schwierigkeiten:

  • Die meisten Programme bestehen neben dem herkömmlichen kommunalen Finanzausgleich (KFA), werden jedoch nicht vollkommen vom Land finanziert. Das heißt so wie der Bund die Länder beim Entschuldungsprogramm beteiligen möchte, müssen die Kommunen in den meisten Ländern die Hälfte bis zu zwei Drittel der Konsolidierungsprogramme mitfinanzieren.
  • Diese Mitfinanzierung erfolgt entweder direkt aus dem Kommunalen Finanzausgleich oder indirekt über Umlagen. Kritisiert wird deshalb, dass damit letztlich die Gemeinden mit geringer Steuerkraft, bei denen mehr Zuweisungen anfallen müssten, den größeren Teil der Lasten tragen. Das Solidarprinzip würde auf diese Weise verletzt werden.
  • Konsolidierungshilfen werden in der Regel nur auf Antrag bzw. aufgrund einer individuellen Vereinbarung zwischen dem Land und der jeweiligen Kommune zur Verfügung gestellt. Grundlage sind Haushaltssicherungskonzepte, die zumeist drastische Sparbemühungen beinhalten und damit auf Kosten der kommunalen Leistungserbringung bzw. Qualität des Gemeinwesens gehen.

Die Böll-Stiftung kommt deshalb bezüglich der kommunalen Konsolidierungsprogramme zum Fazit: Wenig Zuckerbrot - viel Peitsche.

Fokus Kassenkredite - Hilfsprogramm West unter Vernachlässigung Ost

Wenn Olaf Scholz von 2.500 besonders überschuldeten Kommunen spricht, hat er die bereits genannten Länder NRW, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland im Blick. Dort befinden sich die in der Regel mit enorm hohen Kassenkrediten verschuldeten Kommunen. Dies mag unter sozialdemokratischen Erwägungen naheliegend sein. Denn der Verlust der Regierung in NRW wiegt schwer und die Rückeroberung dieser zuletzt immer stärker erodierenden sozialdemokratischen Bastion ist sowohl landespolitisch aber auch im Hinblick auf die Ambitionen von Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD zu werden, eminent wichtig. Genauso wie die Sicherung der Vormacht in Rheinland-Pfalz.

Gleichzeitig dürfte darin auch der Pferdefuss des bisherigen Entschuldungsplans von Olaf Scholz liegen. Denn aus den 19 Stimmen der vier Länder im Bundesrat dürfte weder eine Mehrheit im Bundesrat oder ein einstimmiges Votum in der Ministerpräsidentenkonferenz erwachsen.

Die ostdeutschen Länder dürften ihrerseits darauf verweisen, dass das Instrument der Kassenkredite in ihren Kommunen eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Mehr noch: Länder wie Thüringen haben sich bereits in der Vergangenheit strikt dagegen gewehrt, dass Kriterium der Kassenkredite zum Beispiel als Indikator für die Finanzschwäche von Kommunen bei den Finanzhilfen des Bundes für Bildungsinfrastruktur für finanzschwache Kommunen oder beim Kommunal-Investitionsfinanzierungsgesetz (KInvFG) heranzuziehen.

So gewährt der Bund aus dem Sondervermögen „Kommunalinvestitionsförderungsfonds“ den Ländern Finanzhilfen für Investitionen finanzschwacher Gemeinden in Höhe von insgesamt 3,5 Mrd. EUR. Die in § 2 KInvFG festgelegte Verteilung der Fördermittel auf die Länder setzt sich aus drei Indikatoren zusammen, die jeweils zu einem Drittel gewichtet werden:

  • die Einwohnerzahl,
  • die Höhe der Kassenkredite sowie
  • die Arbeitslosenzahlen nach SGB III-Abgrenzung.

