Gewerkschaften in den USA erkämpfen Lohnerhöhungen von 25 Prozent

Tarifabkommen Erst bei UPS und beim Krankenhauskonzern Kaiser Permanente – nun bei General Motors, Ford und Stellantis: In den USA setzen Gewerkschaften Lohnabschlüsse durch, die sich auf dem Bankkonto bemerkbar machen. Ein Erfolg nach 46 Tagen Streik
Ausgabe 48/2023
Sie haben es geschafft: Die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) hat ein bemerkenswertes Tarifabkommen ausgehandelt.
Sie haben es geschafft: Die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) hat ein bemerkenswertes Tarifabkommen ausgehandelt.

Foto: Scott Olson/Getty Images

Es ist der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) gelungen, ein respektables Tarifabkommen für 145.000 Arbeiterinnen und Arbeiter auszuhandeln. Die UAW-Mitglieder haben es Mitte November ratifiziert. Nun wird analysiert, warum der Tarifabschluss möglich war nach vielen Rückschlägen. Sind die Gewerkschaften wirklich auf dem Vormarsch in den USA? Auch beim Lieferdienst UPS und beim Krankenhauskonzern Kaiser Permanente haben die Mitarbeiter zuletzt etwas zugunsten ihrer Einkommen tun können.

UAW-Präsident Shawn Fain: „Historischer Sieg“

Für die Beschäftigten bei General Motors (GM), Ford und Stellantis, dem Mutterkonzern von Chrysler, machte sich der Erfolg nach 46 Tagen Streik auf dem Bankkonto bemerkbar. Es gibt für die nächsten viereinhalb Jahre deutlich höhere Löhne mit einem Plus von 25 Prozent (elf Prozent im ersten Jahr). Weiter sind eine Anpassung der Einkommen an die Inflationsrate, mehr Arbeitsplatzsicherheit und der partielle Verzicht auf ein Lohnstufen-System vorgesehen, das bisher bei Neueinstellung und Teilzeit eine wesentlich schlechtere Bezahlung zur Folge hatte. UAW-Präsident Shawn Fain, der nur ein halbes Jahr vor dem Streik gewählte Erneuerer, verglich den „historischen Sieg“ mit dem Sit-down-Streik in Flint (Michigan) 1936/37, nach dem General Motors die UAW anerkennen musste.

Bemerkenswert beim jetzigen Deal ist das Zugeständnis von Stellantis, das im März abrupt geschlossene Werk Belvidere Assembly Plant in Illinois wieder aufzumachen. Dort waren seit 1965 PKW hergestellt worden, vom Plymouth Fury bis zum Jeep Cherokee. Künftig soll Belvidere unter anderem Batterien für Elektroautos produzieren.

Während des Arbeitskampfes legte Joe Biden sein Jackett ab und zog ein rotes UAW-T-Shirt über. Das mit Belvidere sei „gigantisch“, fand der US-Präsident. Es ist in der Tat das erste Mal, dass Gewerkschaften an der Wiedereröffnung eines Werkes Anteil haben. Und Stellantis’ Ja zu einer – gewerkschaftlich organisierten – Fabrik für Batterien widerlegt düstere Prophezeiungen republikanischer Politiker, der Wechsel zu Elektroautos werde die angeblich mit China nicht konkurrenzfähige US-Autoindustrie ruinieren.

Der UAW-Vorsitzende Fain hat vor vielen Arbeitern Naheliegendes formuliert: Die Autokonzerne erzielten riesige Profite, das müsse sich auch bei den Löhnen zeigen. In der sozialdemokratischen Zeitung In These Times legte er mit Blick auf die Pandemie nach: „Wenn etwas Gutes von Covid ausging – trotz all der Todesfälle und anderer misslicher Folgen –, dann, dass Menschen in der Arbeiterklasse realisierten, dass sich ihr Leben nicht darum drehen sollte, sieben Tage in der Woche zu arbeiten und mit mehreren Jobs gleichzeitig durchkommen zu müssen.“

Gewerkschaftsfeinde in den Südstaaten

Neu war die Streiktaktik. Die UAW verhandelte mit den „großen Drei“ und streikte zugleich punktuell in einzelnen Werken. Die Unternehmerseite konnte sich schlecht darauf einstellen – die Gewerkschaft sparte Ressourcen. Untermauert wurde das von einer ziemlich ausgefeilten Social-Media-Strategie. Natürlich hatten sich manche Arbeiter letztlich mehr versprochen. Bei Stellantis und Ford stimmten rund zwei Drittel für eine Annahme der Abschlüsse, bei GM nur 55 Prozent. Ältere Arbeiter waren nicht zufrieden mit den Zahlungen für die Rentenversicherung. Überdies fiel das Thema Arbeitszeitverkürzung weg. Die UAW hofft, das Erreichte werde für Arbeiter in den nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieben im Süden – unter anderem bei Toyota, Mercedes, Volkswagen und Nissan – ein Anreiz sein, das zu ändern. Gesetze in den Südstaaten erschweren es Gewerkschaften in der Regel, aktiv zu sein. In der dortigen Autoindustrie liegen die Löhne unter den UAW-Tarifen.

Realistisch gesehen bleibt es schwer für US-Gewerkschaften. 1980 hatte die UAW anderthalb Millionen Mitglieder, heute sind es 400.000. Firmen haben Arbeitsplätze ins Ausland oder in gewerkschaftsfeindliche Südstaaten verlagert, und Tesla-Chef Elon Musk erhebt Gewerkschaftsfeindlichkeit zur Religion. Dass Gewerkschaften wieder im Kommen sind, wäre dann zu bejahen, wenn es ihnen gelingt, Breschen in diese Phalanx zu schlagen.

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