Huch! Schluss?

Lyrik Wenn Marco Tschirpke singt oder einen Witz erzählt, kann alles ganz schnell vorbei sein
Ausgabe 05/2018

Trifft man ihn abseits seiner Auftritte, hat man einen aufgeräumten, ruhigen Zeitgenossen vor sich. Auf der Bühne ist Marco Tschirpke ein Ausbund an Fahrigkeit, gibt sich spontan bis planlos – alles nur Show. Diese Show zieht Tschirpke als Klavierkabarettist seit 15 Jahren ab. Und obwohl es viele Pianisten gibt in der Kabarettszene: Tschirpkes Werk sticht hervor und sucht bislang seinesgleichen.

Denn der Musiker und Lyriker legt größten Wert darauf, sich in aller Kürze auszudrücken. Deshalb dauern seine „Lapsuslieder“, wie er diese selbst geschaffene Kurzgattung nennt, in den seltensten Fällen länger als eine Minute. Das gilt auch für die Gedichte Tschirpkes, die Mitte Januar im Band Empirisch belegte Brötchen erschienen sind. Es ist nach dem Spiegel-Bestseller Frühling, Sommer, Herbst und Günther (2015) seine zweite Gedichtsammlung, die bei den Ullstein-Buchverlagen erscheint. Bücher bei Verlagen zu veröffentlichen, bedeute immer, Kompromisse eingehen zu müssen, gibt der Künstler zu. Er müsse sich erst einmal daran gewöhnen, sie nicht ganz alleine zu machen. Bei seinen ersten Lyrikbänden hatte er noch vom Artwork bis zur letzten Abnahme alles selbst organisiert.

Tschirpkes Gedichte sind prägnant, pointiert und gerne stichelnd, ohne dabei grundlos fies zu sein. Er beschreibt versiert vermeintlich uninteressante Geschehnisse des Alltags, die er witzelnd kommentiert und ad absurdum führt. Und vereinzelt streut der Autor auch berührend schöne Gedichte ein. Zum Beispiel beschreibt Tschirpke, wie er mit jedem Ärger, den er hat, im Park Gassi geht – um den Ärger dort von der Leine zu lassen und alleine zurückzukehren. Daneben versammelt der Band auch bissige Kommentare und Sehrkurzgeschichten. Tschirpke, 1975 in Rathenow geboren, rechnet darin unter anderem mit der Generation der 68er ab: „Sie wollten die Vereinigung aller Proletarier. Sie erreichten die Mülltrennung.“ Daneben stehen Gedichte zum alten China oder bislang eher unbeleuchteten historischen Ereignissen. Sein Verständnis von und großes Interesse an Geschichte sind auch im neuen Lyrikband unverkennbar. Doch insgesamt überzeugt der Band nicht nur durch den Tschirpke-eigenen Tonfall, der läppisch und bildungssprachlich zugleich wirkt. Es wird zudem eine thematische Bandbreite bespielt, die die jedes Generalisten in einer Lokalredaktion übersteigt:

Tschirpke liefert Gedichte über Tiere (und tierähnliches Verhalten bei Menschen), „Brut und Pflege“, Natur, Politik und natürlich über die Kunst – sein Herzensthema. Allein Tschirpkes Texte und Lieder über die Malerei könnten über eine Stunde Programm füllen. Wer Marco Tschirpke auf der Bühne erlebt, merkt spätestens nach zehn Minuten, dass es ihm darum geht, mit den Erwartungen seines Publikums zu spielen und mit diesen zu brechen. Er legt ein irres Tempo hin, wenn er in die Tasten des Klaviers haut – um dann ruhig zu warten, nachdem sein Kurzlied ein überraschend abruptes Ende genommen hat.

Mal flach, aber mit Steigung

Marco Tschirpke bespielt kleine Kabarettbühnen genauso wie den Quatsch Comedy Club, er hat großen Respekt vor der so oft kritisierten Comedy. Schließlich kann er selbst auch mal flache Witze reißen und bastelt manches Gedicht scheinbar nur, um es im letzten Vers durch ein Wortspiel in einen Kalauer zu verwandeln. Einige dieser Gags haben es jetzt auch in den neuen Lyrikband Empirisch belegte Brötchen geschafft. Das gleichnamige Kabarettprogramm hat an diesem Wochenende in Berlin Premiere. Mitte des Monats erhält Tschirpke dann in Mainz den Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte „Chanson/ Lied/ Musik“.

Manchmal macht der Brandenburger auf der Bühne so verstiegene und um drei Ecken gedachte Witze, dass die meisten Zuschauer im Saal erst mal verwirrt zurückbleiben. Dann sagt Marco Tschirpke selbstironisch, er mache „gerne eine Handvoll Scherze nur für mich.“ Dabei guckt er verschmitzt in den dunklen Raum, so als mache ihm ein stilles Publikum fast so viel Spaß wie ein laut lachendes. Und dann geht der Abend weiter. Wie üblich bei Tschirpke: in einem rasanten Tempo.

Info

Empirisch belegte Brötchen: Gedichte und Geschichten (in überwiegend komischer Manier) Marco Tschirpke Ullstein Taschenbuch € 21,99

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Geschrieben von

Ben Mendelson

freier Journalist. Schwerpunkt: öffentliche Daseinsvorsorge und Privatisierungen. Wirtschaftshistoriker und Vierteljurist.

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