Fast drei Monate dauerte der sommerliche Streik der LKW-Fahrer auf dem Rastplatz Gräfenhausen West in Hessen. Am 18. Juli 2023 legten einige Fahrer der polnischen Spedition Mazur dort ihre Arbeit nieder, wo im Frühjahr schon rund 60 ihrer Kollegen ebenfalls erst wild, dann aber sogar erfolgreich gestreikt hatten. Wenig später waren es schon um die 150 LKW-Fahrer. Mit weißem Klebeband hatten sie mehrstellige Zahlen auf ihre blauen Laster geklebt, für die Höhe der von Mazur nicht gezahlten Löhne, insgesamt wohl rund 500.000 Euro.
Die Not der Fahrer und ihrer Familien, die fast alle aus den Ländern des Kaukasus kommen, war groß. Groß war auch die Anteilnahme, wenn auch nicht ganz so groß wie im Frühjahr. Politiker schauten vorbei, linke Unterstützergruppen ebenso wie die überregionale Presse. Lange ging trotzdem nichts vor und zurück, und im September traten einige in einen Hungerstreik. Anfang Oktober kam dann die erlösende Nachricht: das Geld wurde bezahlt, der Streik ist vorbei. Aktuell stehen keine streikenden LKWs mehr auf dem Rastplatz.
Hubertus Heil bringt Heil, aber ausbeuterische Bedingungen in der Logistikbranche bleiben krank
Man muss jedoch kein Hellseher sein, um vorauszusehen, dass ein ähnlicher Streik jedezeit wieder vorkommen kann. Die Fahrer sind in der Logistikbranche beschäftigt, dem größten europäischen Wirtschaftssektor nach Industrie und Handel. Die Arbeitsverhältnisse sind geprägt durch Sub-Unternehmertum und Lohndumping, von dem auch deutsche Unternehmen profitieren. Auch das neue Lieferkettengesetz greift hier nicht.
In der Vergangenheit wurden wilde Streiks von den DGB-Gewerkschaften oft ignoriert, mitunter auch bekämpft. Das war in Gräfenhausen anders. Gewerkschaftsvertreter waren immer wieder vor Ort, das DGB-Projekt Faire Mobilität hat die Fahrer beratend unterstützt. Infrastruktur und Essensspenden haben genauso geholfen wie mediale Aufmerksamkeit, initiiert von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Aber die wichtige Frage, gerade für Gewerkschaften, ist jetzt: Wie können diejenigen unterstützt werden, die der Lohndrückerei schutzlos ausgeliefert sind? Bei wilden Streiks entstehen unübersichtliche, spontane Situationen. Da gilt es, unter schnell sich ändernden Bedingungen Unterstützung zu organisieren. Auch langfristige gewerkschaftliche Anbindung dürfte ob der Beschäftigungsverhältnisse kompliziert sein – aber warum keine solidarische Streikkasse für solche Fälle bereitstellen?
Woher kam das Geld, das den Streik beendet hat?
Streikkassen sind die gut gehüteten Geheimnisse der Gewerkschaften, die den Fortgang eines Streiks erst möglich machen. Vielleicht hätte Streikgeld, das die spontan streikendenFahrer nach Hause hätten schicken können, den Streik in Gräfenhausen zu einem wirklichen Erfolg machen können. Denn dieser hier hat einen bitteren Beigeschmack: Es war nicht der Spediteur Mazur, der die ausstehenden Löhne der Fahrer bezahlt hat. Das bestätigt auch der Bezirksvorsitzender des DGB Hessen-Thüringen, Michael Rudolph, auf Nachfrage: „Dass die Unternehmen von Herrn Mazur nichts zur Lösung der Situation und den Zahlungen an die Fahrer beigetragen, ist absolut richtig.“ Aber wer hat dann bezahlt? Dazu möchte der DGB keine Auskunft geben: „Die Zahlungen an die Fahrer stammten ausschließlich von verantwortungsbewussten Akteuren aus der Lieferkette.“ Also kam das Geld von denen, deren Waren, die Fahrer gelagert hatten?
Wie auch immer: Wäre es nicht besser gewesen, Geld zum nachhaltig erfolgreichen Fortgang des Streiks einzusetzen, als mit Summen aus unklaren Kanälen zur kurzfristigen Befriedung beizutragen? Am Kräfteverhältnis zwischen den Fahrern und ihrem Spediteur dürfte sich so jedenfalls kaum etwas geändert haben.
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