Transformationskonflikt der Autobranche: „I schaff beim Bosch, halt mei Gosch“ ist vorbei
Antriebswende Wer steuert die Wende in der Autoindustrie? Bei Bosch, dem weltgrößten Automobilzulieferer, geht die Belegschaft auf die Barrikaden – aus Angst vor Stellenabbau und Wut über die Abkehr des Managements von der Sozialpartnerschaft
Okay, im Vergleich zum Arbeitskampf, den die GDL seit Monaten führt, wirkt das alles wie ein laues Lüftchen. Aber es geht um Bosch, um ein Stiftungsunternehmen mit sozialem Nimbus, um den weltgrößten Automobilzulieferer mit fast 430.000 Beschäftigten, mehr als 130.000 davon in Deutschland. Bosch ist das Paradebeispiel für das, was Gewerkschaften und Arbeitgeber gern als das deutsche Modell der „Sozialpartnerschaft“ beschwören. Konflikte zwischen Belegschaft und Managem
52;r das, was Gewerkschaften und Arbeitgeber gern als das deutsche Modell der „Sozialpartnerschaft“ beschwören. Konflikte zwischen Belegschaft und Management werden hier traditionell hinter verschlossenen Türen verhandelt, nicht immer einvernehmlich, aber möglichst vertrauensvoll und geräuschlos. „I schaff beim Bosch und halt mei Gosch“ war ein geflügeltes Wort über Jahrzehnte.„Mit dem Protest bricht sich etwas Bahn, das innen nicht mehr geregelt werden kann“, sagt Adrian Hermes, Unternehmensbeauftragter der IG Metall für Bosch. Bisher galt bei Bosch das ungeschriebene Gesetz, dass man bei Problemen gemeinsam an Lösungen arbeitet. Doch diesmal sei der Arbeitsplatzabbau vom Management als alternativlos hingestellt worden. „Für die war das in Stein gemeißelt. Das können wir nicht akzeptieren“, sagt Hermes. „Bei den Protesten geht es auch darum, wieder auf Augenhöhe zu kommen“.60.000 Jobs sind schon wegDass diese Augenhöhe nicht mehr gegeben ist, erfahren etwa die Bosch-Beschäftigten in Leonberg, einige Kilometer westlich von Stuttgart. Anfang der 2000er Jahre wurden hier noch analoge Anzeigeinstrumente produziert. Betriebsrat und Management bauten den Standort seitdem gemeinsam zu einem Entwicklungszentrum um, das stetig gewachsen ist. Heute arbeiten 4.000 IT-Fachleute in Leonberg. Bosch spricht von einem „Silicon Valley der Fahrerassistenz“. „Hier sollte das Konzernzentrum für autonomes Fahren entstehen“, sagt Betriebsrat Dirk Taffe. So wurde es 2019 in einem Grundsatzpapier mit der Standortleitung vereinbart. „Sogar die Baugruben für die neuen Gebäude wurden schon ausgehoben.“ Doch im Dezember 2023 machte das Management einen Rückzieher und stoppte alle Investitionen. „Für uns bedeutet das maximale Unsicherheit“, sagt Taffe. Was die Betriebsräte besonders ärgert: Gleichzeitig wurde angekündigt, über eine Milliarde Euro in China zu investieren – für autonomes Fahren.Tatsächlich zeigt ein Blick auf die Streichliste, dass vor allem Zukunftsbereiche betroffen sind: 1.250 Beschäftigte sollen an den Entwicklungsstandorten Feuerbach und Schwieberdingen abgebaut werden, 950 im Bereich Software. „Damit gefährdet Bosch ganz klar Zukunft“, sagt Unternehmensbetreuer Hermes. „Denn ohne qualifizierte Beschäftigte ist das Unternehmen nicht wettbewerbsfähig.“Erste Risse in der „I halt mei Gosch“-Mentalität wurden schon 2017 sichtbar, als Bosch seine Starter- und Generatoren-Sparte an das chinesische Konsortium ZMJ verkaufte. 7.000 Mitarbeiter weltweit arbeiteten bei Bosch SG, 1.300 davon in Deutschland – je zur Hälfte in Schwieberdingen bei Stuttgart und in Hildesheim. „Das war ein Schock“, erinnert sich ein damaliger Betriebsrat. „Den Starter gab es mehr als 100 Jahre, und es war immer Bosch. Und jetzt sollte dieses Herzstück unseres Unternehmens ausgegliedert und verkauft werden.