Die drei Indikatoren fließen jeweils als Dreijahresdurchschnitt in die Berechnung des Verteilungsschlüssels ein. Keiner der drei Indikatoren bildet dabei die Finanzschwäche der Kommunen, ausgedrückt durch ihre originäre Steuerkraft, ab, wie Thüringen im Bundesratsverfahren aber auch gegenüber den Mitgliedern des Deutschen Bundestages deutlich machte. Denn sowohl der Gesamtverteilungsschlüssel als auch dessen jeweilige Einzelkomponenten weisen nur einen sehr schwachen Zusammenhang mit der Steuerkraft der Gemeinden auf. Mit dem Verteilungsschlüssel des § 2 KInvFG werden finanzschwache Gemeinden nicht begünstigt.

Die geringste Korrelation besteht dabei zwischen der Steuerkraft der Gemeinden und der Höhe der Kassenkredite. Sie sind per Definition kein sachgerechtes Kriterium für die Finanzschwäche. Kassenkredite sollen ihrer Funktion nach kurzfristige Liquiditätsengpässe überbrücken. Die Aufnahme von Kassenkrediten wird dabei von eigenen Entscheidungen eines Landes oder seiner Kommunen beziehungsweise der jeweiligen Kommunalaufsicht bestimmt und ist daher kein objektives Kriterium. Vielmehr setzt die Berücksichtigung der Kassenkredite negative Anreize für zusätzliche Kassenkreditaufnahmen und benachteiligt Länder und Kommunen mit einer nachhaltigen und langfristig stabilen Haushaltsführung gegenüber solchen Ländern und Kommunen, die vergleichsweise hohe Kassenkredite aufnehmen.

Auch der Berliner Finanzsenator, Matthias Kollatz (SPD), wandte sich in einem Schreiben, das breit gestreut wurde, an den Bundesfinanzminister und wies darauf hin, dass "eine isolierte Übernahme kommunaler Altschulden/Kassenkredite aus wenigen Ländern durch den Bund nicht die Zustimmung Berlins" treffen würde. Er schlägt stattdessen vor, eine Entlastung aller strukturell besonders belasteten Kommunen durch eine höhere Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft herbeizuführen. Er erspart sich nicht den Seitenhieb des Stadtstaates an die Flächenländer, dass diese Beteiligung des Bundes an der Entlastung der Kommunen auch bei diesen ankommen und nicht bei den Ländern verbleiben dürfe.

Bliebe Olaf Scholz bei seiner Maßgabe würde er die ostdeutschen Länder in eine Partnerschaft mit Bayern oder Baden-Württemberg bringen. Sinnvoller wäre hingegen, die Interessen unterschiedlicher Länder einschließlich des Ostens, wo 2021 also im Jahr der Bundestagswahl sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in Mecklenburg-Vorpommern neue Landtage gewählt werden.

Enttäuschende Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse

Dass die Bundes-SPD sich trotz der Vize-Vorsitzenden Manuela Schwesig in dieser Hinsicht besinnt, ist derzeit schwer vorstellbar. Es scheint als ob innerhalb der SPD die westdeutschen Länder den Ton angeben. Denn die Ausrichtung des Entschuldungsprogramms für die Kommunen an den Interessen einer Handvoll westdeutscher Länder setzt den Schlusspunkt hinter einen seit 2017 andauernden Prozess akkumulierter Enttäuschungserfahrungen der ostdeutschen Länder über die mit großem Aufwand gestartete Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse.

Diese Kommission, ursprünglich ein Herzensanliegen von Union und SPD um auf die als dramatisch empfundenen Wahlergebnisse beider Parteien in Ostdeutschland zu reagieren, sowie der große Wunsch und Erfolg sozialdemokratischer Ministerpräsident*innen wie Manuela Schwesig und Dietmar Woidke, entwickelte sich nach aufwendigen Beratungen von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zu einem Rohrkrepierer. Aus der ursprünglich paritätischen Leitung der Kommission von Bund und Ländern verabschiedete sich die Bundesregierung einseitig, indem sie - ohne die Länder einzubeziehen - Ergebnisse der Kommission verkündete.

