Bauernproteste: Alles, was Sie über Traktoren wissen müssen
Antrieb Als Metapher deutscher Geschichte brilliert er im Theater, und echte Westfrauen bringen sich das Fahren selber bei: Traktoren kommen nicht nur auf Protesten zum Einsatz
Welches Wildtier hier wohl seine Spuren hinterlassen hat
Foto: Imago / Shotshop
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wie Atommüll
Die einen treckern für Subventionen, die anderen für eine bessere Welt. Am 20. Januar geht es wieder „Auf die Trecker“. Unter dem Motto „Wir haben es satt!“ fordern die Landwirte „Respekt, Wertschätzung und Augenhöhe“ für die bäuerliche Arbeit und Unterstützung beim Umbau zur artgerechten, klimafreundlichen Tierhaltung. Sie können sich auf eine lange alternative Trecker-Tradition berufen. Ende der 1970er Jahre gründete sich im niedersächsischen Wendland die „Bäuerliche Notgemeinschaft“, um Krach zu machen gegen das Brennelemente-Zwischenlager Gorleben und das Atommüllendlager im dortigen Salzstock. Das „System“, gegen das es damals ging, war ein Staat, d
ing, war ein Staat, der mit der Atomlobby verbandelt war. „Wi wullt den Schiet nich hebben“, hieß es 1997 bei einer Stunkparade der Traktoren. Plattdeutsch für „Wir wollen den Scheiß nicht haben“. Die deutschen Atomkraftwerke sind abgeschaltet, auch dank des generationenübergreifenden bäuerlichen Widerstands. Bundesverdienstkreuz?Katharina KörtingCwie Chelsea Tractor37 Minuten und 20 Sekunden braucht man für eine Autofahrt von zehn Kilometern in London. Durchschnittlich. Nirgendwo auf der Welt läuft der Verkehr langsamer als in der englischen Hauptstadt. Was ihrer Attraktivität keinen Abbruch tut. Und wer etliche Millionen Pfund für ein Apartment zum Beispiel im Nobelstadtteil Chelsea hinblättert, verfügt auch über ein standesgemäßes Fahrzeug, das die Maße einer landwirtschaftlichen → Zugmaschine aufweist. Chelsea Tractor nennt der spöttische Volksmund geländetaugliche Vehikel dieser Art. Die gibt es bald auch in elektrischen Varianten, ein E-Range Rover wird mindestens so viel kosten wie ein E-Traktor. Was den Vorteil hat, dass man als Anwohner zu bestimmten Zeiten kostenfrei parken kann. Nicht, dass die Betroffenen das nötig hätten. Schneller ist man eh mit der U-Bahn. Joachim Feldmann Dwie DieselrossIn dem Bauernhaus meiner Eltern war die Landwirtschaft Geschichte, als ich auf die Welt kam. Aber manches war übrig geblieben, das landwirtschaftliche Wissen und Können meiner Eltern, und auch die Scheune, darin das Dieselross: ein Fendt-Traktor, keiner der ersten Serie, die 1930 als erste europäische Diesel-Kleinschlepper auf den Markt gekommen waren. Das Dieselross meiner Kindheit stammte aus den 1950ern. Wir Kinder liebten es, wenn eines oder mehrere von uns mitfahren durften (→ Führerschein), liebten das tuckernde Geräusch des Motors, den gelinden Fahrtwind, der einem darauf um die Ohren wehte, bei Fahrten in den Wald ins Holz und in die Pilze, gelegentlich auch ins Nachbardorf, wo Torf und Humus für den Garten in großen Säcken käuflich zu erwerben waren. Bis heute erinnert das Dieselross an die Übergangszeit, in der Nutztiere in der Landwirtschaft durch Maschinen ersetzt wurden, gegen einen Traktor von heute wirkt das Dieselross wie ein Zwergpony neben einem stattlichen Hengst. Beate TrögerFwie FührerscheinMeine