"Making Heimat" is coming home

Migration und Architektur Der deutsche Beitrag der Architektur-Biennale von 2016 ist nun in Frankfurt zu sehen. Das Deutsche Architekturmuseum zeigt eine überarbeitete Fassung von "Making Heimat"

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Eine Zusammenstellung von Spiegeltiteln machte es offensichtlich: „Flüchtlinge, Asylanten, Aussiedler: Ansturm der Armen“ hieß es 1991, „Ansturm der Armen – Die neue Völkerwanderung“ 2006. Gezeigt hat sie Erol Yildiz auf dem ganztägigen Symposium „Social Scale“, das vor der Eröffnung von „Making Heimat“ im Deutschen Architekturmuseum stattfand. Ob „Problemviertel“, „Parallelgesellschaft“, „Flutwelle“ oder „Dammbruch“: Yildiz, Soziologe an der Universität Innsbruck, wandte sich gegen die sprachliche und mediale Skandalisierung, die verhindert, dass akzeptiert wird, was seit vielen Jahren Normalität ist, was aber nicht als normal angesehen wird oder werden soll: Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und Migration mit all ihren Begleiterscheinungen zu Deutschland gehört. Von kollektiver Amnesie sprach wenig später Harald Welzer, Soziologe und Sozialpsychologe, und davon, dass Normalitäten konstruiert würden, die es nicht gebe. Äußerungen wie diese machten deutlich, was sich verändert hat. Die Euphorie des Aufbruchs und der Willkommenskultur ist einem beharrlichen Insistieren auf den Werten der offenen Gesellschaft gewichen, einem Werben für einen produktiveren Umgang mit Migrationsbewegungen, von dem man weiß, dass es ein mühsames ist.
Es ist anders noch als vor gut neun Monaten, als der deutsche Pavillon auf der 15. Architektur-Biennale eröffnet wurde und ein Bild von Deutschland zeigte, das gewiss auch als Appell zu verstehen war: Germany, Arrival Country. Frisch war damals noch die Erinnerung an den Herbst 2015, als die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet worden waren und über eine Million Schutzsuchende nach Deutschland kamen. Mit der so einfachen wie überraschenden und vieldeutigen Geste des geöffneten Pavillons hatten die Kuratoren Peter Schmal, Oliver Elser und Anna Scheuermann dies in eine architektonische Sprache übersetzt. Frische Luft zog durch den Pavillon, ein Ausblick aus dem Inneren auf die Lagune war zum ersten Mal möglich geworden. Aber das Ausstellungsgebäude konnte nicht mehr geschlossen werden: Es war verletzlich geworden. Inzwischen sind die für die Biennale in die Wände gebrochenen Öffnungen wieder zugemauert.

Das Update von „Making Heimat“


Zur Eröffnung der Ausstellung in Frankfurt am 3. März 2017 hatte Gunther Adler, Staatssekretär des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit von der traurigen Zahl von tausend Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte zu berichten, die 2016 verübt worden waren: etwa drei an jedem Tag. Vor diesem Hintergrund ist die Ausstellung, die zeigt, was in Venedig zu sehen war, vielleicht nicht mehr der Spiegel eines Selbstbildes, das sich unser Land eine kurze Zeit gegönnt hatte, sie aber nun in Deutschland zu präsentieren, ist deswegen nur um so notwendiger geworden. Am grundlegenden Aufbau ist nichts geändert worden – zum einen sind aus dem Buch „Arrival City“ von Doug Saunders abgeleitete und mit ihm entwickelte Thesen als ein argumentatives Gerüst aufgebaut. Sie benennen, was eine Stadt ausmacht, in denen Miganten sich ein neues Leben aufbauen können.
Zum anderen wird – ausführlicher als in Venedig – Offenbach als eine Ankunftsstadt gezeigt, einschließlich der Herausforderungen, die Verwaltung und Stadtgesellschaft zu bewältigen hat. Und schließlich werden – auch dies ausführlicher als 2016 und in aktualisierter Form – Beispiele für Flüchtlingsbauten in Deutschland gezeigt, die seit Oktober 2015 nach einem Aufruf des DAM eingereicht wurden. Als „Flüchtlingsbautenatlas“ ist dieser Teil der Ausstellung zur Eröffnung auch publiziert erschienen. Anhand von ergänzenden Beispielen und mit einem Teil der vom Kölner Architekturbüro BeL 2016 im Arsenale gezeigten Installation wird eine Brücke zu Themen des bezahlbaren Wohnraums geschlagen. BeL hatten das Prinzip des Selbstbaus auf den Städtebau übertragen. Projekte aus Frankfurt, Berlin und Potsdam zeigen zudem, wie Aufstockung, Verdichtung und Selbstbau für bezahlbaren Wohnraum sorgen könnten.


