»Mein Kampf« im Schulunterricht

Geschichte Am 08.01.2016 erscheint die editierte Ausgabe von Hitlers »Mein Kampf«. Ob die Bücher im Schulunterricht eingesetzt werden sollten, ist umstritten. Wenig spricht dagegen

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Adolf Hitlers "Mein Kampf" (Ausgabe von 1941)
Adolf Hitlers "Mein Kampf" (Ausgabe von 1941)

Bild: Sean Gallup/Getty Images

In wenigen Tagen wird die vom Münchner Institut für Zeitgeschichte kritisch editierte Ausgabe von Hitlers »Mein Kampf« erscheinen. Da am 31.12.2015 die Urheberrechte am Werk, die bislang von der bayerischen Landesregierung gehalten wurden, erlöschen, hatte es sich das IfZ zur Aufgabe gemacht, "unmittelbar nach Ablauf dieser Frist eine wissenschaftlich kommentierte Gesamtausgabe vorzulegen".

Warum die mehrjährige Arbeit an der kritischen Edition des Teams um Christian Hartmann sinnvoll ist, erläutert das IfZ überzeugend nicht nur mit dem Hinweis darauf, dass das Werk bereits heute via Internet auch in deutscher Sprache einfach zugänglich ist, sondern ebenso damit, dass die "Kommentierung von »Mein Kampf« [...] nicht nur eine wissenschaftliche Aufgabe [ist]. Es gibt kaum ein Buch, das mit so vielen Mythen überfrachtet ist, das so viel Abscheu und Ängste weckt, Neugier und Spekulation hervorruft und nicht zuletzt mit der Aura des Geheimnisvollen, des Verbotenen wirbt. Ein Tabu, an dem sich auch gut verdienen lässt. Daher versteht sich diese kritische Edition von »Mein Kampf« auch als Beitrag zur historisch-politischen Aufklärung. Es gilt, Hitler und seine Propaganda nachhaltig zu dekonstruieren und damit der nach wie vor wirksamen Symbolkraft dieses Buchs den Boden zu entziehen. Auch auf diese Weise lässt sich einem ideologisch-propagandistischen wie kommerziellen Missbrauch von „Mein Kampf“ entgegenwirken."

Über die Publizierung des Werkes, auch in einer kritischen Edition, ist eine intensive Debatte entstanden, die das IfZ auf seiner Webseite dokumentiert. Die Justizministerkonferenz entschied zwischenzeitlich, dass die unkommentierte Verbreitung von «Mein Kampf» auch nach dem Auslaufen der Urheberschutzfrist in Deutschland verboten bleiben soll. Eine eigene rechtliche Regelung dafür erscheint deshalb verzichtbar, weil der Straftatbestand der Volksverhetzung ausreichend sei, um den Nachdruck zu verhindern.

Ausgehend von der Empfehlung der Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), die IfZ-Edition im Schulunterricht einzusetzen, ist zwischenzeitlich eine weitere Diskussion über das Für und Wider der Nutzung des Werks im Geschichtsunterricht entstanden. Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden stehen dem Ansinnen kritisch gegenüber, auch bei den Lehrer/-innenverbänden herrscht keine einheitliche Auffassung. Die Thüringer Bildungsministerin, Birgit Klaubert (DIE LINKE), spricht sich für eine einheitliche Regelung innerhalb der Kultusministerkonferenz (KMK) aus, erteilt individuell dem Einsatz des Werkes im Schulunterricht jedoch eine Absage. Gegenüber dem MDR führte sie aus "ihr persönlicher, humanistischer Anspruch und der Respekt vor den Millionen Opfern der Nazidiktatur sagten allerdings 'Nein'."

Verständliche aber nicht überzeugende Ablehnung

Die Gründe für die Ablehnung einer Nutzung der kritisch-editierten Neuauflage von »Mein Kampf« sind individuell zwar verständlich. Sie überzeugen mich jedoch nicht und deshalb widerspreche ich an dieser Stelle meiner Kollegin Bildungsministerin.

In den vergangenen Jahren sind verschiedene Studienausgaben von Hitlers »Mein Kampf« in Deutschland erschienen, in denen das Werk auszugsweise gelesen werden konnte. Beispielhaft seien hier erwähnt die erstmals 1974 veröffentlichte Ausgabe von Werner Maser, die nun in einer Neufassung erscheint; die 1991 erschienene und ebenfalls seitdem überarbeitete Auswahl von Christian Zentner; der u.a. als UTB erschienene Studienkommentar von Barbara Zehnpfennig, der zugleich ihre Habilitationsschrift war, sowie die von Othmar Plöckinger im vergangenen Jahr herausgegeben Quellen und Dokumente zur Geschichte von »Mein Kampf«, die auf die bereits vor zehn Jahren erstmals erschienene Ausgabe "Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers 'Mein Kampf'" folgte.

Diese Veröffentlichungen verfolgten ebenso wie die vom Institut für Zeitgeschichte herausgegebene 13-bändige Dokumentation "Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen" das Ziel, interessierten Akteuren, ob nun als Historiker, Pädagogen, Studierende fachlich tangiert oder schlicht individuell interessiert, einen kritischen und erläuternden Zugang zu Dokumenten der Zeitgeschichte zu ermöglichen.

