Wie die Ostergrüße des Grandhotels Waldhaus in diesem Jahr wohl aussähen? Erstmals wurden die Grußkarten nach dem Ersten Weltkrieg verschickt, als Werbemaßnahme. Und dann wieder und wieder, um den Stammgästen die Freuden des Kururlaubs im Schweizer Badeort Vulpera in Erinnerung zu rufen, auf dass sie wiederkämen. Das Grandhotel ist 1989 abgebrannt, kurzzeitig stand Friedrich Dürrenmatt im Verdacht, die Lunte gelegt zu haben. Warum, das lässt sich in diesem opulenten Band nachlesen, der den Titel Keine Ostergrüsse mehr! trägt. Wer beim Concierge in Ungnade fiel, flog nämlich aus dem Verteiler. Das geht aus den rund 20.000 Karteikarten hervor, die erhalten geblieben sind, die älteste datiert auf 1921, die jüngsten sind aus den 1960er-Jahren.
Die Kartei gibt ein beredtes Zeugnis der Menschen im Hotel – sowohl der Gäste als auch des Personals. Da ist die Dame mit dem kleinen „oiseau“, die also vornehm ausgedrückt ein bisschen spinnt, oder das Fräulein, das dilettantisch der Verlobten eines Herrn Weber hinterher spioniert. Mrs. Dora Selver aus New York, Geschäftsreisende eines Unterwäschekonzerns, hätte gerne zwölf „Gigolos“ im Waldhaus. Eine Menge Karten zeugen aber auch von einem tiefsitzenden Antisemitismus, das beginnt in den 1920ern und endet längst nicht in den 40ern. Jüdische Gäste werden als „dreckig“ und „frech“ bezeichnet, ihre Karten mit Codewörtern versehen, die sie aburteilen.
Wer sich mit diesem Blick durchs Schlüsselloch eines Grandhotels in Tagträume über mondänere Zeiten flüchten will, den holen die Herausgeberinnen schnell zurück auf den kalten Boden der Tatsachen.
Info
Keine Ostergrüsse mehr! Die geheime Gästekartei des Grandhotel Waldhaus in Vulpera Lois Hechenblaikner, Andrea Kühbacher, Rolf Zollinger (Hg.) Edition Patrick Frey 2021, 397 S., 489 Abb., 52 €
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.