Continental in Ungarn gängelt Gewerkschaften auf Weisung aus Deutschland
Union-Busting Gewerkschaftsvertreter in Ungarn glaubten, dass ihnen bei Continental ungarische Führungskräfte Probleme bereiten würden. Doch nun wurden sie eines Besseren belehrt
Trotz niedriger Löhne, steigender Wohnungspreise und einer starken Inflation seit 2021 gibt es in Ungarn nicht viele Streiks. Abgesehen von ein paar Beispielen, von denen das prominenteste die Continental-Beschäftigten von Makó sind. Zusammen mit ihrer Gewerkschaft kämpfen sie für ihr Streikrecht, ihr Recht auf Arbeit, ihr Recht auf Krankheitsurlaub und auf Abfindung. Dafür erfahren sie wenig Solidarität von Seiten der linken oder liberalen Opposition. Es sind Kämpfer, die im ungarischen politischen Zirkus der Gegenwart oft unsichtbar bleiben.
Diese für ungarische Verhältnisse recht kämpferischen Arbeiter und ihre Gewerkschaftsführer sind immer wütend. Sie sind nur selten wütend über die zunehmende Zahl von Gastarbei
chtbar bleiben.Diese für ungarische Verhältnisse recht kämpferischen Arbeiter und ihre Gewerkschaftsführer sind immer wütend. Sie sind nur selten wütend über die zunehmende Zahl von Gastarbeitern aus Indonesien, die die Unternehmensleitung zu ersetzen versucht. Vielmehr sind sie wütend auf das ungarische Management vor Ort, ihre Chefs. Ihre Wut wird jedoch durch ein Argument eingeschränkt: In Interviews mit den Gewerkschaftsführern von Makó sagten diese uns Reportern immer wieder, dass nicht alle Führungskräfte von Continental gleichermaßen kritikwürdig seien: Wenn nur „richtige deutsche Manager“ anstelle der ungarischen eingesetzt würden, dann würde sich alles zum Guten wenden.Diese Illusion ist nun durch ein Gerichtsurteil in Frage gestellt worden.Denn im Herbst hat die Gewerkschaft vor Gericht gegen eine lokale Niederlassung des deutschen Unternehmens Continental AG gewonnen, nachdem diese sich geweigert hatte, ihr erforderliche Unternehmensdaten zur Verfügung zu stellen. Wie das Budapester Nachrichtenportal Mérce.hu berichtet, wurden laut Gerichtsurteil im örtlichen Continental-Werk in der südungarischen Stadt Szeged der Gewerkschaft Informationen über Fluktuation in der Produktion, Produktivität und Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall vorenthalten, die für die Verhandlungen wichtig gewesen wären, und die Gewerkschaft somit zu Unrecht benachteiligt hat. Und die örtlichen Manager wurden von der Continental AG in Deutschland angewiesen, die Informationen zurückzuhalten, obwohl das gegen ungarische Gesetze verstößt.Die Beschäftigten im Conti-Werk in Makó haben 2021 den größten Arbeitskampf des Jahres gewonnenDie Vorfälle liegen schon länger etwas zurück. Der örtliche Gewerkschaftsverband im Continental-Werks in der südostungarischen Stadt Makó wurde angesichts der sich in der Covid-19-Pandemie verschlechternden Arbeitsbedingungen einigermaßen streitlustig. Die Belegschaft in dem Werk, einem Zulieferer von Teilen für die Öl- und Kraftstoffindustrie, lehnte sich erstmals gegen die Eigentümer auf, als das Unternehmen im März 2021 den Tarifvertrag mit der Gewerkschaft einseitig kündigte. Im wahrscheinlich größten Arbeitskampf des Jahres 2021 gewannen die Beschäftigten von Makó, und es wurde eine Vereinbarung über einen neuen, besseren Tarifvertrag getroffen.Die Auswirkungen auf die Beschäftigten des Werks nach 2021 waren jedoch alles andere als rosig. Etliche Gewerkschaftsmitglieder wurden entlassen, auch wenn das Unternehmen bestreitet, dass dies etwas mit ihrer Teilnahme am Streik zu tun hat. Wie sich jetzt herausgestellt hat, begann