Ich habe Frank Schirrmacher zwei mal live erlebt. Einmal im September 2012 auf einer Podiumsdiskussion zum Thema "Verantwortung der Medien in und für Europa" veranstaltet von der Schwarzkopf-Stiftung, das andere Mal Ende 2013 auf der Konferenz Netzkultur.
Auf der ersten Veranstaltung hatte er mehr oder weniger leichtes Spiel. Sie fand vorwiegend vor Schulklassen statt. Soweit ich mich erinnere, gab es einen Schüler, der recht energisch zu den europäischen Institutionen nachhakte, Schirrmacher hörte ihm zu, nahm ihn ernst. Ansonsten hatte ich den Eindruck, dass seine Antworten zum Thema eher bescheiden waren.
Es war die Hochzeit der Eurokrise. Das ESM-Urteil aus Karlsruhe war wenige Tage alt und ein Sommer, der den letzten Rest der alten Ordnung hinforttrug, lag gerade erst hinter uns. Am Ende warb Schirrmacher für ein europäisches Magazin, das länderübergreifend und vielsprachig erscheinen sollte. Die Antwort wirkte irgendwie klein und profan.
Auf der Internetkonferenz Netzkultur Ende 2013 wehte da schon ein wesentlich rauerer Wind. Edward Snowden zeigte im Sommer jenen Jahres der internationalen Öffentlichkeit, dass die westliche Welt ihre westlichen Werte selbst gar nicht so genau nahm und wie bei der Geschichte vom Hasen und Igel, war Schirrmacher bereits da: "Ego - Das Spiel des Lebens" ist noch in der Prä-Snowden-Ära erschienen und war doch schon Blaupause für alles weitere nach Snowden.
Und dennoch, Schirrmacher drang in ein Territorium vor, das den spät in den 1970er und 1980er geborenen Personen vorbehalten schien. Auf dieser Netzkonferenz kam es zum Clash zwischen den Generationen, zwischen Schirrmacher als Babyboomer auf der einen Seite und Leuten wie Michael Seemann oder Stephan Urbach auf der anderen Seite. Leute, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als das Netz zu durchdringen, die alle Facetten, alle Probleme des Netzes kennen.
Und mittendrin war nun er: Frank Schirrmacher, groß geworden in der Literatur, in der bürgerlichen Abgeschiedenheit des FAZ-Feuilletons. Auf einmal diskutierte er mit Nerds, mit Leuten, die weniger Kafka dafür mehr Tolkien gelesen haben.
Viele dieser Leute betrachteten ihn als Eindringling, als jemand, der sich auf ein Thema draufsetzte, weil es gesellschaftlich groß genug war um möglicherweise selbst groß zu wirken. Auch ich konnte mich dieses Eindrucks nicht erwehren. Urbach beispielsweise missfiel, dass Schirrmacher seiner Ansicht nach im Diskurs um Überwachung und digitale Selbstbestimmung die Machtfrage komplett ausblendete. Seemann, der ein ganz eigenes Verhältnis zu Schirrmacher hatte, stellte ihn immer wieder gern in eine verschwörungstheoretische Ecke.
Grundsatzthemen kanalisiert und verstärkt
Ich habe noch vor Edward Snowden geschrieben, das Buch "Ego - Spiel des Lebens" könne möglicherweise nicht mehr sein als intellektuelles Entertainment. Eine schnelle Diskursentfachung und dann auf zum nächsten gesellschaftlichen Hype. Hier habe ich mich geirrt. Schirrmacher blieb an dem Thema dran. Selbst als die Gesellschaft mit einem Achselzucken der riesigen NSA-Spionage begegnete, blieb er an diesem Thema dran. Es ließ ihn nicht mehr los.
Erst mit seinem Tod wird klar, was die Gesellschaft an ihm hatte: Er hat die Grundsatzthemen der Zeit kanalisiert, aufbereitet und verstärkt. Hier klafft fortan eine riesige Lücke. Das ist sein Verdienst, sich mit seiner zweifelsohne großen Reputation und Publizität einem Thema aus gesellschaftlicher Notwendigkeit angenommen und einem Hype-Hopping widerstanden zu haben.
Juli Zeh beklagt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Verlust eines "Waffenbruders".
Ja, ohne ihn wird der Kampf um die Aufklärung im digitalen Zeitalter weitaus schwieriger.
Kommentare 8
Sehr würdig, sehr würdigend. Mir schien immer, dass Schirrmacher ganz sicher einen Nerv für Themen hatte, aber nur, um sich so schnell wie möglich an die Spitze zu setzen und den Ton zu bestimmen.
