Des Sultans Lakaien

Deutschland Erdoğan auf dem Höhepunkt seiner Macht. Europa und Deutschland scheinen ihm zu Füßen

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Des Sultans Lakaien

Bild: Adam Berry/Getty Images

Wilhelm II., Kaiser von Gottes Gnaden, wollte einst aus der Türkei ein “deutsches Indien” machen. Als Symbol der Macht ließ er die Reichsbotschaft in Konstantinopel höher als den Palast des Sultans bauen. Das ist nicht die Vergangenheit, an die der heutige Herrscher über die Türkei anknüpfen will. Mit Bestimmtheit aber auch nicht an die Republik Mustafa Kemal Atatürks. Dieser einstige Jungtürke und Jahrhundertfeldherr (Churchill) setzte den letzten Osmanen Mehmed VI. erst als weltlichen Herrscher, dann auch als letzten gesamtmuslimischen Kalifen ab, verbannte den Islam aus dem Staatsapparat und ließ als Zeichen der neuen Ära eine neue Hauptstadt in Anatolien errichten. Ihm schwebte ein ethnisch homogener, laizistischer Nationalstaat nach europäischem Vorbild vor.

Der frömmelnde Recep Tayyip Erdoğan will zumindest scheinbar den Muslimen "ihre" Türkei zurückgeben und kollidiert als Präsident der reaktionären Landbevölkerung mit den verwestlichten Städtern, vor allem in den Millionenmetropolen Istanbul und Ankara. Der starke Mann am Bosporus sieht sich in der Tradition eines glänzenden Reiches, das sich als multikontinentale Kolonialmacht bis vor die Tore Wiens erstreckte. Statt traditionell in dem bescheidenen Bungalow des “Vaters der Türken” zu wohnen, ließ er sich unter Missachtung geltenden Rechts eine imperiale Residenz errichten. Das und die Aufhebung des Kopftuchverbots in öffentlichen Gebäuden sind die augenscheinlichsten Angriffe auf den atatürkistischen Staat. Sie waren das Vorbeben für die Welle aus Repressionsmaßnahmen, polizeilichen Gewaltakten, außerlegalen Hinrichtungen, Rechtsbeugung, Medienkontrolle, Twitter-Abschaltung und Wiederaufflammen des Kurdenkonflikts. Journalisten werden als Terroristen behandelt, Künstler als Verbrecher. Die Türkei scheint als nächstes europäisches Land zu einer defekten Demokratie zu werden. Die selbstverklärte leuchtende Flamme der Menschen- und Freiheitsrechte Europäische Union hat derweil mit zwei Fällen in ihren eigenen Reihen und einigen Kandidaten dafür zu schaffen. Außerdem wähnt sie sich in Abhängigkeit des Partners und NATO-Aliierten, insbesondere in Fragen der sogenannten Flüchtlingskrise.

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Libero - der türkische Präsident Erdoğan

Ihren bisherigen Höhepunkt erreicht die Posse mit den Reaktionen auf zwei Satirebeiträge in ARD und ZDF. Als Antwort auf die “Schmähkritik” versucht sich der laut kreischende Pavian von seinem entfernten Hügel aus auch in Europa Gehör zu verschaffen. Der orientalische Schrumpfberserker schwingt laut klirrend die Säbel. Der eigentliche Skandal derweil ist nicht das Gezeter des “Ziegenfickers”, sondern die Reaktion in Deutschland selbst. Denn im Gegensatz zum Beitrag des Magazins extra 3 galt Jan Böhmermanns Angriff nicht dem türkischen Hilfsdiktator, sondern der (anders als dort) hierzulande ach! so respektierten Rede-, Meinungs- und Kunstfreiheit. Sein durchaus literarisches und tatsächlich komisches Gedicht sollte nicht mit dem erhobenen, westarroganten Finger mal wieder nach außen, sondern auf die eigene Gesellschaft nach innen zeigen. Er provozierte nicht nur, erwartungsgemäß, die sensible Hohe Pforte, sondern unerwartet auch die völlig unverhältnismäßige, unerwartete Reaktion der BRD. Selbst die Bundeskanzlerin bestärkt Erdoğan in seiner beleidigten Haltung, die Republik diskutiert die “Grenzen von Satire” und damit der Ausdrucksfreiheit. Offensichtlich sind wir doch nicht alle Charlie. Böhmermanns Plan hat wohl höhere Wellen geschlagen, als von ihm selbst erhofft. Der Präsident hat den Late Night-Satiriker in Deutschland angezeigt. Wieder, ermitteln deutsche Staatsanwälte in politischer Angelegenheit gegen einen Künstler.

Der Vorgang offenbart, wie weit die Bundesregierung zu gehen bereit ist, um den völkerrechtlich fraglichen Deal mit Ankara und die Einstufung der Türkei als “sicheres Drittland” nicht zu gefährden. Grundlegende Bürgerrechte stehen plötzlich nicht nur in der Außen-, auch nicht in der EU-, sondern jetzt auch in der Innenpolitik zur Debatte. Vielleicht auch, um der sogenannten Neuen Rechten, den AfD-Wählern und Pegida-Anhängern und Anhängerinnen einen Tribut zu zollen? Einen Rechtstrend nach ungarischem oder polnischem Vorbild aufzuhalten?

Und der deutsche Untertan? Seine Empörung über den nächsten Eingriff in seine Bürgerrechte bleibt verhalten. Schließlich sind nicht die Flüchtlinge daran schuld.

Die Wahrscheinlichkeit, dass auch die bürgerliche, liberale, rechtsstaatliche Demokratie in Deutschland scheitert, ist gering. Doch die Lehre aus dem Böhmermann-Skandal schon jetzt: Sie wird hohl.

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Geschrieben von

David Danys

Pfarrers Kind und Müllers Vieh, // Gedeihen selten oder nie.

David Danys