Hey, y’all In South Carolina – Nikki Haleys Heimat – stehen Vorwahlen an: Um den Süden der USA ranken sich viele Mythen. Wo es gruselige Pflanzen gibt, wie Lokalpatriotismus hier klingt und was Kommunisten in Alabama leisteten: unser Wochenlexikon
Der Begriff „Deep South“ umfasst die Bundesstaaten South Carolina, Georgia, Florida, Alabama, Mississippi und Louisiana
Foto: Carolyn Drake/Magnum Fotos/Agentur Focus
A
wie Alabama Communist
Klingt komisch, ist aber so: Der Süden der USA hat eine fulminante kommunistische Geschichte. In den 1930er Jahren war die Communist Party besonders in Alabama aktiv, angetrieben damals von Schwarzen Arbeiter:innen. Sie versteckten nachts Flugblätter in Bäumen, schrieben Botschaften in flüssigen Beton, schmuggelten Schreibmaterialien in Wäschekörben durch die Städte. Erst im Untergrund, später an der Seite der Sharecropper-Gewerkschaft und anderer linker Gruppen kämpften die Alabama Communists gegen den Ku-Klux-Klan, die Polizei und ausbeutende Bosse. Revolutionäre Ideen wurden dabei mit konkreter Nachbarschaftshilfe verbunden. Rund 20.000 Menschen gehörten zum erweiterten Kreis, viele von ihnen waren religiö
en waren religiös. Der Historiker Robin D. G. Kelley hat den Alabama Communists mit seinem Buch Hammer and Hoe ein Denkmal gesetzt. Wer heute auf ihren Spuren wandeln möchte, muss nach Birmingham: Dort bietet ein Sohn-Vater-Unternehmen Stadtführungen an. Lukas HermsmeierFwie FlaggeDa wehte sie also. Die Südstaaten-Flagge, auf einem hohen Mast im Nachbargarten meiner Schwiegermutter im brandenburgischen Kirchmöser. Das ist paar Jahre her. „Wahrscheinlich ein Fan von Jack Daniel’s und Harley-Davidson“, dachte ich. Später wurde die Flagge durch eine texanische ausgetauscht. Auch das fand ich seltsam, aber nicht so befremdlich wie die vorige, die zwar in den 1980ern mit Southern Rock, der Serie Fackeln im Sturm oder Amiga-Games wie North & South in den Medien immer wieder auftauchte, heute aber dem reaktionären Trump-Lager zuzuordnen ist. Als wir Kirchmöser zuletzt besuchten, flatterte eine schwarz-weiß-rote Reichskriegsflagge im Wind. Wurden wir Zeugen zunehmender Radikalisierung? Oder trauen sich Nazis mit AfD-Umfragewerten über 30 Prozent im Rücken nun offener, ihre Gesinnung so preiszugeben? Ji-Hun KimKwie KrimiUnter der Sonne des Südens geht es finster zu. Vor allem in der Spannungsliteratur. Southern Noir heißt das Genre, und sein Großmeister ist der 1936 in Texasgeborene James Lee Burke. Dessen größter Erfolg ist die inzwischen 24 Bände umfassende Saga um Dave Robicheaux, zunächst Ermittler beim New Orleans Police Department und später Sheriff in New Iberia, einer Kleinstadt im Süden Louisianas (→ Zydeco). Inzwischen müsste der trockene Alkoholiker und Vietnam-Veteran die 80 überschritten haben, doch fiktive Detektive altern langsamer als normale Menschen. Zumal, wenn es sich um eine mythische Figur wie Robicheaux handelt, der schon mal Zwiesprache mit einem General der Konföderiertenarmee hält. „Das Vergangene ist nicht tot, es ist noch nicht einmal vergangen“, hat ein anderer Autor aus dem Tiefen Süden, der in Mississippi geborene Nobelpreisträger William Faulkner, einmal geschrieben. Besser lassen sich James Lee Burkes’ Krimis nicht auf einen Begriff bringen. Joachim Feldmann Lwie Lynyrd SkynyrdDer