Der Agrar-Öko-Check: Brauchen Bio-Bauern wirklich mehr Diesel als konventionelle?
Landwirtschaft In letzter Zeit hört man oft: Biolandwirtschaft sei schlechter fürs Klima als konventionelle. Höchste Zeit, die große Agrar-Bilanz auszurechnen
Bio-Weidekühe stoßen zwei Drittel weniger Methan pro Liter Milch aus als die beste Hochleistungskuh im Stall
Foto: Henk Wildschut/Plainpicture
„Eigentlich“, sagte mir ein Biobauer in Schleswig-Holstein während der jüngsten Bauernproteste gegen die Kürzung des Agrardiesels, „müssten gerade wir demonstrieren, denn am Ende dürften wir mehr Diesel pro Hektar Ackerland verfahren als die Konventionellen.“ Er stand am Stalltor und schaute seinen rotbraunen Limousin-Rindern zu, die nach ein paar regenfreien Tagen mal wieder raus durften. Matschfreier Weidegang auch im Winter. Dann fügte er hinzu: „Für die da brauche ich fast gar keinen Diesel. Die werden im Frühjahr auf die Weide gefahren und zum Winteranfang wieder zum Stall.“
Für den Winter muss er Heu machen und Grassilage, das war’s. Ein konventionell wirtschaftender Bauer, der seine Kühe im St
2;he im Stall stehen hat und auch noch melken will, muss ungleich viel mehr Diesel einsetzen, um das Futter anzubauen und hereinzufahren, zu misten und zu düngen. Anders ist’s beim Ackern. Da sind die Ökobauern im Nachteil. „Die konventionellen Kollegen fahren einmal mit Glyphosat drüber, und weg sind die Wurzelunkräuter.“ Da ist für einen ökologisch wirtschaftenden Hof mehr mechanischer Aufwand nötig, und der braucht Treibstoff.Während der Bauernproteste habe ich immer wieder mit befreundeten Biobäuerinnen und -bauern geredet. Ich wollte wissen, ob sie da mitmachen, also tatsächlich ihren Traktor anwerfen, um für das Recht auf verbilligte Treibhausgas-Emissionen zu demonstrieren. Die erste Antwort war eigentlich immer dieselbe: Darum geht es doch gar nicht! Die Sache mit dem Agrardiesel war nur jener sprichwörtliche Tropfen, der das ebenso sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachte.Konventionelle Bauern düngen fossilDieser Biobauer jedenfalls machte nicht mit bei den Protesten. Erstens, weil ihm die Dieselsubvention nichts bringt. „Bei Pachtpreisen um fünfhundert Euro pro Hektar fällt das bisschen Dieselgeld kaum mehr ins Gewicht.“ Zweitens verdecke das Thema die eigentlichen Probleme. Und drittens habe ja die Blockade der Fähre mit Wirtschaftsminister Robert Habeck gezeigt, dass die Proteste von Rechten okkupiert werden können.Was ich dabei so nebenbei mitnehme: Ökobauern brauchen mehr Diesel pro Hektar Ackerland als die sogenannten Konventionellen. Dabei sparen sich die nur die zusätzliche Bodenbearbeitung zur Unkrautbekämpfung und nehmen dafür Agrarchemie. Aber genau die ist ja auch nicht emissionsfrei hergestellt worden. Schon ihr Ursprung ist normalerweise Erdöl. Und was wissen wir über den CO2-Fußbadruck von Pestiziden? Irgendwie nichts oder jedenfalls nicht viel. „Bisher wenig Beachtung findet die Pestizidwirkung auf die Atmosphäre und das Klimasystem“, schreibt Johann G. Zaller, Professor an der Wiener Universität für Bodenkultur in dem Überblickswerk Das Gift und wir: „Die Wirkungen reichen dabei von der Herstellung der Pestizide, die mit viel fossiler Energie und damit großem Treibhausgasausstoß erfolgt, bis zur Pestizidlagerung und Deponie von Reststoffen der agrochemischen Industrie.