Der Faktor liegt bei zehn. Jede Institution, die in Missbrauchsverdacht gerät, sollte sich diese Zahl vor Augen halten. Wer sexuelle Gewalt gegen Kinder nicht aufklärt, der wird mit zehnfacher Wucht von den Spätfolgen bestraft. Als vor einigen Jahren bekannt wurde, dass es bei den berühmten Regensburger Domspatzen zu Schlägen und sexuellen Übergriffen im Namen des Herrn gekommen war, da reagierte die Kirche, wie sie halt reagiert. Sie ließ sich missmutig auf eine interne Revision der Fälle ein. Nach einem Jahr Suche fand sie 78 Betroffene und eine Handvoll Täter. Zur Veröffentlichung des Berichts lud sie nur ausgewählte Presseleute ein. Und die Uhr begann zu ticken.
Jetzt, knapp fünf Jahre später, schätzt ein unabhängiger Aufklärer die Zahl der Opfer auf 700. Konkret nachweisen kann er bereits 231 Fälle von körperlicher Gewaltanwendung und 50 Fälle von sexueller Gewalt, sprich Missbrauch. Der Fall der Domspatzen macht deshalb so sprachlos, weil er die katholische Kirche bis hinauf zum Vatikan kontaminiert. Es gibt ehemalige Domspatzen, die den früheren Domkapellmeister und Bruder von Papst Benedikt XVI. beschuldigen, ein Sadist zu sein. Sie beschreiben im Detail, wie brutal Georg Ratzinger zugeschlagen hat – und behaupten: Er kannte das System des sexuellen Missbrauchs, aber er klärte nicht auf. Mit dem Chef der Glaubenskongregation im Vatikan, Kardinal Ludwig Müller, sitzt der oberste Regensburger Halbaufklärer inzwischen an der Spitze der römisch-katholischen Inquisition. Ein bisschen mehr Inquisition im Namen der vielen Opfer unter den Domspatzen hätte man sich gewünscht.
Der Fall Regensburg ist aber keine katholische Besonderheit. Alle Institutionen, die sexuellen Missbrauch duldeten oder sogar propagierten, kennen die verschleppte Aufklärung. So war es an der Odenwaldschule, wo 1999 die ersten Berichte weggenuschelt wurden. Elf Jahre später zwang eine Neuauflage des Skandals die Schule dann in die Knie. So war es bei den Grünen, die zwar im Jahr 2013 mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wurden. Aber in Berlin-Kreuzberg, dem Zentrum der Missbräuche, warten an die 1.000 Opfer immer noch darauf, anerkannt zu werden. Die Grünen haben inzwischen einige von ihnen entschädigt. Aber in den Annalen der Alternativen Liste tickt die Zeitbombe weiter. Sie wird, wenn sie einst explodiert, viele hinwegreißen.
Was können die Institutionen lernen, was die Gesellschaft? Da helfen keine warmen Worte, sondern ein Blick auf den kalten und gnadenlosen Mechanismus der unabhängigen Aufklärung in Großbritannien. Dort haben die Behörden im Fall des Radio-DJs Jimmy Savile gezeigt, wie man auch grausamste und verworrenste Systeme sexuellen Missbrauchs im Nachhinein gründlich ausleuchten kann: durch Kommissionen, die von außen fachkundig besetzt werden, die Interviews von amtlich bestellten Ermittlern führen lassen – und zeitnah Berichte veröffentlichen. Durch diese offiziellen Dokumente hat jedes Savile-Opfer heute die Genugtuung, sagen zu können: Hier steht es schwarz auf weiß, ich wurde missbraucht, es ist geschehen. In Deutschland ist das weder an der Odenwaldschule noch bei den Grünen noch bei den Domspatzen möglich, ohne Verleumdungsklagen zu riskieren. Es ist für die Opfer von größter Bedeutung, diese Form von Anerkennung zu bekommen – wenn schon ihr Leben verpfuscht ist und die Täter wegen Verjährung nicht belangt werden können. Gute Berichte können auch den Institutionen helfen. Denn wer nicht radikal aufklärt, riskiert den Untergang.