Inzwischen herrscht allgemeine Ernüchterung und es wird versucht, aus dem zerbrochenen politischen Porzellan noch halbwegs ansehnliche Reste als das gute Geschirr zu verkaufen. Gerade im Bereich der für die Kommunen bzw. die kommunale Familie relevanten Städtebauförderung und der Wohnungsbauförderung zeichnen sich für die ostdeutschen Länder aber erneut dramatische Benachteiligungen ab.

Zur Förderung des Städtebaus gewährt der Bund den Ländern Finanzhilfen gemäß Art.104 b GG. Nach § 164b Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) geschieht das auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung (VV) zwischen Bund und Ländern. Die Verwaltungsvereinbarungen werden jährlich abgeschlossen. Ende des Jahres 2019 laufen die derzeitigen Regelungen bzgl. der Städtebauförderung aus. Die Weiterentwicklung der Städtebauförderung ist seit 2017 Gegenstand von Beratungen und Verhandlungen auf verschiedensten Ebenen.

Zur Förderung städtebaulicher Maßnahmen stellte der Bund für die Durchführung von sechs Programmen im Jahr 2019 den neuen Ländern Bundesmittel von rund 245 Mio. € zur Verfügung, was rd. 34 % der gesamten Städtebaufördermittel (ca. 786 Mio. €) entspricht.

Der sogenannte Königsteiner Schlüssel, ein zwischen den Ländern konsentierter Verteilungsschlüssel, der ostdeutschen Länder liegt bei rd. 18%. Würde man allein diesen für die Verteilung zu Grunde legen, stünden den Ostländern bei gleichbleibender Finanzausstattung des Bundes nur noch Fördermittel von rund 242 Mio. € statt rund 490 Mio. € zur Verfügung. Darüber hinaus sollen nur noch 3 statt bisher 6 Programme aufgelegt werden. Aufgrund dieser spürbaren Schlechterstellung forderten die Ministerpräsident*in der ostdeutschen Länder unter dem Vorsitz des Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) bereits April 2019, dass der Bund die Mittel der Städtebauförderung auch nach 2019 mindestens auf gleichem Niveau fortführen solle. Darüber hinaus sollte der Bund bis zum Sommer dieses Jahres den ostdeutschen Ländern einen mit ihnen abgestimmten Diskussionsvorschlag für einen problemorientierten Verteilerschlüssel vorzulegen, der die spezifisch ostdeutschen Herausforderungen abbildet. Abschließend erwarteten sie, dass die bisher auf Ostdeutschland entfallenden Städtebaufördermittel die speziellen Anforderungen in Ostdeutschland angemessen berücksichtigen und in dieser Höhe verstetigt werden.

Bis heute wurde jedoch kein Konsens über einen künftigen Verteilerschlüssel für die Mittel der Städtebauförderung erzielt. Bisherige Erörterungen in der Bauministerkonferenz blieben ergebnislos. Am 16. Dezember 2019 soll es eine Sonder-Konferenz der Bauminister*innen ausschließlich zu diesem Thema geben.

Die Länder Brandenburg und Thüringen wehrten sich bislang gegen die vorgeschlagene pauschalen Reduzierung der Finanzhilfen für die Ostländer um 10%. Denn während kein westdeutsches Land weniger erhalten soll, wird für die Ostländer ein Abschmelzen des tatsächlich bestehenden bisherigen Vorteils für die Ostländer um 10% vorgesehen werden, der stufenweise in 2%-Schritten für die nächsten 5 Jahre erfolgen soll. Ungeklärt ist, woraus sich die avisierte Reduzierung um 10% bezieht:

  • Entweder auf die absolute Höhe der derzeitigen Mittel, womit 267,7 Mio. € von 786,1 Mio. € berührt wären. Dies würde für die Ost-Länder eine Reduzierung um 26,8 Mio. € von 267,7 Mio. € auf 240,9 Mio. € bedeuten.
  • Oder eine Reduzierung des bisherigen prozentualen Anteils der Ost-Länder um 10 % von 34,1 % auf 24,1 % vorgesehen ist, was einer Reduzierung um 78,6 Mio. € von 267,7 Mio. € auf 189,1 Mio. € entspräche.