“ Ein Aufschrei der Empörung ging durchs Intranet, wütende Mails aus aller Welt trafen ein. Nicht nur für die Beschäftigten, auch für den Betriebsrat kam die Ankündigung völlig überraschend. Von frühzeitiger und umfassender Information, wie sie das Betriebsverfassungsgesetz vorschreibt, konnte keine Rede sein – es stand einfach eines Morgens in der Zeitung."Strategische Neuausrichtung" heißt das im ManagementsprechNiemand hatte damit gerechnet: „Wir sind immer davon ausgegangen, dass Bosch die Elektrokompetenz des SG-Bereichs im Unternehmen halten würde.“ Gerade vor dem Hintergrund des anstehenden Umstiegs auf Elektromobilität wäre das eigentlich logisch gewesen: „Das sind Fachleute, die sich mit elektrisch drehenden Maschinen auskennen, das hätte gut gepasst.“ Doch die Entscheidung war gefallen. Langfristig habe der Bereich im „wettbewerbsintensiven und kostengetriebenen Markt zusammen mit einem Partner oder Käufer bessere Wachstumschancen“, so die Begründung des Unternehmens. Was im Managementsprech als „strategische Neuausrichtung“ beschönigt wurde, hieß im Klartext: Wir sind zwar Marktführer, können aber die Preise der Wettbewerber auf Dauer nicht halten.Die IG Metall stellte sich auf die Hinterbeine: Drei Wochen später demonstrierten 2.000 Beschäftigte vor der Konzernzentrale auf der Schillerhöhe. „Bosch reißt sich die soziale Maske herunter“, rief der Hildesheimer Betriebsratsvorsitzende Stefan Störmer ins Mikrofon. Es blieb aber nicht beim Dampfablassen. Die IG-Metall-Vertrauensleute – zuvor eher eine Hilfstruppe des Betriebsrates – organisierten mit Unterstützung des „Gemeinsamen Erschließungsprojekts“, des Organizing-Teams der IGM-Bezirksleitung, Abteilungsversammlungen, Workshops und Demos im Betrieb, bei denen die Belegschaft ihre eigenen Bedürfnisse und Vorschläge formulierte und vorbrachte. Am Ende stand eine Vereinbarung, die allen SG-Beschäftigten den unbefristeten Erhalt aller Bosch-Sozialstandards und, im Fall künftiger betriebsbedingter Kündigungen, ein arbeitslebenslanges Rückkehrrecht zu Bosch garantierte.Ob die IG Metall die Erfahrung des Konflikts beim Starter auf künftige Auseinandersetzungen übertragen kann, wird sich zeigen. 2023 vereinbarte die Gewerkschaft mit Bosch einen sogenannten Zukunftstarifvertrag. Dieser schließt betriebsbedingte Kündigungen bis 2027 aus. Daran hält sich das Unternehmen zwar, plant nun aber dennoch einen Personalabbau, wenn auch „sozialverträglich“, über Vorruhestandsregelungen oder Abfindungen.IG Metall in bedrohlicher LageUnterm Strich geht es um die grundsätzliche Frage: Kann die IG Metall verhindern, dass die Beschäftigten der deutschen Automobilindustrie bei der Transformation zur Elektromobilität unter die Räder kommen? Das Risiko ist real: 833.000 Beschäftigte arbeiteten 2018 in der Automobilindustrie. Heute sind es über 60.000 weniger. Der Großteil der Jobs wurde bisher nicht bei den großen Automobilkonzernen VW, Mercedes-Benz und BMW abgebaut, sondern vor allem bei den Zulieferern. Und ein Blick in die Wirtschaftspresse zeigt, dass es noch schlimmer werden dürfte: Ob globale Schwergewichte wie Continental und ZF Friedrichshafen oder Mittelständler – kaum ein Zulieferer, der aktuell nicht Personal reduziert, Standorte schließt oder gleich Insolvenz anmeldet. Und mittlerweile ist klar: Auch die Autokonzerne selbst werden nicht ungeschoren davonkommen. Zuletzt haben sich bei VW Vorstand und Betriebsrat auf ein Kürzungspaket in Höhe von 20 Milliarden Euro geeinigt, bei dem mindestens 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen.Tatsächlich stellt der Antriebswechsel die Branche vor erhebliche