Wer die jüngst von der Bundeszentrale für politische Bildung erschienene Ausgabe 43-45/2015 der Reihe "Aus Politik und Zeitgeschichte" zur Kenntnis genommen hat, die sich ausschließlich der Neuauflage von »Mein Kampf« widmet, wird dabei auf den Beitrag "NS-Propaganda und historisches Lernen" des an der Berliner Humboldt-Universität lehrenden Geschichtsdidaktikers Thomas Sandkühler gestoßen sein. Sandkühler blickt auf die Entwicklungsgeschichte der bundesdeutschen schulischen Wissensvermittlung zum Nationalsozialismus zurück und entfaltet auf dieser Grundlage Anforderungen an eine zeitgemäße Vermittlung von Geschichtsbewusstsein.

Sandkühler führt aus, dass die kritische Edition von »Mein Kampf« "keine Zäsur für das historische Lernen dar[stellt]. [...] Auszüge aus 'Mein Kampf' gehören bis heute zum Standardrepertoire des Schulgeschichtsbuches, dürften aber nicht eingehend gelesen worden sein." Insoweit geht es auch bei der nun erscheinenden Gesamtausgabe nicht darum, dass das Werk in Gänze im Unterricht behandelt wird. "Eine vollständige Lektüre von 'Mein Kampf' im Geschichtsunterricht ist weder möglich noch erwünscht", so Sandkühler.

Möglich wird durch die Gesamtausgabe freilich die Auseinandersetzung mit dem Gesamtwerk, die sich, wie Sandkühler ausführt, in der "unterrichtlichen Auseinandersetzung mit Hitlers Buch stützen [muss] auf bewährte Unterrichtsmethoden, namentlich die ideologiekritische Interpretation."

Ob nun mit einem in Auszügen arbeitenden Studienkommentar oder der kritisch editierten Gesamtausgabe, stets wird die Behandlung von Hitlers Werk im Unterricht in einen Kontext zu stellen sein mit der ideologiekritischen Auseinandersetzung mit Hitlers Wirken einerseits und - um der geläufigen Reduktion des Nationalsozialismus auf die Person Adolf Hitler zu begegnen - mit der Aufklärung über die weit vor Hitlers Aufstieg verfestigten und wirkenden Ideologiemuster. Der Wert der Gesamtausgabe besteht deshalb, wie Wirsching in der bereits zitierten APuZ-Ausgabe feststellt u.a. auch darin, dass er offenlegt, "welche Topoi Hitler aufnimmt, die schon lange vor ihm und ohne ihn im völkischen Milieu existierten und gleichsam Allgemeingut geworden waren."

Die vom IfZ herausgegebene Gesamtausgabe von »Mein Kampf« wird insoweit ein hoffentlich lehrreiches Repertoire an wissenschaftlich fundiertem, auf dem aktuellen Forschungsstand befindlichem und in dieser Form noch nicht zur Verfügung stehendem Quellenmaterial bieten, auf dessen Grundlage das Werk aus dem historischen Kontext des frühen 20. Jahrhundert heraus erläutert und in seiner Wirkung erklärt werden kann. Dabei wird es stets erforderlich sein, Bezüge zum Alltagsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler herzustellen, Ressentiments und Abstiegsängste zu thematisieren und auf diese Weise zu hinterfragen, was der Geschichtsunterricht bereits heute vielfach leistet.

Geschichtsunterricht weiterentwickeln

Die Debatte um die Nutzung der Gesamtausgabe von »Mein Kampf« im Schulunterricht hat insoweit eine sinnvolle Funktion. Sie kann dazu beitragen, die alltägliche Vermittlung des Nationalsozialismus im Schulunterricht didaktisch-methodisch zu unterfüttern und neue Ideen für die Lehrer/-innenbildung zu entwickeln. Hier gibt es sicherlich manches grundsätzliche Defizit, wie Johannes Osel in der Süddeutschen beschreibt: „Möglich ist wohl nur das Lesen von Auszügen im Fach Geschichte - in einem Fach, das wegen Lehrplanreformen seit Jahren leidet, das in manchen Stufen nur noch einstündig läuft oder als Kombi-Fach, zum Beispiel mit Sozialkunde. Lehrer müssen dort ohnehin aufs Tempo drücken. Der Holocaust selbst nimmt zwar viel Platz ein - aber: Kaum ist der Kaiser 1918 außer Landes, marschieren wenige Stunden später schon die Braunhemden auf. Der Hitler-Putsch dauert oft nur 15 Minuten, der Erste Weltkrieg ist fast zu einem Randthema geworden.“

An dieser Stelle kann und sollte die Kultusministerkonferenz sinnvoll begleiten. Ob und wie die Schulen die IfZ-Ausgabe von »Mein Kampf« im Unterricht nutzen undob sie die Ausgabe, in einer zweiten Auflage mit höherer Stückzahl, dann tatsächlich bestellen, sollte den Schulen selbst überlassen werden. Schulautonomie statt -bürokratie lautet das Stichwort.

Vor drei Jahren urteilte Barbare Zehnpfennig in der "Welt": "Die Deutschen immer noch vor Hitlers Buch schützen zu wollen, verrät einen volkspädagogischen Eifer, den man nur haben kann, wenn man dem Volk kein Urteilsvermögen zutraut". Wir sollten dieses Zutrauen aufbringen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

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