Aiwangers Botschaft an Gleichgesinnte: „Stark überspitzte Form der Satire“?

Meinung Auch das „Pogromly“ genannte Brettspiel, das der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund rund um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Anlehnung an Monopoly produzieren ließ, war als satirische Selbstbestätigung gedacht
Ausgabe 35/2023
Hubert Aiwanger
Hubert Aiwanger

Foto: Imago/Panama Pictures

Nur als Randnotiz wird das infame Flugblatt, für das Hubert und/oder Helmut Aiwanger verantwortlich sein sollen, als das diskutiert, was es doch zuvorderst gewesen ist: als (der Versuch von) Satire. Zumindest spricht Helmut Aiwanger von einer „stark überspitzten Form der Satire“.

Als ob Satire nicht immer über- oder jedenfalls zuspitzt. Dabei ist das Erste, was der Text über sich aussagt, seine Uneigentlichkeit: Denn es gibt offenkundig keinen „Bundeswettbewerb: Wer ist der größte Vaterlandsverräter?“, bei dem es folglich als ersten Preis wohl auch keinen „Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“ zu gewinnen gab.

Eigentümlich allerdings, dass diese Satire gar nicht klarmacht, gegen wen sie sich richtet. Wer mögen die „Vaterlandsverräter“ wohl sein, die da etwas gewinnen können? Das wird allenfalls durch den Kontext dechiffrierbar. Einem Kontext, in dem die „Vaterlandsverräter“ Juden, Kommunisten, Schwule und sogenannte Berufsverbrecher waren, die als Erste mit Freiflügen durch KZ-Schornsteine bedacht worden sind. Antisemitisch also, aber nicht nur: Mehr ein Raunen, das sich an alle richtet, die eh wissen, wer und was gemeint ist. Populistisch also und insofern jetzt so weit auch nicht weg von einem Auftritt wie dem neulich in Erding, wo Politik und Kabarett den Schulterschluss suchten, wo ebenfalls geraunt wurde – und vor allem die Abgrenzung gesucht von, wer weiß, kommunistischen Vaterlandsverrätern, die dem Volk demnächst die Pelletheizungen aus den Kellern reißen werden.

Satire und Kabarett richten sich stets an Gleichgesinnte. Auch das „Pogromly“ genannte Brettspiel, das der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund rund um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Anlehnung an Monopoly produzieren ließ, war als satirische Selbstbestätigung gedacht und nicht als Konfrontation. Nur dass rechte Satire eben von oben nach unten gerichtet ist, weil sie die staatliche Ordnung bedroht sieht oder sie gar wiederherstellen – und ihre Opfer dabei am liebsten gleich vernichten möchte.

Das war schon zu Zeiten der Weimarer Republik, als Satire in Deutschland Hochkonjunktur hatte, das erklärte Ziel propagandistischer NS-Satire: Gegner totzulachen, sie mit Worten, mit Witzen zu vernichten, noch bevor man sie physisch zu vernichten in der Lage war.

So erklärt sich nun leider auch, warum staatliche Stellen wie Schule und Staatsanwaltschaft gegenüber rechter Satire nachsichtiger sind als gegenüber linker, die sich in aller Regel gegen „die da oben“ richtet: Weil Macht und Mächtige von rechter Satire nichts zu befürchten haben. So wenig wie das Gymnasium im Falle des Aiwanger’schen Flugblattes mehr tun zu müssen glaubte, als eine Ermahnung auszusprechen und ein Referat aufzugeben, so wenig muss Markus Söder nun mehr tun, als Aiwanger zu ermahnen und ein Referat – Antworten auf 25 Fragen – aufzugeben.

Gefährlich wird es aber immer dann, wenn sich die Mächtigen hinstellen und anfangen, „stark zu überspitzen“. Dem Publikum nahezulegen, man müsste sich „die Demokratie zurückholen“ etwa, wenn man selbst der demokratisch gewählte stellvertretende bayerische Ministerpräsident ist. So hat es Hubert Aiwanger im Juni in Erding getan. Das „starke Überspitzen“ scheint Aiwangers Ding zu sein, ob das Flugblatt von ihm war oder nicht.

Oliver Nagel ist Satiriker und Autor. Er lebt in München

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