Kommentare 8
Der Skandal um das Canisius Colleg war ein befreiender Schlag für österreichische Opfer in kirchlichen Einrichtungen. Dank an Pater Mertens. So geriet auch die r.k. Kirche in Österreich in Zugzwang. Die Medien berichteten, und die Opfer wurden endlich gehört. Insgesamt wurden 1700 ! Betroffene von der Kirche "entschädigt". Umgerechnet auf die Einwohnerzahl D 17.000. Danke für den Bericht. Es ist noch viel zu tun. Ich selbst war 14 Jahre lang in den verschiedensten Instituionen und weiß ein Lied davon zu singen. mfg aus Wien. F.J.St.
@Klosterzoegling,
der Jesuit Klaus Mertes, 2010 Leiter der Canisiusschule, wird in der Öffentlichkeit meistens als der Initiator des "Missbrauchtsunamis" wahrgenommen. In Wirklichkeit waren es aber die Opfer des Jesuitenordens, die die Aufklärung der kirchlichen Missbrauchskriminalität in Gang brachten. Was sich in kürzester Zeit auf alle anderen Tatorte ausweitete, an denen Kinder und Jugendliche sexuell ausgebeutet werden.Hier Näheres zum Ablauf http://www.eckiger-tisch.de/wp-content/uploads/2011/06/Dokumentation_ECKIGER-TISCH_September-2010.pdf
VG
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden
Einen Hinweis darauf, woran es liegen könnte, dass der Klerus die Missbrauchskriminalität, die er zu verantworten hat vertuscht, teils sogar befördert, könnte folgender Kommentar liefern, der vor fünf Wochen auf BR erschien.
cbk69muc, Nr. 142. Erkennbare Muster in der Fam. Ratzinger
"Mein Cousin, Jahrgang 1965, war als acht - und neunejähriger dort. Verließ die Schule Knall auf Fall. Weigert sich bis heute, darüber zu sprechen und wird ganz verschlossen, wenn man es versucht. Heute recht alte, pensionierte Polizeibeamte Münchens schwören Stein und Bein, während ihrer aktiven Dienstzeit an lauen Sommerabenden niemanden so oft der Heckenreihen des Münchner Hofgartens verwiesen zu haben, wie einen jungen Priester und Theologielehrer, der sich dort von kaum 16jährigen "verwöhnen" ließ. Kaum Papst gewordern, veröffentlich der Mann eine Enzyklika, in der Homosexualität (die er - wie unter katholischen Priestern anscheinend üblich - offensichtlich mit [der eigenen] Pädophilie gleichsetzt) als "schwere Sünde" bezeichnet wird !!!"
http://www.br.de/nachrichten/oberpfalz/inhalt/regensburger-domspatzen-missbrauch-zwischenstand-100.html
Aber in Berlin-Kreuzberg, dem Zentrum der Missbräuche, warten an die 1.000 Opfer immer noch darauf, anerkannt zu werden.
Soweit ich informiert bin, befanden sich zwar zwei der Haupttatorte dieser Bande in Kreuzberg (Falckensteinkeller und Kinderbauernhof im Görlitzer Park), aber die Täter waren in ganz Berlin aktiv. Nach dem Mauerfall auch im Ostteil der Stadt. Bei der Gelegenheit: wie auch im Falle der Domspatzenmissbrauchskriminalität müssen wir davon ausgehen, dass sich bei der durch AL-Mitglieder betriebenen sexuellen Ausbeutung Täter-Opfer-Ketten gebildet haben. D. h. die Missbrauchskriminalität wurde mit großer Wahrscheinlichkeit weiter betrieben und getragen und zwar bis heute. Berlin-Schöneweide ist als Standort für Wohnungen in die Pädokriminelle Kinder aus sozial schwachem Milieu locken, um sie zu missbrauchen berüchtigt. In diesem Stadtteil liegt auch die Wuhlheide, in dem sich die Parkeisenbahn befindet. Vor Jahren wurde dort ein Missbrauchsskandal aufgedeckt. Eines der Opfer erlangte traurige Berühmtheit http://www.tagesspiegel.de/berlin/seit-18-jahren-vermisst-manuel-schadwald-verschwand-auf-dem-weg-ins-fez/5772690.html . Angeblich gab es Kontakte zu Martin Ney, dem "Maskenmann", einem später wegen Serienmords an Kindern verurteilten Pädokriminellen https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Ney Dieser Mann soll ebenfalls in Verbindung zu einem niedersächsischen Jugendprojekt, einem "Steinzeitdorf" gestanden haben.
