Noch twittert die kritische Polizei

Social Media Es gibt sie, die reflektierenden Polizisten. Aber wie lang werden sie sich noch öffentlich äußern?
Ausgabe 05/2020
Pressesprecher hin oder her: Am Ende müssen immer die Beamten den Karren aus dem Dreck, äh, schieben
Pressesprecher hin oder her: Am Ende müssen immer die Beamten den Karren aus dem Dreck, äh, schieben

Foto: Imago Images/CHROMORANGE

Im Spannungsfeld von Polizei, Medien und medialer Öffentlichkeit sind Debatten oftmals sehr speziell. Und es läuft betrüblich viel schief. Journalist*innen, die unhinterfragt Polizeimeldungen übernehmen, die Polizei – mitunter selbst Akteur –, die zum parteiischen Berichterstatter in eigener Sache wird. Man hat das zuletzt in Connewitz gesehen, aber es gibt auch andere Beispiele. Was all das eint: Am Ende steht meist ein Diskurs, der sich vor allem durch Lagerdenken auszeichnet.

In diesen Zusammenhängen wäre Differenzierung wichtig. Eine Gruppe, die sich darum immer wieder verdient macht, ist der Verein „PolizeiGrün“, der sich – so heißt es in der Selbstbeschreibung – die „Förderung einer toleranten, kritikfähigen und rechtsstaatlichen Bürgerpolizei“ zur Aufgabe gemacht hat und dabei gezielt auch den Dialog mit Medien und Öffentlichkeit sucht. Die Mitglieder sprechen sich unter anderem für eine Kennzeichnungspflicht aus, thematisieren das Rechtsextremismus-Problem innerhalb der Polizei, kritisieren Polizeigewalt – und sind dabei doch selbst Teil der Institution.

Da sollte es zu denken geben, dass kürzlich der zweite Vorsitzende des Vereins, Armin Bohnert, über den Twitter-Account von PolizeiGrün schrieb: „In eigener Sache: Im Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und politischer Mäßigungspflicht müssen wir unsere Tätigkeit in den sozialen Netzwerken überdenken und ggfls. neu justieren.“

Bohnert hatte im Dezember 2019 den Badischen Neuesten Nachrichten ein Interview gegeben, in dem er die Polizei kritisch betrachtete. Es ist ein sachliches, unaufgeregtes Gespräch. Trotzdem folgte heftige Gegenrede vonseiten der Deutschen Polizeigewerkschaft, die erklärte, man müsse sich doch fragen, ob Herr Bohnert in seiner Funktion und als Angehöriger des höheren Dienstes noch tragbar sei. Dass sich Bohnert etwas aus der Öffentlichkeit zurückzieht, kann man daher auch als Selbstschutz verstehen.

Laut Polizeipräsidium Freiburg wird das Interview intern geprüft. Zu disziplinarischen Folgen äußert man sich nicht. Wer sich dagegen äußert, ist Oliver von Dobrowolski, Vorsitzender von PolizeiGrün. Er hat ebenfalls immer wieder selbst erlebt, wie heftig die Reaktionauf seine Kritik an der Polizei ausfallen kann. Von Dobrowolski berichtet von Beschwerdebriefen, die nach seinen Äußerungen an die Polizeipräsidentin geschickt wurden, man habe ihm den Tod gewünscht, Gewaltfantasien geschickt. Das komme aus der rechten Blase – und eben auch von Kolleg*innen. Dabei will von Dobrowolski mit seiner Haltung vor allem Brücken bauen und „Missverständnisse auf beiden Seiten auflösen“. Dafür wird der Twitter-Account von PolizeiGrün nun doch weiter bespielt. „Persönliche Anfeindungen und wiederholtes Anschwärzen bei den Dienstherren müssen aktuell ausgewertet werden. Hier geht es grundsätzlich weiter! Schon allein, um den hierfür Verantwortlichen nicht zum Triumph zu verhelfen“, hat Oliver von Dobrowolski dort geschrieben.

Zum Glück, denn es reicht ein Blick auf die Polizei-Debatten der letzten Monate und Jahre, um zu erkennen, dass es Folgen hat, wenn interne Kritik niedergewalzt wird. Einerseits befördert es die viel zitierte Diskursverschiebung nach rechts. Weil in den Medien am Ende doch eher Rainer Wendt mit seinen steilen Thesen auftaucht. Weil Andersdenkende innerhalb einer mächtigen und oft auch seitens der Medien unkritisch begleiteten Institution zu verstummen drohen.

Doch es hilft andererseits auch der Polizei selbst nicht. Denn die Erkenntnis, dass es auch progressivere Stimmen innerhalb der Polizei gibt, könnte bei einigen das Vertrauen stärken – besser als so manche flotte Social-Media-Charmeoffensive.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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