Mutter, Jahrgang 1941, machte ihren Führerschein erst mit 40. Es war ein dreiwöchiger Ferienkurs an der Mosel, eines der großen Abenteuer ihres Lebens. Den John Deere fuhr sie aber schon mit Anfang 20. Ungeschriebene Bauernregel: Dafür braucht der Bauer keinen Führerschein. Der Traktor wurde zum heimlichen Vehikel ihrer Unabhängigkeit. Wenn sie davon erzählt, wie sie sich das Fahren selbst beibrachte (wie so ziemlich alles im Leben), und heute noch staunt, wie sie es zum Beispiel schaffte, am steilen Hang anzufahren, um auf unsere Wiese zu kommen, allein die Rüben ausmachte, den Einachser an die Kupplung dengelte, den Kippschalter betätigte und einmal vergaß das Stützrad auszufahren, weil mein Bruder und meine Schwester vor Müdigkeit andauernd weinten, da funkeln ihre Augen, auch weil ja doch alles gutging. Katharina SchmitzHwie Heiner MüllerDas Theater Heiner Müllers interessiert sich für Brüche, Lücken und Verdrängtes in der Erzählung, die die Geschichte beider deutscher Staaten auch immer ist. Geschichte ist nur ein Fragment. Man muss sie immer wieder neu zusammensetzen. Bei Heiner Müller ist der Traktor im Stück Traktor, ein Fragment von 1974 dazu da, aufzuräumen. Der Traktorist ist kein bäuerlicher Kulturmensch, der die Erde pflegt oder sich um sie sorgt. Er räumt in ihr auf. Er pflügt durch ein vermintes Gelände, in dem sich Weltkriegsgranaten befinden. Er räumt also in der deutschen Geschichte auf. „Körper und ihr Konflikt mit Ideen“, sagt Müller, „werden auf die Bühne geworfen.“ Im Minenpflügen, das etwas anderes ist als die Suche nach der Mine, muss der Körper des Traktoristen sein Leben riskieren, um in der Geschichte aufzuräumen. Heute muss man nicht mehr in der Geschichte aufräumen, sondern im Subventionsdschungel. Aus diesem aber hat sich das Tragische vollkommen zurückgezogen. Er ist eine Farce. Markus SteinmayrLwie LPGIch kenne einen Kerl Anfang 60. Gern würde der in seinen Stiefeln am Lenkrad eines Traktors sterben. Acht Jahre Schule, sechs Klassen geschafft. Die alten Treckerfahrer der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, LPG, machten Pause und ließen ihn pflügen. Da war er zwölf. Mit 18 Traktorist (→ Heiner Müller), fuhr er alles, was Diesel verbrannte: den ZT-300 aus Schönebeck, den D4K aus Budapest, den MTZ-80 aus Minsk, den T-150K aus Charkiw, den K-700 aus Leningrad. Dafür gab es auskömmlichen Lohn und Naturalien für die privaten Hühner. Dann kam die Wende. Die neue Agrar e. G. wollte einen wie ihn nicht. Die Wiedereinrichter-Bauern fuhren ihre Trecker selber. Seither blieb ihm das ALG II, jetzt Bürgergeld. Trecker fahren darf er dafür nicht. Die zu erwartende Rente ist ein Witz. Treu wählt er CDU und beteiligt sich nicht an den Bauernprotesten. Michael SuckowRwie RomantischDie Liebe fährt auf großen Rädern, könnte man sagen. Denn wenn sich, wie in Berlin-Friedrichshain, die jungen Leute klimaneutral im Café treffen, herrschen auf dem Land noch ganz andere Riten. Und mit „Land“ ist nicht etwa der Berliner Speckgürtel gemeint, in dem sich überbezahlte Büroarbeitende aus der Berliner Mitte einnisten, um jetzt endlich, endlich mal so richtig leben zu können. Sondern das wirkliche Landleben, fernab der Großstädte, Dating-Apps und veganen Donuts. Wenn dort ein junger Mann eine junge Frau (und nicht andersherum) nach