Auffallend ist mir an allen Würdigungen: Wenn es noch eines weiteren Nachweises bedurft hätte, dass sich mit den Medien sehr viel Macht verbindet, dann beweist das der Ton der Nachrufe. Aber, bei Dir nicht so sehr.
Schirrmacher gehörte zu der Riege "bürgerlicher" "Intellektueller", die alle paar Jahre versuchen das Rad neu zu erfinden. Wenn dann etwas annährend fünfeckiges heraus kommt applaudiert man sich, es rollt!
Klasse Formulierung.
Liebe Magda, danke für deinen Kommentar.
Ja, es scheint in der Tat so, als hätte er doch bei einer Vielzahl von Schreibenden aber auch Nichtschreibenden einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Auch bei sehr großen Kritikern kehrt nun Leere ein. Es ist wohl so, dass erst nachdem einer verstummt, die Bedeutung seiner klar wird. Zweifel sind dabei immer eingeschlossen.
Hallo Daniel, interessanter text. vor allem kann ich mich an den "clash" zwischen mir und schirrmacher nicht erinnern. ich habe nichts zu schirrmacher, er nichts zu mir gesagt.
auch tolkin habe ich nicht gelesen, dafür um so mehr kafka. und wie du darauf kommst, dass in "ego" auch nur im entferntesten irgendwas verhandelt wird, was irgendwas mit der geheimdienstsituzation seit snowden zu tun hat, musst du mir auch erklären. geheimdienste kommen da gar nicht vor und überwachung ist, wenn überhaupt, dann nur ein sehr untergeordnetes thema.
aber leb du mal weiter in deiner welt.
Lieber Michael Seemann,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich will so kurz wie möglich auf deine genannten Punkte eingehen:
-Es gab auf der Internet-Konferenz Netzkultur einen den Vortrag von Schirrmacher begleitenden Twitterfeed, in dem du auch fleißig mitgepostet hast. Ich habe mich mal deines Tweetarchivs bedient. Aus dem geht hervor, dass du zwei Tweets zu Schirrmacher während seines Vortrags versendet hast und einen weiteren in der anschließenden Diskussionsrunde. Ein Tweet ist sogar direkt von Maike Hank an Schirrmacher herangetragen worden. Welcher das gewesen ist, ergibt sich nicht und kann ich auch nicht mehr aus Gedächtnis rekonstruieren.
Fakt ist, es gab Interaktion, wenn auch nicht ganz klassisch mit Mikrofon und analogem Kommentar und Antwort, nun aber hinreichend, um festzuhalten, dass Schirrmacher von weiten Teilen der digitalen Bohème nun nicht mit offenen Armen empfangen worden ist. Mehr wollte ich in diesem Nachruf auch gar nicht thematisieren.
- Der Kafka-Tolkien-Vergleich ist eine Allegorie, bitte nicht wörtlich nehmen ;)
-Und sicher! Schirrmacher hat in Ego nicht den NSA-Skandal vorweggenommen und dennoch hat er dort Big Data zum Thema gemacht sowie die Informationsökonomie und die massenhafte Datensammlung durch Unternehmen wie Google et al. Damit war er thematisch nicht bei massenhaften Grundrechtseingriffen durch die NSA, aber weit weg war er auch nicht. Es reichte hier schon ein Sprung über den Gartenzaun.
"aber leb du mal in deiner eigenen Welt" Das ist eine nicht weiter zu beachtende Gemeinheit.
Ich habe auf der erwähnten Netzkonferenz deinen Workshop besucht und fand die Denkanstöße dort sehr anregend. Ich habe gemerkt, dass sich hier jemand sehr dezidiert mit dem gesellschaftlichen Wandel im digitalen Zeitalter auseinandergesetzt hat.
Erst durch deinen Nachruf auf Schirrmacher ist mir eure gemeinsame Vergangenheit überhaupt erst offenbar geworden. Das hat auch einiges aufgeklärt. Vielleicht schwingt auch ein Stück Bitterkeit mit?
Vielleicht kann sich die digitale Bohème ja auch den eher analogen Geistern öffnen, denen zwar der technologische Sachverstand weitgehend abgeht, dennoch die Chancen und Risiken einer Gesellschaft im digitalen Wandel erkennen.
Herzliche Grüße
DM
"Er schien immer etwas größer, als er tatsächlich war" - so ist das bei fast allen " öffentlichen Personen".....
Vor 5 Jahren....eine ergänzende Facette zu Schirrmacher...
https://www.freitag.de/autoren/bildungswirt/frank-schirrmacher-ludwig-borne-und-die-deutsche-bildungspolitik
https://www.freitag.de/autoren/bildungswirt/frank-schirrmacher-ludwig-borne-und-die-deutsche-bildungspolitik