nach dem Streik auch die Vorenthaltung wichtiger Informationen gegenüber der örtlichen Gewerkschaft. In der in den vergangenen Wochen abgehaltenen Gerichtsverhandlung erklärte die Gewerkschaft als Klägerin, dass sie Daten über die Fluktuation der Belegschaft, die Menge der produzierten und ausgelieferten Waren, der geleisteten Überstunden und der Krankentage verlangt habe – alles notwendig, damit die Gewerkschaft bei Verhandlungen weiß, was Sache ist.Das Unternehmen lehnte diesen Antrag routinemäßig ab – wie sich vor Gericht herausstellte, aus einem ganz bestimmten Grund. Gerichtsdokumente belegen, dass der Geschäftsführer des örtlichen Werks der Continental, Contitech Fluid Automotive, in Makó, Levente Szűrszabó, vor dem Staatsgerichtshof in Szeged am 5. September 2023 an Eides statt erklärte, dass er diese Informationen aufgrund interner Regeln des Unternehmens nicht weitergeben dürfe:„Wenn ich von den vom Unternehmen festgelegten Regeln und Vorschriften abgewichen wäre und Daten geliefert hätte, die nicht erlaubt sind“, sagte Szűrszabó, „wäre ich mit sofortiger Wirkung gekündigt worden und könnte bei keinem anderen Arbeitgeber dieser Holding arbeiten.“Wer hat die Anweisung erteilt, den Gewerkschaften die ihnen zustehenden Infos vorzuenthalten?Wie auch anderswo arbeitet Continental in Ungarn als dezentralisierte Struktur. Das bedeutet, dass das Unternehmen, das das Werk in Makó betreibt – wie auch andere Unternehmen in der zentral-westlichen Stadt Veszprém oder in der Hauptstadt Budapest –, offiziell nicht dem Continental-Zentrum oder der Schaeffler Holding, ihrem Mehrheitseigentümer, in Deutschland unterstellt ist.Szűrszabó, der unmittelbar nach dem abrupten Abgang des ehemaligen Continental-Geschäftführers in Makó während des erfolgreichen Streiks für einen neuen Tarifvertrag ernannt wurde, räumte nun jedoch gegenüber dem Richter ein, dass dies nicht ganz der Fall sei. Er sagte dem Gericht, dass die zentrale Stelle des multinationalen Unternehmens ContiTech mit Sitz in Hannover eine Schulungsveranstaltung abgehalten hat, in der es darum ging, der Gewerkschaft diese wichtigen Informationen vorzuenthalten. Die Schulungsveranstaltung umfasste eine Powerpoint-Präsentation sowie anderes Kommunikationsmaterial, das laut Szűrszabó Teil eines zentralen Informationssystems der Unternehmenszentrale war:„Im Juli 2021, unmittelbar vor meiner Ernennung, reiste ich zur Zentrale von Continental Ungarn, die keine eigenständige juristische Person ist, und nahm an einer Schulung teil. Dort erhielt ich Informationen darüber, welche Art von Daten ich an Dritte weitergeben kann – darunter die Gewerkschaft, den Betriebsrat oder die Presse. Während der Sitzung wurden uns die Regeln auf einem Projektor gezeigt, die festlegen, welche Art von Daten ich an die Gewerkschaft und den Betriebsrat weitergeben kann. (…) Es handelt sich um eine zentrale Regelung, die wahrscheinlich in das zentrale Intranet-Netzwerk in Deutschland hochgeladen wurde.“Die Manager sollten Daten vorenthalten. Und nicht darüber sprechen, dass sie es tatenDer Geschäftsführer sagte dem Richter auch, dass die Schulung darüber, „wie man die Weitergabe von Informationen“ an „Dritte“ oder die Öffentlichkeit vermeide, fester Bestandteil der Sitzung gewesen sei, und dass sie den Kommunikationsbeauftragten erteilt wurde. Als angehender Geschäftsführer wurde er über die besten Praktiken der Geheimhaltung unterrichtet. Er sagte auch, dass gemäß der Continental-Verordnung die örtliche Gewerkschaft „nicht erfahren darf, welche Art von Daten wir ihnen vorenthalten und warum“, was