Als mächtig, aber bieder galt bisher der Deutsche Bauernverband (DBV). Doch seit Wirtschaftsminister Robert Habeck dieser Tage am Verlassen einer Fähre gehindert wurde, blasen Regierung wie Leitmedien die aktuellen Bauernproteste zum Endkampf um die Demokratie auf: Statt der kleinteiligen Forderungen macht ein Raunen von „radikaler Unterwanderung“ die News. Agrarminister Cem Özedemir will sich nicht „von Umsturzfantasien erpressen“ lassen, als stünde er der RAF gegenüber. Laut Spiegel-Leitartikel „entscheiden“ die Kundgebungen gar, „wie das Land und sein politisches System am Ende dieser Woche dastehen“.
Terminlich mag es Zufall sein, dass sich diese „Debatte“ mit derjenigen über ein Verbot der AfD
litisches System am Ende dieser Woche dastehen“.Terminlich mag es Zufall sein, dass sich diese „Debatte“ mit derjenigen über ein Verbot der AfD überschneidet, die manche bereits als geheime Hauptkraft hinter den DBV-Demos zu erkennen können glauben. Doch spricht aus beidem das gleiche Mindset: Die liberalen und linksliberalen Regierenden sowie die gleichgesinnten Stichwortgeber sind zusehends dabei, das Politische zu verlernen.Die Idee von SPD-Chefin Saskia EskenDeutlich macht das ein Blick von außen: Treckerblockaden sorgen in anderer Herren Länder eher für routiniertes Schulterzucken als für Armageddon-Parolen. Und wer in Frankreich, Österreich oder den Niederlanden hätte je ein Verbot der dortigen AfD-ähnlichen Parteien gefordert, obwohl das unter Umständen verfassungsgemäß wäre? In unserer Nachbarschaft würde die Vorsitzende einer Regierungspartei Kopfschütteln bis in die eigenen Reihen ernten, wenn sie wie jüngst SPD-Chefin Saskia Esken vor wichtigen Regionalwahlen die Auflösung einer konkurrierenden Kraft ins Spiel brächte, die in Umfragen vorn liegt – so abstoßend dieselbe auch sei.Was ist das für eine Anomalie? Warum verspürt man hierzulande solche Schmerzenslust daran, eine eigentlich sehr diesseitige Auseinandersetzung um die Besteuerung von Landmaschinen und Agrartreibstoff zum republikanischen Endgame zu überhöhen? Was zeigt sich im spektakulär hilflosen Ruf nach einem AfD-Verbot?Frank Trentmanns DiagnoseBei aller Skepsis gegenüber nationalkulturellen Sittengemälden: Man fühlt sich an eine Diagnose erinnert, die der Historiker Frank Trentmann seinem Geburtsland jüngst von London aus gestellt hat. Die Deutschen, so seine monumentale Mentalitätsgeschichte Aufbruch des Gewissens, denken hartnäckig in Gut und Böse. Es geht weniger um politische Probleme als um das Verlangen nach moralischer Haltung. So wird aus dem „Was tun wir jetzt?“ sehr rasch ein „Magst du die?“.Das politische Problem, wie weit man dem Agrarprotest entgegenkommen kann, wird so zur polarisierenden Prinzipienfrage, wie man „zu den Bauern steht“ – die etwa in der taz als „Mähdrescher-Mob“ firmieren. Ähnlich muss sich auf dem linken Flügel dieses moralisierten Diskurses schon fast des Täterschutzvorwurfs erwehren, wer bezüglich der AfD die Binsenweisheit ausspricht, dass politische Herausforderungen politisch zu beantworten sind. Dabei ist das linksliberale Ausgrenzungsdogma, das jetzt im Verbotswunsch gipfelt, ja ebenso gescheitert wie das konservative Nachplappern von AfD-Rhetorik.Teils erinnert jener Hang der liberalen Mitte zum unpolitischen Politisieren an die USA. Wie dort ist es auch hier inzwischen wichtiger, wer da spricht, als was gesagt wird. In kaum einer Öffentlichkeit ging es bei den großen Fragen der jüngsten Jahre – von Corona über den Krieg in der Ukraine bis Gaza – so wenig um rationale Auseinandersetzung und so sehr um das moralische Markieren des – oder der – Indiskutablen. Hinzu kommt als deutsches Spezifikum ein obrigkeitlicher Zug, der immer unverblümter mit Maßnahmen vom Dienst- bis zum Verfassungsrecht liebäugelt. Man kann darüber spekulieren, ob sich hier das Erbe des deutschen Liberalismus zeigt, der nie im Ernst versucht hat, die alten Mächte zu stürzen, sondern immer nur an deren Zwangsmitteln beteiligt werden wollte.Corona, Frieden, BauernSicher ist, dass diese Anti-Politik der Etablierten Folgen hat. Das moralische Scherbengericht wirkt als sich selbst erfüllende Prophezeiung. Je scharfzüngiger nach den „Corona- und Friedensschwurblern“ nun die Bauern als „rechtsoffen“ hingestellt werden, desto wahrscheinlicher wird eben genau das. Und ist denen, die zeitgleich von einem AfD-Verbot fantasieren, wirklich klar, welch mächtiges Konjunkturpaket für diejenige Sorte von Semi- oder Vollverschwörungstheorien sie da schnüren, die der AfD zuletzt gerade unter jungen Wählern so viel Zulauf beschert haben?Die in der Tat bedrohliche Rechtspartei bräuchte eine Gegenkraft, die ihre Masche, so ziemlich jedes Problem den Fremden und Verfremdeten anzulasten, nicht kopiert. Diese Kraft dürfte sich aber auch nicht auf wohlfeile Verurteilung dieser Masche beschränken, sondern müsste die AfD politisch herausfordern – auf einem Schlachtfeld, das sie nicht kennt. Kann das Bündnis Sahra Wagenknecht das? Oder vielleicht doch noch die Linke? Hier liegt jedenfalls eine echte Zukunftsfrage der Demokratie. Das News-Gewitter um die Furchen-Guerilla des Bauernpräsidenten Joachim Rukwied könnte sich hingegen noch von selbst in biederes Wohlgefallen auflösen. Man müsste es nur schaffen, sich die ganz große Story einmal zu verkneifen.