Erneut demonstrierten am vergangenen Wochenende Herero und Nama in Berlin. Erneut brachten sie ihre Forderungen nach einer Anerkennung und Entschuldigung für die kolonialen Verbrechen in Deutsch-Südwestafrika (Namibia) vor. Und sie machten ihrem Unmut über ein Land Luft, das, so formulierte es die namibische Parlamentarierin Ida Hoffmann, 600 Millionen Euro ausgebe, um den „Kolonialpalast eines Völkermörders“ wiederaufzubauen (gemeint ist das Berliner Stadtschloss der Hohenzollern, das auch das Humboldt-Forum beherbergen soll), sich aber weigere, über Wiedergutmachung mit den Opfern des unter der Regentschaft des letzten Hohenzollernkaisers Wilhelm II. begangenen Völkermords zu verhandeln.
Dass die Anerkennung und die Entschuldigung durch den Deutschen Bundestag oder den Bundespräsidenten noch immer nicht erfolgten, ist moralisch fragwürdig und droht die große Geste historischer Aufarbeitung in ihr Gegenteil zu verkehren. Erst 2016 gab die Bundesregierung ihren Widerstand gegen die Klassifizierung der gut 110 Jahre zurückliegenden Ereignisse als Genozid auf. Der Wunsch des Bundestags, den osmanischen Völkermord an den Armeniern anzuerkennen, hatte die deutsche Politik unter Zugzwang gesetzt, auch in Sachen Herero und Nama eine Anpassung der politischen Rhetorik an die historischen Fakten vorzunehmen. Der Bundestag hängte die moralische Messlatte damit hoch.
In der Praxis fand diese moralische Symbolpolitik jedoch enge Grenzen: Parlamentarische Anerkennung und präsidiale Entschuldigung für deutsche Kolonialgräuel sollte es erst und nur dann geben, wenn Namibia auf jegliche Wiedergutmachungsforderung verzichtete. Durchsetzen sollte dies Ruprecht Polenz als Sonderbeauftragter, wobei er nur mit der namibischen Regierung verhandeln sollte, nicht mit selbst bestimmten Vertretern der Herero und Nama. Das musste zum Scheitern führen. Auch im Auswärtigen Amt musste man wissen, dass viele Herero und Nama ihrer Regierung in diesen Fragen misstrauten, ja ihr teilweise sogar das Verhandlungsmandat absprachen. So mag man diplomatischen Kuhhandel betreiben, für eine moralisch geleitete Vergangenheitspolitik ist es unpassend.
Eineinhalb Jahre später ist ein Großteil der Nachkommen der Opfer verärgert. Deutschland steht (wieder) am Pranger, in den USA wurde Anfang des Jahres Klage eingereicht, unter anderem wegen Missachtung der „UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker“. Unabhängig vom Ausgang ist der Imageschaden enorm. Einen Vorgeschmack gab am Dienstag die scharfe Kritik der UN-Arbeitsgruppe für Menschen afrikanischer Abstammung. Sie prangerte einen „strukturellen Rassismus“ in Deutschland an und verwies ursächlich auch auf die fehlende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den kolonialen Verbrechen.
Die Chance, aller Welt zu zeigen, dass man aus eigenem Antrieb und Einsicht die bis heute nachwirkenden historischen Ungerechtigkeiten anerkennen und richten wolle, wurde vertan. Nun erwägt auch die tansanische Regierung eine Klage gegen Deutschland wegen der Zerstörungen und bis zu 300.000 Opfer des Maji-Maji-Kriegs (1905–1907). Dabei hätte das Thema lange vom Tisch sein können, ja müssen.
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