Probleme. Zulieferer wie Bosch und Co. müssen ihr Know-how bei Schlüsselkomponenten wie Antriebsbatterien, Halbleitern und Software erst mühsam aufbauen. Sie konkurrieren dabei mit globalen Schwergewichten wie Nvidia, Google und Apple oder dem chinesischen Batterieweltmarktführer CATL. Bosch selbst war bereits 2019 aus der Batterieforschung ausgestiegen. Begründung: zu hohe Kosten.Zwar hat die Autozulieferersparte Bosch Mobility seither mächtig in Zukunftstechnologien investiert. Das Unternehmen produziert etwa als einziger Zulieferer weltweit die in der Automobilbranche wichtigen Siliziumkarbidchips. Weitere drei Milliarden Euro sollen bis 2026 in das Halbleitergeschäft investiert werden. Und auch der Bereich Software soll mit zehn Milliarden Euro gestärkt werden. Bereits jetzt sind laut Geschäftsbericht die Hälfte aller Beschäftigten im Bereich Forschung und Entwicklung Software-Entwickler. Doch die Absatzahlen von Elektroautos haben sich bislang bei Weitem nicht so entwickelt, wie es sich die Branche erträumt hat. Sicher geglaubte Aufträge blieben aus. Zudem setzen viele Autofirmen vermehrt auf Eigenfertigung, was die Zulieferer zusätzlich unter Druck setzt.Die IG Metall kämpft um den Erhalt der Arbeitsplätze, das ist ihr Job. Aber für die Gewerkschaft ist die Lage auch aus organisationspolitischen Gründen bedrohlich. Die Automobilindustrie bildet das Rückgrat ihrer Organisationsmacht. Etwa 35 Prozent der aktuell 2,13 Millionen IG-Metall-Mitglieder sind hier tätig.Klar, die Gewerkschaft ist weit davon entfernt, in Passivität zu verfallen. Viele Beispiele deuten sogar darauf hin, dass man bereit ist, in den Kampfmodus zu wechseln. An einigen Continental-Standorten oder zuletzt beim Zulieferer Driveline in Zwickau hat die IG Metall mit harten und langen Streiks geplante Schließungen zwar nicht verhindert, doch aber aufschieben können und zuvor nicht für möglich gehaltene Abfindungen sowie Millioneninvestitionen in Nachnutzungskonzepte für die Standorte erkämpft. Bei Tesla in Grünheide arbeitet ein Team aus hochprofessionellen Organizern seit Produktionsbeginn vor zwei Jahren kontinuierlich daran, betriebliche Stärke aufzubauen. Über 1.000 Beschäftigte sollen bereits der IG Metall beigetreten sein. Bei der Betriebsratswahl am 20. März wurde die IG Metall mit knapp 40 Prozent stärkste Liste.Eine Erneuerungsidee sind die sogenannten Zukunftstarifverträge, die die IG Metall in den letzten Jahren mit Branchengrößen wie ZF Friedrichshafen oder Mahle vereinbart hat – und im vergangenen Jahr auch bei Bosch Mobility. Was bürokratisch klingt, versprüht in der Praxis einen Hauch von Wirtschaftsdemokratie: Nicht die Geschäftsführung allein entscheidet darüber, wie sich Unternehmen für die Post-Verbrenner-Ära aufstellen. Betriebsräte und Management arbeiten gemeinsam an Zukunftskonzepten und beraten über neue Produkte, notwendige Investitionen und Qualifizierungsmaßnahmen.Bei Bosch stellt sich nun allerdings die Frage, ob die gemeinsame Arbeit an der Zukunftsausrichtung endet, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat. Zumindest aus Sicht von Adrian Hermes wäre das ein Fehler. „Wir sollten nicht das Kind mit dem Bade ausschütten“, warnt er. Die Umsetzung des Zukunftstarifvertrages habe gerade erst begonnen. Jetzt gehe es darum, sie gemeinsam weiterzuverfolgen. Klar ist aber auch: Funktionieren wird das nur, wenn sich nicht nur Betriebsräte und IG-Metall-Experten, sondern auch die Belegschaften selbst starkmachen und mit ihren Bedürfnissen und ihrem Know-how wirkmächtig in den Prozess einbringen.Placeholder authorbio-1
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