Was wir lernen müssen


Dass die Verknüpfung freilich nicht immer so naheliegend ist, wie es den Anschein haben mag, wurde auf dem dichten und abwechslungsreichen Symposium deutlich. Florian Nagler zeigt dort das über einem Parkplatz in München errichtete Wohnhaus für Flüchtlinge und Menschen mit geringem Einkommen, das architektonisch beeindruckte – später musste aber hinzugefügt werden, dass dieses Projekt in der üblichen Praxis kaum so schnell hätte errichtet werden können und als politisches Symbol Ausnahmebedingungen genoss.
Grundsätzlich gilt anzumerken, dass die Flucht ein Form der Migration ist, mit der wir uns auseinandersetzen sollten – aber nicht die einzige. Wenn die Rede von Arrival Cities ist, geht es auch um die Formen der Wanderung, die in ökonomischen Zusammenhängen stehen. Zusammengenommen ergeben sich daraus nicht nur andere Perspektiven, sondern auch Herausforderungen an Gesellschaft und Politik, als wenn man sich ausschließlich an Geflüchteten orientiert. Das wurde auf dem Symposium mehrfach betont, beeindruckende Initiativen wurden ebenso vorgestellt wie beklagt wurde, dass den bitteren Abschottungsbemühungen aktueller Politik ein Zynismus zugrunde liegt, der genau den Werten Hohn spricht, von denen so gern behauptet wird, dass sie zu verteidigen werden sollten.
Die weiterreichenden architektonischen und städtebauliche Konsequenzen wurden freilich vorerst nur ansatzweise angesprochen. Sie führen über Wohngebäude weit hinaus, müssten Orte für Begegnung wie des Rückzugs einschließen und neben dem Wohnen die Aspekte der Bildung und vor allem der Arbeit intensiver berücksichtigen. Und es gilt, vor jedem Bauen erst einmal zu studieren, welche Formen der informellen Selbstorganisation sich im Umfeld eines Vorhabens bereits entwickelt haben. Denn zu denen sollte ein neu initiiertes Projekt nicht in Konkurrenz treten, wie der Berliner Migrationsforscher Mark Terkessidis mahnte. Hier liegt vermutlich die größte Herausforderung. Es geht nicht nur darum, die Erkenntnis zu beherzigen, dass es nicht ausreicht, Immobilien zur Verfügung zu stellen, wie Heike Piasecki vom Beratungs- und Analyseunternehmen Bulwiengesa anmerkte. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, zu akzeptieren, dass Planung und behördliche Aufsicht nicht notwendigerweise segensreich sein muss, dass viel mehr als bisher der Raum für Selbstorganisation und Improvisation gegeben werden muss.

Information zu Ausstellung, Publikation, Begleitprogramm >>>

Info

Making Heimat. Germany, Arrival Country Deutsches Architekturmuseum Frankfurt, bis 10. September 2017

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christian Holl

Freier Autor, Kritiker und Kurator in den Bereichen Architektur, Architekturtheorie und Städtebau.

Christian Holl

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