„Ich wäre gerne auf der Seite der Bauern. Aber sie machen es mir schwer“
Spektakel Auf dem Land herrscht ein Verdrängungskampf. Doch anstatt das innerhalb der Bauernschaft zu verhandeln, machen die Landwirte nur möglichst viel Ärger und stützen damit weiterhin eine Politik für die Gewinner
Dieser Traktor ist wütend. Er weiß selber nicht, was eigentlich das Problem ist
Collage: der Freitag; Material: Pixabay, Midjourney
Zwei Schlagzeilen vom 10. Januar 2024, direkt untereinander auf der Webseite der Süddeutschen: „Verständnis für den Bahnstreik? Null“ und „Umfrage: Viele haben Verständnis für Bauernprotest“. Man kann darüber nachdenken, warum sich diese Diskrepanz auftut gegenüber Menschen, die ihre eigenen Belange sichtbar machen, auch wenn’s für andere Einschränkung und Frust bedeutet. Wenn einer mit seinem 270.000-Euro-Arbeitsgerät ein Plakat zeigt, auf dem gefordert wird, die Ampel „muss weg“, weil man „den Fremden“ das Geld gibt, das doch der deutschen Bauernschaft zusteht, wenn man sich noch lange nicht in die rechte Ecke stellen lässt, bloß weil man ein paar Reichsbürgerfahnen und
rfahnen und Galgen-Attrappen mit sich führt, dann kann man sich des Eindrucks kaum erwehren: Bei diesen Bauernprotesten sind ein paar echte und rechte Arschlöcher unterwegs.Ich darf das. In meinem Familienroman, um dessen Diversität mich Emile Zola beneiden würde, gibt es einen starken Zweig ins Bauerntum; Kuhstall und Acker sind für mich keine exotischen Orte, und einen Traktor hab ich schon gelenkt, als sich noch kein Mensch auf dem Land unter „Kinderarbeit“ etwas Verwerfliches vorstellte. Mein Schwiegervater schließlich betonte zeit seines Lebens, kein Landwirt, sondern ein Bauer zu sein, keinen landwirtschaftlichen Betrieb zu leiten, sondern einen Hof zu haben, keine „Mitarbeiter“ zu bezahlen, sondern Menschen in die erweiterte Familie aufzunehmen. Solcher Klassenstolz wird heute in aller Regel in den Bereich von „Romantik“ verwiesen. Dabei verweist er darauf, dass im Westen die Landwirtschaft so gnadenlos in die Geiselhaft des Kapitalismus genommen wurde wie im Osten in die der Planwirtschaft.Niemand, wirklich niemand ist heute mehr „Herr“ oder „Herrin“ auf seinem Land. Aber manche profitieren von dem System, in dem bis zu 50 Prozent des Einkommens dem Bereich der Subventionen zugerechnet sind, und manche fallen ihm zum Opfer. So kommt es, dass dieselben Leute, die mit Tränen in den Augen von der unerträglichen Belastung des Bauernstandes sprechen, ungerührt dem Sterben des Nachbarhofes zusehen, der eben halt nicht „wirtschaftlich“ genug war: selber schuld. Und die Geier des Landgrabbings – die Nachbarn, die wachsen statt weichen, die Immobilienfirmen, die auf dem Land längst das Sagen haben, die Banken, die Agrarindustrie –, sie alle warten schon auf die Beute. An der Landwirtschaft wird schon viel mehr verdient als mit der Landwirtschaft. Und das allseits scheinheilig beklagte „Höfesterben“ ist die einzig mögliche Voraussetzung für das einzig akzeptierte und am Ende doch immer suizidale Prinzip: Wachstum.Was sind Bauern? Eine Klasse? Ein Stand?Wenn der mehr oder weniger zuständige Minister davon spricht, dass der Protest gegen den Wegfall der Biodiesel-Subvention am ehesten als „Metapher“ zu verstehen sei, vergisst er vielleicht, seiner eigenen Frage präziser nachzugehen. Metapher für was? Sehen wir uns deshalb die „Bauernproteste“ nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt eines „Arbeitskampfes“ an, sondern als Spektakel. Als Ausdruck eines Unmuts, der ziemlich schnell in den schieren Genuss der eigenen Macht umschlägt. Weniger der Macht, an den Verhältnissen etwas zu ändern, als vielmehr an der Macht, einen Ärger zu machen, der zugleich mehrheitlich auch von der städtischen Bevölkerung „geschluckt“ wird.Einst war der Bauernstand bekannt dafür, dass