Kurzum: manche Pädokriminelle agieren einzeln. Viele rotten sich aber zusammen. Schon allein weil es dann einfacher ist den Missbrauch zu organisieren. Solche Verbünde gab und gibt es unter Anderem bei der Odenwaldschule und innerhalb der katholischen Priesterschaft. Wobei auch mit anderen Gruppen korrespondiert wird.
Es gibt überall noch eine Menge aufzuarbeiten.
Zeitbombe: eher ein schwarzes Loch.
"Zudem soll er gegenüber den Beamten von Misshandlungen während seiner Schulzeit bei den Domspatzen berichtet haben. Als er die Misshandlungen öffentlich machen wollte, sei er in die Psychiatrie eingewiesen worden, so seine Vorwürfe gegenüber der Polizei. Der 29-Jährige war bis Dezember 2000 Internatsschüler bei den Domspatzen,..."
http://www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/regionales/Prozess-um-Unterbringung-29-Jaehriger-soll-bei-den-Domspatzen-misshandelt-worden-sein;art1172,353187
Exzessive Gewalttätigkeit ist bei Männern eine relativ häufige Form der Reaktion auf Traumatisierungen. Im Jahre 2000 war dieser junge Mann 13 Jahre alt. Wurde er damals als Regensburger Einwohner in die Psychiatrie eingewiesen, dann vermutlich hier hinhttp://www.medbo.de/kliniken-heime/kinder-jugendpsychiatrie/regensburg.html . Bis 2011 war Dr. Martin Linder Chefarzt dieser Abteilung (Kinder- und Jugendpsychiatrie des Bezirksklinikums Regensburg). Derzeit ist der Ansprechpartner für Missbrauchsfälle des Bistums
http://www.bistum-regensburg.de/bistum/einrichtungen-a-z/ansprechpartner-fuer-verdachtsfaelle-sexuellen-missbrauchs/
Heißt, es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass Dr. Linder damals, im Jahre 2000 zu mindestens von diesem Misshandlungsfall bei den Domspatzen erfahren hatte. Wie auch so gut wie alle misshandelten Domspatzen, die als Minderjährige stationär psychiatrisch behandelt werden mussten, ins Bezirksklinikum eingeliefert worden sein dürften. Wir sollten deshalb davon ausgehen, dass die Verantwortlichen dort ziemlich genau darüber Bescheid wussten, was in den Domspatzeneinrichtungen vor sich ging. Inwieweit MitarbeiterInnen der KJP Regensburg mit der Institution Domspatzen bzw. dem Bistum kooperierten, sollte im Zuge der unabhängigen Aufklärung unter staatlicher Aufsicht, deren Notwendigkeit sich immer deutlicher abzeichnet untersucht werden.
Missbrauch zu vertuschen statt aufzuklären, ist keine katholische Besonderheit
Von Missbraucherseilschaften zu profitieren ist ebenfalls eine Eigenschaft, die längst nicht nur kirchliche Einrichtungen kennzeichnet. Aber so wie es aussieht, war - und ist - dort der Gewinn besonders groß. Dazu ein Kommentar von "HutzelWutzel", einem gut informierten Foristen auf "Regensburg-Digital":
"Ich kann es mir auch nicht verkneifen zu behaupten, dass hier scheinbar Generationen von Kirchenzöglingen ob deren Dulden und/ oder Schweigen fürstlichst mit Arbeitsstellen und/ oder Ämtern „belohnt“ wurden. Stellen wir uns also die Frage ob sich die Oberpfalz in diesen immer miesen werdenden Zeiten überhaupt noch emanzipieren kann. In einer Region in der fast 90% des Grund- und Waldbesitzes der Kirche oder dem Adel gehören soll, ist man eben darauf angewiesen.."