Die Unterschiede zwischen beiden Varianten sind erheblich. Die beiden ostdeutschen Länder haben deshalb bislang neben der Bereitstellung zusätzlicher Bundesmittel auch die Umverteilung der Finanzhilfen von den Sonderprogrammen der Städtebauförderung (Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“, Bundesprogramm „Sanierung von kommunalen Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur") zu den Regelprogrammen der Städtebauförderung als geeigneten Lösungsansatz vorgeschlagen.

Der Bund hat die entsprechenden Spielräume. Er leistet sich seit mehreren Jahren Sonderprogramme auf dem Themengebiet der Städtebauförderung in Höhe von mehreren 100 Mio. €. Diese Mittel sind zugunsten der Regelprogramme der Städtebauförderung umzuschichten, um zielgerichtet und in einem mit den Ländern abgestimmten Verfahren die Kommunen wirkungsvoll bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben zu unterstützen.

Während die Städtebauförderung an die Kommunen fließt, um diverse städtebauliche Maßnahmen mitzufinanzieren, soll die soziale Wohnraumförderung bezahlbares Wohnen ermöglichen. Die Mittel fließen an Bauherren, die preisgünstige Mietwohnungen oder selbst genutztes Wohneigentum schaffen. Seit der Föderalismus-Reform 2006 erhalten die Länder u.a. für die soziale Wohnraumförderung Entflechtungsmitteln. Es flossen zunächst ca. 520 Mio. € jährlich; im Rahmen der „Flüchtlingsfinanzierung“ wurden die Mittel im Jahr 2016 auf ca. 1,02 Mrd. € und in den Jahren 2017 bis 2019 auf ca. 1,52 Mrd. € aufgestockt. Zwischen den Ländern wurden 500 Mio. € nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt; für die übrigen Mittel galt ein Sonderschlüssel, der die ostdeutschen Länder begünstigte.

Das Entflechtungsgesetz läuft ebenfalls Ende 2019 aus. Die Entflechtungsmittel fließen künftig in der ursprünglichen Höhe über den Länderanteil an der Umsatzsteuer. Damit fallen erstens die zusätzlichen Mittel für die „Flüchtlingsfinanzierung“ weg. Zweitens erfolgt die Verteilung zwischen den Ländern künftig nach der Einwohnerzahl (§ 2 FAG); die bisherige Begünstigung der ostdeutschen Länder entfällt also. Mit der jüngsten Grundgesetz-Reform im Zusammenhang mit dem „Digitalpakt Schule“ ermöglicht der neue Art. 104d GG nun weiterhin „Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden im Bereich des sozialen Wohnraums“. Der Bund hat beim „Wohngipfel“ zugesagt, für 2020 und 2021 mindestens 2 Mrd. € zu zahlen, was der Höhe nach den zusätzlichen Mitteln im Rahmen der „Flüchtlingsfinanzierung“ entspricht.

Im April 2019 forderten deshalb die ostdeutschen Ministerpräsident*in dass der Bund einen Vorschlag für einen problemorientierten Verteilerschlüssel für die Finanzhilfen der sozialen Wohnraumförderung vorzulegen habe. Dieser soll die spezifisch ostdeutschen Bedarfslagen sowohl strukturschwacher Regionen als auch soziale Disparitäten in den städtischen Agglomerationen angemessen berücksichtigen und dafür Sorge tragen, dass den Herausforderungen von Strukturentwicklung und sozialer Inklusion auch zukünftig Rechnung getragen werden kann. Die Höhe der auf Ostdeutschland entfallenden Mittel sollte sich dabei mindestens am Umfang der bislang vom Bund bereitgestellten Mittel orientieren. Die Bauministerkonferenz forderte im September dieses Jahres den Bund auf, auch für die Jahre 2020/21 das bisherige Niveau der Jahre 20167– 19 beizubehalten. Er solle jährlich nicht die zugesagten 1.0 Mrd. €, sondern 1,5 Mrd. € zahlen

Konkrete Hilfe: Entschuldungsprogramm für ostdeutsche Wohnungsgesellschaften

Dabei wäre es vergleichsweise einfach, neben den westdeutschen Kommunen, die mit Kassenkrediten überschuldet sind, auch ostdeutschen Kommunen zu helfen, bei denen Kassenkredite keine Rolle spielen. Denn im 30. Jahr der Wiedervereinigung wäre es endlich an der Zeit, die Ungerechtigkeit der willkürlichen Altschulden ostdeutscher Wohnungsunternehmen zu beenden.

