„Amüsanter Kapitalistenfresser“

Plädoyer Es wird Zeit, das Werk des DDR-Staatsautors Hermann Kant wiederzuentdecken
Ausgabe 20/2021
Der Schriftsteller Hermann Kant während einer Lesung in Ost-Berlin, 1982
Der Schriftsteller Hermann Kant während einer Lesung in Ost-Berlin, 1982

Foto: Werner Schulze/Imago

Wäre die DDR sozialistisch gewesen, dann hätte der Westen eine Mauer gebaut. Das wissen all jene, die sich ihr Streben nach einer gerechten Welt von Honecker und Mielke keinesfalls verderben lassen. Von Hermann Kant (1926 – 2016) sind solche Worte nicht überliefert. Womöglich hätte er ihnen aber etwas abgewinnen können. Obwohl er sagte, er gehöre nicht zu denen, „die der DDR im Nachhinein am Zeuge flicken wollen“, stammen von ihm auch diese Nachwendesätze: „Mit Eingesperrten kann man keinen Sozialismus aufbauen. Wer eine Mauer ziehen muss, damit die Leute nicht weglaufen, hat schon sein Scheitern eingebaut.“ Viel früher, in seinem sich noch heute erstaunlich gut lesenden Roman Die Aula (1965), schrieb er sogar: „Und wenn es einen Grund gab, der einem die Augen wohl tropfen machen konnte, dann war es diese Grenze mitten durch Berlin.“

Die damalige „First Lady“ Lotte Ulbricht soll nach der Lektüre des Romans ausgerufen haben: „Ja, so wie Kant muss man schreiben“, Volksbildungsministerin Margot Honecker dagegen hielt das Buch für revisionistisch. Deren Ehemann Erich wurde Kant später zum Förderer, der Literat wiederum nahm sich mehr heraus als andere. Sein Roman Das Impressum sollte 1969 erscheinen. Dann aber lagen die Druckbögen drei Jahre lang im Keller, ehe das Buch herauskam. Vom ersten Satz an („Ich will aber nicht Minister werden“) empfanden die Planer und Leiter das Werk als Angriff auf die führende Rolle der Partei. Kant schrieb gegen die Dogmatiker an – und war einer von ihnen.

Seine Funktionen: 1974 – 1979 Mitglied der SED-Bezirksleitung Berlin, 1976 – 1990 Präsident des Schriftstellerverbands, 1981 – 1990 Abgeordneter der Volkskammer, 1986 – 1989 Mitglied des ZK der SED. Mehr Establishment geht kaum. Und vielen Kollegen tat er unrecht. Dass Kant zudem nach 1990 nicht zum Wendehals wurde, verzieh man ihm nicht. Roman für Roman wurde verrissen, selten ohne den Hinweis, da geriere sich der „Erste Staatsschriftsteller der DDR“ (Frankfurter Rundschau) als „amüsanter Kapitalistenfresser“ (FAZ).

Einer der wenigen, die mit Kant gerecht umgingen, war Marcel Reich-Ranicki. In einer Ausgabe des Literarischen Quartetts kamen Kants Memoiren Abspann 1991 bei drei Gästen aus ideologischen Gründen schlecht weg. Nur Reich-Ranicki legte Wert auf die Feststellung: „Aber schreiben kann er!“ Wer würde dem unerbittlichsten aller Kritiker schon widersprechen wollen? Kant hat einen Ton gefunden, der die Ironie noch als Florett begriff. Sein Tempo, seine Perspektivwechsel, seine Sprachspiele haben nichts zu tun mit dem Klischee des „sozialistischen Realismus“. In beinahe jeder Zeile dieses Autors offenbaren sich Herkunftsschmerz und Veränderungsdrang. Kants Vater wurde 1933 vom Gärtner zum Straßenfeger degradiert, weil er nicht für die Entlassung eines kommunistischen Kollegen gestimmt hatte. Dass er selbst als Arbeiterkind studieren konnte, hielt Kant für den zentralen Vorzug der DDR, die er bis zuletzt verteidigte. Widersprüche auszuhalten und verstehen zu wollen, was Andersdenkende antreibt, das kommt in den Deutungskämpfen der Gegenwart abhanden. Mit Kant lässt es sich wieder einüben. Bei Aufbau ist soeben unter dem Titel Therapie eine Sammlung letzter Texte erschienen. Sie eignet sich als Einstieg, ehe das Hauptwerk Der Aufenthalt (1977) folgen sollte, in dem Kant seine vier Jahre als Kriegsgefangener in Polen verarbeitet hat. Vom Spätwerk ist Kino (2005) jener Roman, in dem Kant wieder zu alter Stärke gefunden hat. Einstweilen bleibt sein angestammter Platz der verlorene Posten. Doch die bornierten Kritiker werden vergessen sein, da wird Der Aufenthalt noch als großer Roman gelten. Für Hermann Kant könnte wahr werden, was Fidel Castro einmal für sich formulierte: Die Geschichte wird ihn freisprechen.

Info

Therapie – Erzählungen und Essays Hermann Kant Aufbau 2021, 160 S., 22 €

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