Ist Auswendiglernen zu Unrecht verpönt?

Streitfrage Binge Learning, schnöde Paukerei, stumpfes Büffeln: Wenig ist heute so verpönt wie die Idee, dass erstmal in den Kopf hinein muss, was verstanden werden will. Hat die Reformpädagogik hier überzogen? Ist das Memorieren besser als sein Ruf?
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 05/2024
Ist Auswendiglernen zu Unrecht verpönt?

Grafik: der Freitag

Pro Auswendiglernen

Ich war in der zweiten Klasse in Ostberlin und zum Rezitatorenwettstreit der Schule eingeladen. Mein Gedicht handelte von Heimat. Ich war nervös. Übte die Betonung, Pausen, Reime. Ich gewann den Wettbewerb und war stolz. Irgendwie gehörten Auswendiglernen und Auftritt seitdem zusammen. Aber nicht nur reinhämmern, sondern verinnerlichen, was man sagen soll. Es ging ja nicht um Paragrafen oder Vokabeln. Sondern eher um Ausdruck und Gefühl.

1991 gingen wir auf die Straße gegen den Golfkrieg und paukten drinnen im Klassenraum französische Grammatik. Mein Lehrer war alte Schule, trug einen grauen Spitzbart wie Walter Ulbricht und einen Holzstock in der Hand, mit dem er zu Beginn jeder Stunde auf eine Konjugationstafel der Verben être und