In der DDR erhielten die Wohnungsgesellschaften zweckgebundene Zuweisungen aus dem Staatshaushalt. Nach der Wiedervereinigung wurden diese Zuweisungen durch die Treuhandanstalt einseitig als Kredite deklariert. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen der Anstalt und den Gesellschaften wurde jedoch nicht geschlossen. Auf diese Weise häuften die Wohnungsgesellschaften, die auf die Zuweisungen, nunmehr "Kredite" angewiesen waren, Schulden auf, die keine waren und von denen klar war, dass ihre Rückzahlung erhebliche Risiken nach sich ziehen würde. Zum Zeitpunkt der Währungsumstellung am 01.07.1990 betrugen die Verbindlichkeiten der ostdeutschen Wohnungsunternehmen, die nunmehr Altschulden hießen, bereits 36 Mrd. DM. Diese Summe wuchs bis zum Jahresende 1993 auf mehr als 5o Mrd. DM an.

Im Zuge des sogenannten Altschuldenhilfegesetzes, das 1994 wirksam wurde sah vor, dass ein Teil der Verbindlichkeiten als Kreditverpflichtung anzuerkennen war, während ein anderer Teil erlassen wurde. Bereits damals hätte die gesamte Verbindlichkeit erlassen werden müssen oder verrechnet werden. Denn die Banken, bei denen die Verbindlichkeiten in den Büchern standen, wurden durch die Bundesregierung aus dem Erblastentilgungsfonds entschädigt.

Zu vermuten ist, dass die ostdeutschen Wohnungsunternehmen ohne diese Altschulden besser in der Lage gewesen wären, eine wirtschaftlich gesunde Umstrukturierung bei moderateren Mietsteigerungen vorzunehmen. Angesichts des auch in Ostdeutschland insgesamt steigenden Bedarfs an Wohnungsbau nach dem Ende des Rückbaus Ost ist die Entschuldung der ostdeutschen Wohnungsgesellschaften so wichtig wie die Entlastung der westdeutschen Kommunen von überbordenden Kassenkrediten. Nach Berechnungen der Bundestagsfraktion DIE LINKE betragen die Altschulden gegenwärtig geschätzt 7 bis 8 Mrd.€.

Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet würde bedeuten, den finanzschwachen Kommunen West ebenso wie ostdeutschen Wohnungsgesellschaften zu helfen, Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Auf diese Weise würden die Mittel der Städtebau- und Wohnungsbauförderung noch besser als bisher abfließen und würde sich das Angebot öffentlicher Daseinsvorsorge verbessern. Nicht mehr und nicht weniger als das, was lange Zeit sozialdemokratische Grundüberzeugungen ausmachte.

Innerhalb der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD kursiert inzwischen der Entwurf eines Antrags unter der Überschrift "Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen - Kommunale Handlungsspielräume für eine lebenswerte Heimat stärken", indem hinsichtlich der kommunalen Handlungsfähigkeit folgende Aufforderung an die Bundesregierung formuliert wird:

"Die Entschuldung kommunaler Kassenkredite gemeinsam mit den Ländern so zu gestalten, dass mit einer Entschuldung auch eine ausreichende kommunale Grundfinanzierung durch die Länder gesichert wird, damit eine Neuverschuldung der Kommunen verhindert wird. In diesem Zusammenhang ist eine Lösung der Altschuldenproblematik ostdeutscher Wohnungsunternehmen herbeizuführen."

Der Artikel wurde am 27. November 2019 aktualisiert durch die Einfügung des Absatzes über das Schreiben des Berliner Finanzsenators an den Bundesfinanzminister sowie durch die Erwähnung des Antragsentwurfs der Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff