LKW-Streik auf der A5: Hau den Lukasz

Streik Auf einem Rastplatz bei Gräfenhausen streiken seit Wochen LKW-Fahrer aus Osteuropa für faire Löhne. Ihr Boss schickte ihnen Schläger vorbei – doch seine Skrupellosigkeit blieb ohne Erfolg
Ausgabe 16/2023
Sie lassen sich nicht einschüchtern: Gemeinsam streiken sie für eine bessere Bezahlung
Sie lassen sich nicht einschüchtern: Gemeinsam streiken sie für eine bessere Bezahlung

Foto: Jan Ole Arps

In Georgien ist es üblich, Ostern mit Verwandten auf dem Friedhof zu verbringen, die Verstorbenen zu besuchen und ausgiebig an ihrem Grab zu speisen – und zu trinken. Die Lkw-Fahrer, die seit vier Wochen auf der inzwischen international bekannten Autobahnraststätte Gräfenhausen-West an der A5 für ihre Löhne streiken, konnten diesmal nicht an den Familienfeiern zu Hause teilnehmen. Für viele ist es schon das zweite Osterfest, das sie verpassen, weil sie Waren in ihren Trucks durch Europa fahren – zu Löhnen, für die hier niemand arbeiten möchte.

Ein Festessen – Dank vieler Spenden

Foto: Jan Ole Arps

An diesem Sonntag kommt trotzdem Feierstimmung auf in Gräfenhausen. Dank vieler Spenden gibt es ein echtes Festessen. Zwischen den Lkw mit den blauen Planen legen zwei Fahrer Schaschlik auf den Grill, im Laderaum eines Wagens wird Salat zubereitet, ein Tisch aufgebaut, die tags zuvor rot gefärbten Eier werden verteilt, jemand zündet Weihrauch an. Dann wird gebetet, gegessen und getrunken – immer wieder schalten Fahrer ihre Familien per Videoanruf dazu.

Die Streikenden haben noch etwas anderes zu feiern als die Auferstehung Jesu: Endlich ist Bewegung in ihren Arbeitskampf gekommen. Am vergangenen Freitag hat ihr Auftraggeber Lukasz Mazur, ein polnischer Fuhrunternehmer, dessen Wagen die Fahrer wegen nicht gezahlter Löhne festgesetzt haben, endlich versprochen zu zahlen. Mazur hatte sich bislang geweigert, die Forderungen der Fahrer auch nur anzuerkennen. Sogar einen uniformierten Schlägertrupp hatte er auf die Raststätte geschickt (der Freitag 15/2023).

Es hat alles nichts genützt, die Wagen stehen nach wie vor dort, der Fall ist inzwischen ein Nachrichtenthema, nicht nur in Deutschland. Erste Speditionen haben ihre Zusammenarbeit mit Mazur auf Eis gelegt – etwa Sennder und Lkw Walter. Nun will Mazur den ausstehenden Lohn begleichen, einige Fahrer haben bereits Geld bekommen. Aber noch nicht alle. Ein weiterer Versuch, die Streikenden zu spalten? „Er wird zahlen“, grinst Gima, ein Fahrer, der nur seinen Vornamen nennen möchte. „Wir haben ja seine Autos – und geben sie erst raus, wenn wir alle unser Geld haben. Ich glaube, er hat verstanden, dass wir bis zum Ende zusammenhalten werden.“

Bezahlung nach Nationalität

An der Organisierung der Branche beißen sich Gewerkschaften seit Jahren die Zähne aus. Das liegt auch an dem perfiden Sub-Sub-Subunternehmersystem, bei dem Firmen aus Westeuropa westeuropäische Speditionen beauftragen, die den Warentransport wiederum über Fuhrunternehmen aus Osteuropa abwickeln, die ihrerseits – oft scheinselbstständige – Fahrer aus Nicht-EU-Ländern beschäftigen.

Gemeinsam für fairere Löhne: Die LKW-Fahrer von Gräfenhausen

Foto: Jan Ole Arps

Bei der Firma Mazur fahren, wie bei vielen anderen Firmen auch, laut Aussagen der Fahrer überhaupt keine EU-Bürger mehr. Ihre Kollegen kämen aus den Philippinen, aus Nepal, der Türkei, Usbekistan und der Ukraine. Die Fahrer erzählen auch, dass die Löhne sich nach Nationalität unterscheiden. Die Usbeken etwa bekämen noch weniger als die Georgier. Von daher ist es bemerkenswert, dass sich neben den gut 50 georgischen auch zwölf usbekische Fahrer dem Protest angeschlossen haben. Das Versprechen „Wir gehen erst, wenn wir den Lohn haben“, schließt alle ein.

Nicht nur die Medienaufmerksamkeit für den Streik ist gewachsen, auch die Solidarität hat noch zugenommen. Alle paar Minuten hält jemand an der Raststätte an, um eine Spende oder ein freundliches Wort dazulassen. Vergangene Woche war der Sozialmediziner Gerhard Trabert vor Ort, um die Fahrer medizinisch zu versorgen. Dass sich etwas ändern muss in der Branche, findet ein deutscher Trucker, der am Sonntag auf dem Parkplatz erscheint, um 150 Euro an die Streikenden zu übergeben. „Ich habe Riesenrespekt davor, was die Jungs hier machen“, sagt er. „Ich hoffe, dass die Politik endlich aufmerksam wird.“

Auch Anna Weirich von der DGB-Beratungsstelle Faire Mobilität, die die Streikenden seit Wochen unterstützt, hegt diese Hoffnung. Sie wünscht sich eine stärkere Auftraggeberhaftung, denn am Ende seien es die Firmen aus Westeuropa, die von der Ausbeutung außereuropäischer Fahrer profitierten. Derzeit berät der Verkehrsausschuss des Bundestags über ein Papier, in dem es um die Arbeitsbedingungen im Transportsektor geht. Auch das EU-Parlament sprach gerade über die Ausbeutung im Transportwesen. Tags zuvor hatten vier EU-Parlamentarier*innen die Streikenden besucht und sich von ihren Forderungen berichten lassen.

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