er mit großer Duldsamkeit die feudalen und dann die bourgeoisen Drangsale ertrug, bis zu einem gewissen Punkt, wo dann der Widerstand mit umso mächtigerer Gewalt hervorbrach. Doch ach, schon ein Besuch im Heimatmuseum bringt die heroischen Legenden ins Wanken. In den Bauernkriegen des Voralpenlandes etwa hieß es keineswegs nur Bauern gegen Feudalherren, sondern oft genug auch Bauern gegen Bauern. Große Schlachten gingen verloren oder fanden, im glücklicheren Fall, gar nicht erst statt, weil Teile der Bauernheere die Seiten wechselten. Und als in der „modernen“ Gesellschaft das Konkurrenzprinzip als Motor gegen die Rückständigkeit des Landes eingesetzt wurde, war rasch klar, dass der Bauernstand zwar gelegentlich kollektive Interessen gegenüber der Politik, gegenüber dem Markt, gegenüber der Stadt vertreten, aber kaum Platz für echte Solidarität schaffen kann. Was sind Bauern? Ein Stand? Eine Klasse? Ein Beruf wie andere Berufe? Eine Wirtschaftsform, in der es nicht nur historisch gesehen Grenzen der Industrialisierung gibt? Unternehmer mit Land als primärer Ressource?Das Schauspiel, das die Traktor-Proteste dieser Tage bieten, scheint also zunächst einmal eine Einheit des Bauernstandes, seiner Lebensgrundlagen und Interessen demonstrieren zu wollen. In Wahrheit hat sich der Widerspruch zwischen den Gewinnern und den Verlierern der Landwirtschaftspolitik in Europa und ganz besonders in Deutschland in den letzten Jahren noch einmal verschärft. Die Gewinner verzeichnen in der Periode der Teuerung geradezu sprunghaft steigende Einkommen, die Verlierer kämpfen noch verzweifelter um Überleben und Kontinuität. Und so kommt man um eine Beobachtung nicht herum: Es geht nicht nur darum „die Politik“ (insbesondere die „grüne“ und „rote“ Fraktion) und das überhebliche Stadtvolk zu provozieren, es geht auch um einen nicht erklärten Machtkampf innerhalb der organisierten Bauernschaft. Und es geht, wenn man die Parolen und das Gerät näher betrachtet, auf denen sie durch die Straßen bewegt werden, um einen Verdrängungskampf der Gewinner gegen die Verlierer, der stramm Rechten gegen die anderen, der makro- gegen die mikro-ökonomischen Aspekte, einen Verdrängungskampf zwischen Ökonomie und Ökologie.Neue Verbindungen von Stadt und LandWas als besonders bizarrer Widerspruch auffallen mag: Die Inszenierung von Opfer und Verarmung kommt als eine in Teilen geradezu obszöne Leistungs- und Konsumshow der Landmaschinentechnik daher. Es ist ein absurder Nebeneffekt: Man bezeichnet sich als Opfer und zeigt sich und der Welt zugleich, zu was man es gebracht hat. Davon abgesehen – und gelegentlich auch einmal schüchtern vorgebracht: Wer versorgt eigentlich daheim das Vieh? Nein, die wirklichen Verlierer und die wirklichen Kämpfer wird man hier nicht finden. Stattdessen wird hier vorgeführt, was der deutsche Bauernverband und die deutsche Agrarpolitik als Prinzip betreiben: eine Politik im Dienste der Gewinner mit den Verlierern als Propagandamaterial.Aber natürlich, diese Veranstaltungen sind eben durch und durch ambivalent, geht es auch darum, sich noch einmal sichtbar zu machen, wo man verdrängt wird. Denn diese Bauernproteste, die, ich vermute, mehr aus schlechtem Gewissen denn aus tiefer Sympathie, auch von den Stadtbewohnern so viel Verständnis erheischen, stehen auch in einer langen Kulturgeschichte der Stadt/Land-Beziehung.In den 60er und 70er Jahren öffneten sich die Grenzen zwischen den beiden einst so konträren Kulturen „aufm Land“ und „in der Stadt“: Bauernkinder konnten nun auch etwas anderes studieren als Theologie und wurden, zum Beispiel, Redakteure, Filmemacherinnen, Kulturwissenschaftler. Auf der anderen Seite zogen junge Menschen aus den Städten aufs Land. Und neben ein mehr oder weniger tolerantes Befremden trat hier und da immer auch eine freundlichere, eine