http://www.regensburg-digital.de/monsignore-kirchlich-entsorgt/18022016/#comment-349094
So eine "Stelle" oder ein "Amt" beim Bistum kann auch eine informelle Position sein. Womit wir wieder bei einigen der bislang noch nicht befriedigend beantworteten Ausgangsfragen wären: auf welche Weise hat die Katholische Kirche diesen Besitz erworben? Genauer: wie viel davon hat sie seit dem Ende des zweiten Weltkrieges angehäufelt? Welche Transaktionen wurden dabei offiziell und welche über Mittelsleute abgewickelt? Letzere einzusetzen bildet ein Klima, das auch Missbrauchskriminalität begünstigt.
http://www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/regionales/Der-Staat-hat-mich-vergewaltigt-29-Jaehriger-wollte-noch-mehr-Polizisten-verletzten;art1172,352929
"Er hatte Angst vor einer psychiatrischen Einweisung, weil er dann nicht mehr als Arzt arbeiten kann"
Interessant wäre, zu erfahren, wie viele der Absolventen des Domspatzengymnasiums Medizin studiert haben. In dem Zusammenhang möchte ich auch an die bisher unaufgeklärte Ermordung von Maria Baumer erinnern. Haupttatverdächtiger: ihr ehemaliger Verlobter, ein ehemaliger Domspatz, gegen den schon wegen anderer Übergriffe ermittelt worden war: sexuellen Missbrauchs und der unerlaubten Verabreichung von Betäubungsmitteln an eine seiner Patientinnen - Christian F. war Pfleger im Bezirksklinikum Regensburg
http://www.sueddeutsche.de/bayern/mordfall-baumer-neuer-verdacht-gegen-ex-verlobten-1.2164254
http://www.sueddeutsche.de/bayern/vorwurf-der-koerperverletzung-maria-baumers-ex-verlobter-in-haft-1.1992550
Haimo
Nachdem im vorigen Monat mit grossem Tam-Tam von Franziskus ein "motu proprio" verbreitet wurde (natürlich nicht in deutscher Sprache),
http://press.vatican.va/content/salastampa/en/bollettino/pubblico/2016/06/04/160604a.html
welches angeblich auch diejenigen unter den Bischöfen, die sich im Vertuschen besonders hervortaten mit Strafe (Amtsentzug) bedroht, war es einige Wochen ruhig. Nun mehren sich die Meldungen, aus denen hervorgeht, wie man im Vatikan über die Entsorgung dieser Altlasten wirklich denkt. Müller, seinerzeit Kirchenoberhaupt in Regensburg, der sogar die Presse damals mit einer Unterlassungsklage konfrontierte und erfolglos versuchte sie mundtod zu machen und damit unserer Pressefreiheit einen Bärendienst erwies soll jetzt angeblich die Mainzer beglücken.
06.06.2016Papst droht Bischöfen bei Ignorieren von Missbrauchsvorwürfen mit Absetzung
http://www.tagesspiegel.de/politik/sexueller-missbrauch-papst-droht-bischoefen-bei-ignorieren-von-missbrauchsvorwuerfen-mit-absetzung/13692290.html
18.07.2016 _ Abschied von Rom?
https://www.onetz.de/regensburg-in-der-oberpfalz/politik/abschied-von-rom-kardinal-mueller-kandidat-fuer-mainz-d1683746.html
Das fatale an der Sache ist aber der Umstand, dass die deutsche Bischofskonferenz
http://www.dbk.de/ueber-uns/
wieder einen Hardliner mehr in ihren Reihen ausweisen wird . Arme Mainzer mein Mitgefühl ist Euch gewiss.
Haimo
Etterzhausen 1962 - 1964 (Kinder KZ der Regensburger Domspatzen)