“Das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft berechnet Pflanzenschutzmittel pauschal mit 11,9 Kilogramm CO2-Äquivalent pro Kilogramm oder Liter. Der Liter Diesel stößt 2,6 Kilogramm Kohlendioxid aus. Wenn der Ökobauer jetzt einmal mehr mit Pflug oder Fräse über den Acker muss, um das Unkraut zu bekämpfen, ist der Konventionelle mit der Feldspritze eindeutig im Vorteil, weil beim Pflügen deutlich mehr Sprit gebraucht wird als beim Spritzen. Allerdings fährt der konventionell wirtschaftende Landwirt später dann noch ein paar Mal mit der Spritze und bringt weitere Mittelchen aus. Das kann sich der Ökobauer sparen, weil er diese Mittel gar nicht benutzen darf.Am Ende kippt die Bilanz wieder deutlich zugunsten der biologischen Landwirtschaft. Vor allem dann, wenn man noch den Kunstdünger dazu rechnet, der mit großen Mengen fossiler Energie hergestellt wird. Das haben wir ja gelernt, als die Preise für die Lebensmittel explodierten, nachdem Putins Armee die Ukraine überfallen hatte. Da spätestens merkten wir alle, wie sehr unsere Landwirtschaft abhängig ist vom Erdgas.Auf eines ist Verlass: Die Konsumenten werden abgezocktGleich drei Nobelpreise hat das Haber-Bosch-Verfahren nach Deutschland geholt, für Fritz Haber und Carl Bosch Anfang des 20. Jahrhunderts, und noch einmal 2007 für Gerhard Ertl. Die drei haben entwickelt und erklärt, wie unter hohem Druck und großer Hitze der Stickstoff aus der Luft geholt und für Chemie- und Düngemittelherstellung verfügbar gemacht wird. Biobauern verzichten auf diesen Kunstdünger und sind damit weit weniger abhängig von fossiler Energie. Am Ende setzen sie rund vierzig Prozent weniger davon pro Hektar Fläche ein, wie die TU München schon 2014 in einer Vergleichsstudie feststellte. Deshalb sind die Preise für Biolebensmittel auch relativ stabil geblieben, während die Lebensmittel aus der konventionellen Landwirtschaft der Preisentwicklung von Kunstdünger und Pestiziden folgten.Ein paar Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine rief mich ein befreundeter Biobauer aus Hessen an: „Du musst mal zum Discounter gehen. Schau mal auf die Milchpreise!“Die Medien überschlugen sich damals mit Meldungen über steigende Lebensmittelkosten. Im Juni 2022 titelte die Agrar-Fachpresse: „Aldi erhöht Milchpreise drastisch – Biomilch kostet 50 Cent mehr.“ Was nicht in dieser Überschrift und auch nicht im zugehörigen Artikel stand: Die Biomilch war im Einkauf gar nicht teurer geworden. Dennoch stieg der Preis mit dem der konventionellen Milch. Aldi machte also Reibach, weil die Kunden ja annehmen, dass Bio eben teurer ist. Nach dem Anruf ging ich erst zum Discounter und dann in den lokalen Bioladen. Und staunte nicht schlecht: die Biomilch wurde beim Naturkosthändler deutlich preiswerter verkauft. Wir haben in der Krise bemerkt, wie fossil getrieben unsere Landwirtschaft ist und wir konnten lernen, dass man uns Verbraucherinnen und Verbraucher auch in Krisenzeiten noch immer ungeniert abzockt.Und in der nächsten Krise, diesmal von den Bäuerinnen und Bauern mit Protesten beantwortet, wird uns dann erzählt, dass der klimatische Fußabdruck der Biobauern größer sei als der der konventionellen Landwirtschaft. Das mag sogar stimmen, wenn wir nur Diesel mit Glyphosat vergleichen. Was am Ende dann doch eben nur der Äpfel-Birnen-Vergleich ist. Wenn wir nämlich nicht mehr nur die in einem herausgegriffenen Beispiel eingesetzten Mittel vergleichen, sondern die Gesamtbilanz, schneidet die konventionelle Landwirtschaft viel schlechter ab.Eine Milchmädchenrechnung: Wie viel Methan stößt eine Kuh aus? Auf der Weide und im Stall?Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) hat vorgerechnet: Die Umweltfolgekosten der Landwirtschaft betragen allein in Deutschland 90 Milliarden Euro pro Jahr. So viel kostet uns der Verlust- und Reparaturbetrieb, der nach der Landnutzung kommt. Die ökologisch wirtschaftenden Betriebe ersparen gegenüber den konventionell wirtschaftenden 750 bis 800 Euro an Folgekosten pro Hektar. Das summiert sich allerdings derzeit nur auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr, weil kaum mehr als elf Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch bewirtschaftet wird.Solche Rechnungen stören die Verfechter der sogenannten konventionellen Landwirtschaft übrigens nicht, denn sie haben ein besonders gewichtiges Argument: Die ökologische Landwirtschaft produziert weniger auf ihren Flächen. Sie setzt zwar viel weniger fossile Energie ein, hat aber bei manchen Kulturen auch ebenso viel weniger Ertrag. Hört sich schlüssig an, solange man das von der ZKL errechnete Zerstörungspotenzial in Sachen Umwelt und natürlicher Ressourcen nicht dagegenhält. Aber auch, wenn man die Folgekosten durch Klimakrise, Bodenerosion und Artenverluste außer Acht lässt, erweist sich das Ganze als Milchmädchenrechnung.Da ich mich in letzter Zeit viel mit Kühen beschäftigt habe, bleibe ich mal bei der Milch. Die konventionell im Stall gehaltene Hochleistungs-Milchkuh sei besser fürs Klima als die Bio-Kuh auf der Weide. Das ist die Behauptung. Belegt dadurch, dass eine Hochleistungskuh umso weniger des Klimagases Methan ausstößt, umso mehr Kraftfutter sie frisst. Das sogenannte Kraftfutter ist das, was Kühe normalerweise nicht fressen und wovon sie auch krank werden, wenn sie zu viel davon bekommen. Außerdem besteht es oft aus Getreide oder Hülsenfrüchten, wovon sich auch Menschen ernähren könnten. Dennoch gibt es Studien, die geradezu dazu auffordern, den Kühen mehr Kraftfutter zu geben, weil das die Milchleistung steigert und am Ende weniger Methan pro Liter Milch ausgestoßen wird. Der Webfehler all dieser Studien: Sie verglichen nur Stallkuh mit Stallkuh. Bis dann die Uni Kiel kam und den Methanausstoß von Bio-Weidekühe maß. Ergebnis: Zwei Drittel weniger Methan pro Liter Milch als bei der besten Hochleistungskuh im Stall.Ist doch toll, oder? Nein, ist völliger Unsinn. Wir müssen nämlich den Methanausstoß der Wiederkäuer überhaupt nicht in die Klimabilanz der Landwirtschaft einbeziehen. Die Tiere leben in einem natürlichen Methankreislauf, den es seit Millionen von Jahren gibt. Früher gab es mehr Wiederkäuer auf der Erde als heute. Und auch die Zahl der wiederkäuenden Nutztiere hat abgenommen, während das Methan in der Erdatmosphäre deutlich zunahm. Woran mag das wohl liegen? Jedenfalls nicht an der Landwirtschaft. Zur Erinnerung: Methan, CH4, ist auch Erdgas. Die Ölindustrie nennt das „Operational Losses“, wenn ihr was daneben geht, so wie beim Fracking unvermeidbar.Darüber, dass die Biolandwirtschaft weniger Lebensmittel aus den Böden und den Tieren saugt, müssen wir uns übrigens auch keine Gedanken machen. Solange wir über dreißig Prozent der Lebensmittel wegwerfen, ist da genug Potenzial, um uns alle satt zu kriegen. Hunger ist ein Problem von Verteilung und Gerechtigkeit.Placeholder authorbio-1
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