Kanadier Neil Young weiß genau, was ihm die Musik des Südens bedeutet. „Music is to the United States as wine is to France“ (T Bone Burnett). Nur der mörderische Rassismus gefiel ihm nicht. Diesen Zwiespalt spürt man in der Melancholie des Songs Alabama (1972). Im Album After the Gold Rush (1970) war die Verachtung deutlicher zu spüren. Der „Southern Man“ denkt und tut, was weiße Herren so denken und tun. Die Band Lynyrd Skynyrd kam aus dem tiefsten Süden. Ihr Sweet Home Alabama (1974) wird als Replik auf den Kanadier gehört: Neil Young, den brauchen wir hier nicht. Doch der Affront gegen Young ist nur oberflächlich. Darunter steckt der Song voller südlicher Selbstironie. Das Kunststück ist sowohl lokalpatriotisch als auch kritisch brauchbar. Kann man in der Romcom Sweet Home Alabama mit Reese Witherspoon sehen. Michael SuckowNwie NixonWahljahr 2020: Joe Biden gewinnt. Donald Trump freilich kam im Süden, mit Ausnahme Georgias, dank der weißen Stimmen zu Mehrheiten. In South Carolina stimmten 73 Prozent der weißen Wähler für Trump, 90 Prozent der schwarzen (→ Rasta-Trumps) für Biden. Dort stellen Weiße rund zwei Drittel der Abstimmenden. Es grüßt Richard Nixon, 1969 – 1974: Die südliche Standhaftigkeit der Republikanischen Partei geht zurück auf Nixons „Südliche Strategie“, ein Anheizen des weißen Ressentiments. Die Bürgerrechtsbewegung hatte Mitte der 1960er den Apartheid-Zuständen im Süden den rechtlichen Boden entzogen. Viele Weiße waren sauer. Nixons Leute erkannten den fruchtbaren Boden. Der republikanische Vordenker Kevin Phillips erläuterte 1970 in der New York Times: Je mehr Schwarze sich im Süden für die Demokraten registrierten, umso mehr Weiße gingen zu den Republikanern. 1964, im Jahr des Bürgerrechtsgesetzes, sagte Präsident Lyndon B. Johnson, „der Süden“ sei für Demokraten verloren. Konrad Ege Pwie Postbetrug1991 erschien John Grishams Roman Die Firma über den ehrgeizigen Jura-Studenten Mitch McDeere, der sich aus schwierigen Verhältnissen zu einem der besten Jura-Absolventen in Harvard hochgekämpft hat. Er wird von den großen Kanzleien umworben, entscheidet sich aber anders: Die kleine Wirtschaftskanzlei Bendini, Lambert & Locke überzeugt McDeere, in den beschaulichen Süden des Landes, nach Memphis, Tennessee, zu ziehen. Anfangs scheint alles perfekt, der Süden der USA wirkt ruhiger und familiärer. Doch die Realität sieht anders aus: Die Firma erledigt größtenteils Arbeit für die Mafia, alles ist Fassade (→ Spanish Moss), weswegen Grisham die Kanzlei auch in die Front Street setzte. Am Ende wird ihr nichts Komplexes zum Verhängnis, sondern das Verschicken überhöhter Rechnungen an die Mandanten: Postbetrug. Jan C. Behmann Rwie Rasta-TrumpsDie Frage, ob Texas ein „Südstaat“ sei, würde dort auf Schulterzucken stoßen. Der „Lone Star State“ sieht sich als Reich der Mitte: nicht in Relation zu anderen Ländereien bestimmbar, sondern umgekehrt! Ähnlich zeigten mir die stolzen „Houston locals“ der Welt von „rebel sports“ und Hardcore-Sound schon in den 1990ern, dass dort auch die Jugendkultur anders kartiert war: Etliche Idole sahen aus wie hierzulande die Antifa, redeten teilweise aber wie die Junge Union – oder schlimmer: Corporate America? Evil, weil irgendwie ein Leftie-Ding (→ Alabama Communist).Gewerkschaften? Plünderten „hard working