bedeutet, dass eine detaillierte Erläuterung der Verweigerung der Datenweitergabe ebenfalls untersagt war.Wie das Gericht in seinem Urteil feststellte, hat das Unternehmen Makó Continental damit „gegen seine Informationspflicht verstoßen“, weil es der Gewerkschaft Informationen vorenthalten habe, die dieses eigentlich rechtmäßig erhalten müsse. Unter Eid erklärte der Geschäftsführer des Werks in Makó auch, dass der Durchschnittslohn in der südöstlichen Region (in der sich Makó befindet) offensichtlich viel niedriger ist als in Budapest. In ihrer Antwort an Mérce.hu räumte die örtliche Continental-Geschäftsführung in Ungarn ebenfalls ein, dass sie „regionale Unterschiede berücksichtigt“, wenn es um Entscheidungen über Lohnerhöhungen geht.Der örtliche Gewerkschaftsvorsitzende Roland Hajdú kommentierte das Gerichtsurteil gegenüber Mérce.hu so: „Das Werk in Makó hat seinen Wettbewerbsvorteil bei den Löhnen schon vor langer Zeit verloren. Aus diesem Grund und wegen des sich verschlechternden Arbeitsumfelds, das das Unternehmen selbst geschaffen hat, hat es Schwierigkeiten, neue Arbeitskräfte zu finden. Die Geschichte ist nicht einfach, dass es in dem Werk einen Mangel an Arbeitskräften gibt, sondern dass unangemessene Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen zu einem Mangel an Arbeitskräften hier führen.“Hajdú und andere Gewerkschaftsvertreter kämpfen seit Jahren gegen mangelnde Sicherheitsvorkehrungen in dem Werk und gegen das, was sie als „kreative Tricks“ der örtlichen Unternehmensleitung bezeichnen, um die Auszahlung von Abfindungen an entlassene Arbeiter zu vermeiden.Continental Deutschland sagt, man wisse von nichtEin weiteres Problem in Makó, auf das die Gewerkschaft hinweist, ist die schrittweise Entlassung ehemaliger Arbeitnehmer und die zunehmende Beschäftigung von Arbeitnehmern aus Drittländern in dem Werk in den letzten Jahren. Diese neuen Arbeitskräfte wurden vor allem aus Indonesien über Arbeitsvermittlungsagenturen geholt und profitierten von der jüngsten Gesetzgebung des Parlaments mit seiner Fidesz-Mehrheit, die es multinationalen Unternehmen erleichtert, Arbeitskräfte von außerhalb der EU einzustellen.Nun hofft die Gewerkschaft, dass das Gerichtsurteil für Continental dazu führt, die „illegalen Praktiken“ in Makó zu beenden.Da die eidesstattliche Aussage von Szűrszabó die zentrale Leitung der Continental AG in Hannover belastet, haben wir dort nachgefragt, wie man zu der Aussage und dem Urteil steht. Ein Pressesprecher im Büro des Vorstandsvorsitzenden der Continental AG, Nikolai Setzer, antwortete: „Die konstruktive Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretern hat bei Continental eine hohe Priorität. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Informationen, die für die Arbeitnehmervertretungen relevant zur Ausübung ihrer Funktionen sind. Umfang und Art der bereitgestellten Informationen hängen dabei stets von rechtlichen und datenschutzrechtlichen Vorgaben sowie der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen ab.“Der Mehrheitseigentümer der Continental AG, die Familie Schaeffler, gehört zu den reichsten Familien in Deutschland. Nachdem die Finanzkrise von 2008 und die Covid-Krise von 2020 bis 2021 die Automobilindustrie schwer trafen, verlor der Eigentümer Georg Schaeffler allerdings ein kleines Vermögen und sein Unternehmen begann, nach Möglichkeiten zu suchen, um die Produktionskosten zu senken. Laut Bloomberg sind Schaeffler und seine Familie aber auch 2023 unter den 375-reichsten Menschen der Welt.
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