Im Alpenland ging’s schon immer gesellig zu, wofür das alte Volkstheater etwa mit dem Hanswurst und Kasperl früh die passenden Typen ins Spiel brachte. Dass sich hinter der Backhendl-Leichtigkeit jedoch stets auch Abgründe auftaten, haben Autor*innen der Wiener Moderne und Spätmoderne mit galliger Komik offengelegt – mit einem besonderen Humor, der für die österreichische Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts stilprägend wurde. Eine seiner Wurzeln findet sich neben „Kakanien“, wie Robert Musil herrlich abschätzig die k.u.k.-Monarchie in seinem Epochenroman Der Mann ohne Eigenschaften (1930) nannte, mitunter in Ödön von Horváths satirischem Drama Geschichten aus dem Wiener Wald (1931).
Nachdem die Leser*innen vor
Nachdem die Leser*innen vor der Kulisse der Wachau mit Strauß’ An der schönen blauen Donau in walzerselige Stimmung versetzt werden, führt sie der Autor in das Gruselkabinett des Wiener Kleinbürgertums ein. Ein Metzgermeister betreibt gerade mit seinem Schlachtermesser Maniküre, unterdessen beschimpft sein Gehilfe ein Mädchen als „gestrige Sau“, die er am liebsten „abstechen würde“. Wird die Frau hier zumindest symbolisch penetriert, übt man sich wenige Ecken weiter mit „Küss die Hand“ in kulturüblichen Höflichkeitsfloskeln. Diese Formeln täuschen allerdings kaum über die Dekadenz und Borniertheit dieser von Materialismus zerfressenen Gesellschaft hinweg, in der Horváth nichts anderes als den Keim des Zerfalls Europas erkannte.Lässt der 1901 geborene Autor noch die Gegensätze von Etikette und Raubeinigkeit krass aufeinanderprallen, ist Thomas Bernhard, der sich dezidiert immer wieder auf ihn bezog, längst zur schonungslosen Tirade übergegangen. Allein in seinem Werk Holzfällen. Eine Erregung (1984) erweist sich der Titel als Programm. Aus der geschützten Ecke seines Ohrensessels heraus zerfetzt der Ich-Erzähler in den typischen Wiederholungsschleifen des grantelnden Schriftstellers verbal eine Wiener Salongesellschaft der 1980er-Jahre, die sich auf tragisch-ironische Weise selbst überlebt hat. Von „Bankrotteure[n]“ und Vertretern eines „kleinbürgerliche[n] Popanz“ ist die Rede, von Schauspielern, die aus der Burg „ein Siechhaus ihres dramatischen Dilettantismus gemacht haben“. Oder von der gemein auf die Dichterin Friederike Mayröcker abhebenden „Schreker“, einer „Nachfolgerin und Übertrefferin der Droste“. Geboten wird feinste Kunstbetriebssatire, die insbesondere die Ambition verfolgt, das „verkommene österreichische Geistesleben“ zu dekonstruieren, hinter dessen schillernder Fassade, ähnlich wie in Geschichten aus dem Wiener Wald, vor allem Heuchelei und ein versteckter Hass auf alles Fremde zum Vorschein kommen.Traditionsbestimmend für diese krachende, parodistische Komik scheint die entlarvende Logik zu sein. Konsequent arbeiten die Autoren Projektionen falscher, nationalkultureller Selbstvergewisserungen heraus, verborgen unter dem Mantel von Gemütlichkeit und lockerer Beiselatmosphäre. Erst mithilfe gleißender Ironie wird der Illusionsraum demaskiert und krude Wirklichkeit gezeigt: Sowohl bei von Horváth als auch bei Bernhard manifestiert sich das Wir in der Abgrenzung vom Anderen, in der spezifischen Form des Austrofaschismus, dessen Wabern im kollektiven Unbewussten allen voran durch einen erkenntnisstiftenden Humor zutage tritt.Makabre SuadaFür sein Fortleben sorgt bis heute Elfriede Jelinek. Weil sie in ihrem Schreiben seit jeher den Einfluss der rechtspopulistischen FPÖ zum Thema machte, handelte sich die Literaturpreisträgerin früh das Verdikt der „Nestbeschmutzerin“ ein. Wie Rassismus, Antisemitismus und Sexismus heute mehr denn je ihr Unwesen treiben, lässt sich exemplarisch in ihrem letzten Werk, Angabe der Person (2022), studieren. In der Suada, in der sie mitunter von Ermittlungen der Finanzbehörde gegen sich selbst erzählt, trifft man etwa auf folgenden makabren Satz: „Wandel ist des Müllers Lust und des ewigen Juden, ob dem das Freude macht, weiß ich nicht.“Nur zieht das diskriminierte Volk nicht aus freudiger Passion umher, wie so manche Wanderer aus hier angespielten romantischen Texten. Ihm fehlt es genauso wie anderen migrantischen Gruppen an einer Heimat. Gemein ist allen, dass ihnen verschlossene Grenzen das Weiterziehen verwehren. Das Geld hingegen flottiert frei, und zwar gern auch schwarz und in Richtung von Schweizer Banken. Über jene, die an der nationalen Abschottung scheitern und im Ozean ertrinken, heißt es: „Wir retten sie jetzt extra nicht. Ich sehe, das Meer ist gut aufgestellt, oh Meer, das über Kindern ausgekippt wird wie Dividenden über die Altäre der Aktionäre!“ Die Wasserfluten bedeuten für die Mittellosen den Tod, für die Begüterten stellen die Geldfluten einen Segen dar.Und so verfugt die Autorin mittels Kalauer, Redewendungen und metaphorischer Scharniere das System des Faschismus mit einer ausbeuterischen Form des Kapitalismus. Sie macht dadurch auf deren gemeinsames Funktionsprinzip, nämlich – aus Sicht der Marxistin Jelinek – die Unterdrückung, aufmerksam. Aus den Kollisionen von Gegensätzen bei Horváth und Bernhard ist bei dieser Gegenwartsautorin ein Ineinander sich verstärkender Macht- und Ausbeutungselemente geworden, veranschaulicht durch eine bittere Komik, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Das ist letzten Endes so böse wie ehrlich.