Unmöglich gemacht

Kritik Deutschlands legalisierte Prostitution war gerade kein Vorbild für die neue Kampagne von Amnesty International zur Entkriminalisierung von Sexarbeit
Ausgabe 34/2015
Legale Prostitution als Lösung? Das Frankfurter Bahnhofsviertel
Legale Prostitution als Lösung? Das Frankfurter Bahnhofsviertel

Foto: Westend51/imago

Soll man Amnesty International nun bewundern oder bedauern? Die Menschenrechtsorganisation fasst ein glühendes Eisen an: Sie will Sexarbeit weltweit entkriminalisieren. Die Initiative geht von der Amnestyspitze um Generalsekretär Salil Shetty aus, einem Inder, der die Entwicklungsländer stärker in den Fokus rückt. Das Herausheben der Prostitution aus dem Schatten der Illegalität hat für diesen Strategiewechsel hohe Bedeutung. Denn Prostituierte, deren Arbeit unter Strafe steht, sind Freiwild ihrer Kunden – gerade da, wo die innere Sicherheit fragil ist. Das ist in der Dritten Welt häufig so.

Keiner kann behaupten, er hätte den Stein der Weisheit gefunden, um die Würde der Frau (und auch des Mannes) im ältesten Gewerbe zu beschützen. Sie bestrafen – wie in Schweden? Sie unter Verdacht stellen – wie in der halben Welt? Die Prostitution legalisieren – wie in Deutschland? Letzeres hat eine Sexindustrie boomen lassen, die viele Ziele des Prostitutionsgesetzes von 2002 ad absurdum geführt hat. Amnestys Politische Direktorin Catherine Murphy betont daher, dass Deutschlands legalisierte Prostitution gerade kein Vorbild für Amnesty war.

Einen Kollateralschaden hat die Sexarbeits-Resolution bereits erzeugt: die deutsche Sektion von Amnesty hat sich in der Debatte unmöglich gemacht. Soll man sich eigentlich mit einer Position befassen, die nicht zum Auftrag von Amnesty zählt? Das war eine der Fragen, um die sich die Deutschen stritten. Wenn freilich die grassierenden Menschenrechtsverletzungen an Frauen infolge von Prostitution nicht zum Arkanum von Amnesty gehören, dann muss man an dieser Organisation zweifeln.

Es ist ja kaum eine Verletzung von Grundrechten denkbar, die derartige Ausmaße annimmt und die so eng in das sozialkriminelle Gewebe von Machtdifferenzen zwischen Mann und Frau verwoben ist, wie die Prostitution. Acht von zehn Personen, die dem Menschenhandel zum Opfer fallen, sind Frauen. Das ist kein Zufall. Denn die Wegnahme des Frauenkörpers dient in den meisten Fällen dazu, ihn zu verkaufen. Ein halbe Million Frauen werden weltweit gehandelt oder entführt, um prostituiert zu werden. Das aber bedeutet: die Habeas-Corpus-Akte aus dem 17. Jahrhundert, der historische Beginn des Rechtsstaates, sie gilt für Frauen oft noch nicht. Kein Amnesty-Thema?

Die deutsche Amnesty-Sektion ist derart entzweit und verunsichert, dass sie in Sachen Sexarbeit eher wie eine Geheimloge wirkt. Der deutsche Beschluss der Jahresversammlung im Mai zu Sexarbeit: nicht öffentlich zugänglich. Die Delegierten des Dubliner Amnesty-Konvents der vergangenen Woche: stumme Parteisoldaten. Die Mitgliedschaft von Amnesty will zwar basisdemokratisch sein, ist aber zum Schweigen verdonnert.

Das bedeutet, die Nicht-Regierungsorganisation Amnesty verzichtet auf ihr schärfstes Schwert – und ihr einziges: die Öffentlichkeit. Die Debatte findet nun praktisch ohne Amnesty Deutschland statt. Dies geschieht in einem Land, das in dem Dezennium seit der Verarbeitsrechtlichung von Prostitution einen neuen boomenden Billigmarkt der Ware Körper&Sex hat entstehen lassen. Zu Tausenden werden junge Frauen aus Osteuropa importiert, die unter anderem im Saarland in „All-you-can-fuck“-Fabriken gepfercht werden. Die Frauen aus dieser Flatrate-Zone, sie vermissen die glaubwürdige Stimme von Amnesty Deutschland.

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Geschrieben von

Christian Füller

http://christianfueller.com

Christian Füller

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