Arbeits-Verbindung. Man konnte sich nicht nur bei der freiwilligen Feuerwehr und in der Dorfdisco treffen, sondern auch auf Versammlungen, in denen es um Natur und Ökologie ging. Linksliberales und „grünes“ Gedankengut sickerte in die gemeinsame Kultur. (Nicht, dass es nicht auch zu heftigen Reibereien und der einen oder anderen Familientragödie gekommen wäre.) Schließlich war in der Partei mit dem Namen „Die Grünen“ ja sogar eine politische Organisation entstanden, die versprach, ein gemeinsames Projekt für die Zukunft zu repräsentieren, in dem die Interessen derer, die das tägliche Brot erzeugen, und derer, die es benötigen, sich miteinander verbinden würden.Doch aus der kleinen Utopie einer neuen Verbindung von Stadt und Land wurde nichts. Denn in dieser dominieren die mikro-ökonomischen Aspekte, und das war gegen die Interessen der Banken, der Landwirtschaftstechnik, der chemischen Industrie, der Immobilienhändler. Der Zwang zum Wachstum bedeutet immer auch den Zwang zur Verschuldung gegenüber diesen Playern. Wenn man sich fragen kann, wie viel an Wert, wie viel an PS (unter 250 ist man ein Schwächling) sich bei den Protesten durch die Straßen bewegen, kann man sich ebenso fragen, wie viel an Verschuldung sich da bewegt. Und deswegen sind auch bei den scheinbaren Gewinnern Ängste, Überforderungen und gesundheitliche Schäden an der Tagesordnung.Innerlich entleerte DörferIn meinem Dorf gab es noch zu Beginn der 80er Jahre: zwei Bäckereien, vier Wirtshäuser, darunter eines mit Tanzboden und Theaterbühne, einen Friseur, ein Postamt, einen Lebensmittel- und einen „Gemischtwarenladen“, zwei Schmiede, zwei Zimmereien, einen Arzt und einen Zahnarzt, sogar einen Dorfpoeten gab es, einen Pfarrer, eine Gemeindebibliothek mit einer angeschlossenen kleinen Wunderkammer, in der Fundstücke zur Regionalgeschichte einzusehen waren, einen Förster, eine Gemeindewiese mit Bänken, zwei Bankfilialen, ein Bürgermeisteramt, einen Gemeindediener. Von alledem ist nur geblieben: die Raiffeisenbank-Filiale, und auch die nur, weil sich in ihr praktischerweise auch Immobilien- und Versicherungsgeschäfte tätigen lassen.Stattdessen sind nun um das Dorf Straßenzüge mit Einfamilienhäusern entstanden, deren Bewohner sich selten blicken lassen. Mein Dorf hat heute vier mal so viel nominelle Einwohner wie früher und ist zugleich innerlich entleert. Die verbliebenen „landwirtschaftlichen Betriebe“ kämpfen um jeden Quadratmeter Boden. Und der Stadt/Land-Konflikt hat sich im Dorf selber festgesetzt. In Form von Menschen, die sich auf dem Land eingekauft haben, um sich dann gegen ländlichen Geruch, ländliche Geräusche, ländliche Tiere und ihre Hinterlassenschaft zu beschweren oder von „Natur“ zu faseln, wo’s ums nackte ökonomische Überleben geht.Kein Wunder also, dass es nun auch Spaß macht, das Land und seine Zumutungen in die Stadt zu tragen. Doch das dabei entstehende Spektakel zu dechiffrieren, fällt niemandem leicht, wohl auch den Protagonisten selber nicht. Wenn alles gut ginge (was es meistens nicht tut), dann wären diese Proteste ein Anlass, einmal prinzipiell über die politische Ökonomie unserer Landwirtschaft nachzudenken, über die gerechte Verteilung der Lasten und der Chancen, über die Balance von Ökonomie und Ökologie, über den Wahnsinn, das Wachstumsgebot auf die bäuerliche Produktion zu übertragen, über die Idee der gerechten Preise und der Macht-Begrenzung der Player von Immobiliengeschäft bis Discounter- und Supermarkt-Konzern, über Verständigung statt Verachtung (einschließlich falscher Sentimentalität), über die Beziehung von Makro- und Mikro-Ökonomie, über Solidarität statt Manipulation in den Bauern-Organisationen und vieles mehr. Ich wäre so gern auf der Seite der Bauern. Aber sie machen es mir verteufelt schwer.
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