people“ aus. Warum sich der habituelle Nonkonformismus in einem Staat mit erblicher Republikaner-Mehrheit nicht gegen diese Partei richtete, wie also diese Rasta-Punks zu Rasta-Trumps avant la lettre mutieren konnten: Ich sah mich damals nicht in der Position für solche Fragen, zumal die Antwort erwartbar war. Sie hätte dem Marken-Claim jenes Skateboard-Labels entsprochen, das uns seinerzeit zusammenführte: „Fuck you, we’re from Texas“.Velten Schäfer Swie Spanish MossGucken Sie gerne Horrorfilme? Stehen Sie auf Lametta und Plüsch? Mögen Sie Gebäude im Gothic-Revival-Stil? Dann ignorieren Sie beim nächsten USA-Urlaub ruhig mal New York und fahren Sie stattdessen in den Bundesstaat Georgia, dort in die Stadt Savannah und dort ins historische Viertel – das ist nämlich einer der schönsten Orte im ganzen Land. Dass dieses Quartier mit seinen 22 Plätzen, vielen Brunnen, Denkmälern und faszinierenden Fassaden nicht nur hübsch, sondern auch ganz schön spooky ist, liegt am sogenannten Spanish Moss, einer silbergrauweißen Pflanze, die sich um die Äste der großen Eichenbäume legt. Das Spanish Moss, das eigentlich gar kein Moos ist, sondern zur Familie der Bromeliengewächse gehört, gibt es an vielen feuchten Orten des Südens, aber nirgendwo ist der Grusel so schön wie in Savannah. Lutz HerdenYwie Y’allDer schnellste Weg für eine Gruppe Reisender, herauszufinden, ob sie sich gerade in den Südstaaten aufhält, ist es, einen Diner zu betreten. Begrüßt die Hostess mit einem fröhlichen „How y’all doing?“, dann stehen die Chancen auf Grits, Sweet Tea und Cornbread hervorragend. Von Virginia bis Texas ist das charakteristische Südstaatenpronomen allgegenwärtig. Und es ist mehr als nur eine Abkürzung für „you all“. „Y’all“ ist umfassender, inklusiver als das im Yankee-Territorium verbreitete „you guys“. „Y’all“ bezieht alle mit ein, ist ein wahrhaft universeller Plural, der Grenzen von Race und Gender hinter sich lässt. So wächst die Anerkennung für „y’all“ mittlerweile auch nördlich der Mason-Dixon-Line. Traditionell haben die Besonderheiten des Südens es außerhalb der Region schwer. 1886 etwa, mehr als ein halbes Jahrhundert nachdem die Nutzung des Pronomens erstmals dokumentiert wurde, bezeichnete es die New York Times noch als „einen der lächerlichsten aller Southernismen“. Nun breitet sich das Wort zunehmend in den ganzen USA aus. „And there ain’t nothing y’all can do about that.“Julian Heißler Zwie ZydecoDer Teutschenthaler Bergmann Schultze (Horst Krause in Schultze gets the blues) muss in den Vorruhestand. Seine Kollegen singen ihm schwerfällig ein Bergmannslied. Schultze übt auf dem Akkordeon Polkas für einen Auftritt in der Dorfkneipe. Nachts im Radio hört der einsame Mann plötzlich Louisiana-Rhythmen, auf wilden Akkordeons gespielt: Zydeco! – Szenenwechsel: Louisiana, ein Tanzschuppen. „Stakkato-Salven, Trommelschläge auf die Herzen der Tänzer“, durchgeschwitzte Kattunkleider, schweißglänzende Gesichter, „die Tanzfläche vollgestopft“ (Das grüne Akkordeon, Annie Proulx). Und Schultze ist jetzt im Tiefen Süden Amerikas. Ade, Teutschenthal. Er spricht kein Cajun-Französisch. Aber die Südstaatenproleten verstehen den Ossi-Loser. Schultze lebt auf, tanzt. Und dann stirbt er. Am Lungenkrebs der Bergleute. MS
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