dem Kennenlernen auf dem lokalen Volksfest ausführen will, geschieht das weder auf einem E-Roller noch im tiefergelegten 3er BMW (→ Chelsea Tractor). Der Traktor ist das Fortbewegungsmittel der Wahl, welches die Angebetete unter anderem davon überzeugen soll, sich für den Jungen zu entscheiden – oder eben nicht. Welche Motorisierung? Welche Zusatzausstattung? Fahrkünste auf offenem Feld? Für ein städtisches Schreibtischbienchen wie mich wirkt das fast sehnsuchtsweckend romantisch. Jan C. Behmann Swie StrohballenpresseSie formt aufgesammeltes Stroh zu Ballen: Die Strohballenpresse ist eines von vielen sogenannten Anbaugeräten, die man an einen Traktor anhängen kann. Sie wird gezogen und währenddessen über eine Zapfenwelle angetrieben, sodass sie unterwegs auf der Fahrt übers Feld das Stroh aufrollen kann. Der Ballen rollt dann von Folie geschützt hinten heraus und kann aufgesammelt werden. Andere Anbaugeräte, wie Fräsen oder Häcksler, können verschiedenste Funktionen haben. Sie machen einen Traktoreinsatz erst sinnvoll. Häcksler zerkleinern Luzerne und Gras, Pumpen bewegen Jauche, Gülle oder Wasser. Der Mähdrescher mäht, der Rübenroder rodet, die Pfahlramme rammt Pfähle. Die lustigste Maschine heißt Mietenzudecker. Das ist kein Mietendeckel, sondern sie schützt in Haufen gelagertes Gemüse mit Stroh. Tobias PrüwerWwie Wheel LiftingMänner, die Traktorreifen hochheben, umwerfen und dabei ihre Muskelkraft demonstrieren – ist das noch zeitgemäß? Die Rede ist von „Wheel Lifting“, auf Deutsch „Reifenheben“. Bei der Sportübung geht es darum, einen Traktorreifen immer wieder anzuheben und umzuschmeißen. Vorzugsweise ist man dabei oberkörperfrei, hat ein Sixpack und guckt böse in die Kamera. In England gibt es ein Unternehmen, das Wheel Lifting auf einer Outdoor-Farm anbietet. Man stelle sich Männer oben ohne vor, die Traktorreifen im Schlamm heben. Ungebändigte Muskelkraft in der freien Natur. Doch was nach testosterongeladenem Wahn klingt, kommt scheinbar auch bei einem breiten Publikum gut an. Auf TikTok gehen etwa Videos des Schauspielers Tom Holland viral – Star der Gen Z schlechthin –, der mit einem Vorschlaghammer auf einen Traktorreifen eindrischt. „Biest Modus“ steht im Video, das den Helden der neuen Spiderman-Filme zeigt. Wie passt das zu einer Generation, die überholte Männlichkeitsbilder aufbrechen möchte und für radikale Zärtlichkeit einsteht (→ Romantisch)? Jerrit SchlosserZwie ZugmaschineEinem jugendlichen West-1980er-Ich war der DDR-Sport ein Faszinosum – zumal die Namen: Gern hätte man statt beim üblichen FC, SC, TV, SV oder TSV Musterhausen für „Dynamo“, „Motor“ oder „Stahl“ gespielt. Der Gipfel aber war „Traktor“: Wie stark und selbstbewusst das klang, wenn man bei einem dörflichen TSV kickte, dem der FC Kreisstadt „Bauernfußball“ auf einem „Rübenacker“ nachsagte! Der urige Name zog noch viel später im Leben: Mit heißen Ohren ging ich bei einem Intermezzo im MeckPomm-Hauptdorf zu Traktor Schwerin. Die ruhmreiche Boxsparte des zur Wende in einen schnöden SC umgetauften Traditionsvereins wurde 2002 ausgegründet, zum Glück unter altem Namen. Seither macht Traktor seinem Slogan „Zugmaschine des Boxsports“ wieder Ehre, im Jugendbereich wie als Großmacht in der Bundesliga. Velten Schäfer
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