Jetzt geht’s los: „Heute ist ein guter Tag, um in Die Linke einzutreten.“ So äußerten sich viele Mitglieder der Linkspartei nach der Ankündigung Sahra Wagenknechts, eine eigene Partei zu gründen. Mit Wagenknecht verlassen die Partei neun weitere Bundestagsabgeordnete: Sevim Dağdelen, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Żaklin Nastić, Jessica Tatti, Alexander Ulrich, Ali Al-Dailami, Christian Leye und Amira Mohamed Ali – plus einige weitere Parteimitglieder, die schon lange im öffentlichen Dauerstreit mit der Parteimehrheit standen. Aus Sicht der Linkspartei kann man das Aufatmen nachvollziehen. Aber kann er nun wirklich beginnen, der ersehnte Neuanfang?
Zunächst ist da die Frage, wie es mit der Linken im Bundestag weitergeht, die d
eht, die durch den Weggang von mehr als zwei Abgeordneten ihren Fraktionsstatus verlieren wird. Wagenknecht schlug nun vor, die Fraktion bis Jahresende zu erhalten und so einen „geregelten Übergang“ zu organisieren. Für die Rest-Linke bleibt die Wahl zwischen zwei schlechten Optionen: Soll sie auf den Vorschlag eingehen und so die neue Konkurrenz indirekt fördern? Oder soll sie einen klaren Schnitt machen, auf Kosten parlamentarischer Möglichkeiten und Arbeitsplätze? Entschieden ist das noch nicht.„Mit einem konkurrierenden Bündnis wird es keine Fraktionsgemeinschaft geben“, sagt etwa der Linken-Abgeordnete Ates Gürpınar gegenüber dem Freitag. „Es wäre ein Leichtes, ihr Mandat abzugeben und damit die Fraktion zu erhalten. Diejenigen, die den Verein gründen, tun dies auf Kosten linker Inhalte, aber auch auf dem Rücken der Beschäftigten der Fraktion.“ Auch die drei direkt gewählten Linken-Abgeordneten Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann forderten, Wagenknecht und Mitstreiter*innen sollten ihre Mandate zurückgeben, alles andere sei „unmoralischer Diebstahl“. Doch darauf wird sich wohl niemand einlassen.Etwas gewollt wirkt daher der Optimismus, den eine Beschlussvorlage des Parteivorstands zu verbreiten versucht. Mit „Unsere Zukunft beginnt jetzt“ ist sie überschrieben und kündigt ein Comeback und eine Mitgliederoffensive an. „Die LINKE hat jetzt eine große Verantwortung. Deswegen verteidigen wir sie“, heißt es da. Man werde „aus dieser Krise eine Chance machen, damit wir die starke linke Opposition sein können, die diese Regierung verdient“. Die Trennung bedeute „eine Befreiung aus der Blockade“, schreibt auch die im Parteivorstand einflussreiche Strömung „Bewegungslinke“ in einer am Montag verschickten Rundmail an die Mitglieder.Partei ohne ReichweiteDie missliche Lage, in der die Rest-Linke nun steckt, ist allerdings auch selbst verschuldet. Seit Jahren schafft es dieser Teil der Partei nicht, der Erzählung von Wagenknecht und Co. eine überzeugende Erzählung entgegenzustellen. Der Parteivorstand hat sich in der Auseinandersetzung mit der Abtrünnigen auf die formale Ebene konzentriert, auf Parteibeschlüsse verwiesen und geklagt, man dringe mit den eigenen Inhalten nicht durch wegen des Störfeuers aus den eigenen Reihen. Das mag stimmen, aber warum wurde so wenig dagegen unternommen? Jahre, in denen die Linkspartei die Chance gehabt hätte, selbst reichweitenstarke Stimmen aufzubauen, sind verstrichen.Wagenknechts Message mag nicht links sein, aber sie ist eingängig: Die Bundesrepublik habe die „schlechteste Regierung ihrer Geschichte“ mit einer unvernünftigen Wirtschaftspolitik, und dass es mit der Linken nicht vorangehe, liege an der Übernahme durch abgehobene Lifestyle-Aktivist*innen, die die Probleme der normalen Leute vergessen hätten. Ähnliche Punchlines haben die Gegner*innen Wagenknechts nicht aufzubieten.Das mag auch daran liegen, dass die unterschiedlichen Teile der Rest-Linkspartei lange vor allem durch die Opposition zu Wagenknecht zuammengehalten wurden, darüber hinaus aber verschiedene Politikmodelle verfolgen. Die einstige „Beutegemeinschaft“ in der Fraktion zwischen dem Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und dem Wagenknecht-Lager wurde in der innerparteilichen Auseinandersetzung gespiegelt durch ein anderes Zweckbündnis: das zwischen Reformern, etwa der Parteimehrheit in Berlin oder den Thüringern, und der Bewegungslinken. Unterschiedliche, sich teils widersprechende Positionen gibt es zur Frage linker Regierungsbeteiligung, zum Ukraine-Krieg und zum neu aufgeflammten Krieg im Nahen Osten. Auch im Wagenknecht-Verein ist längst nicht alles geklärt, doch scheint man sich hier auf die Propagierung intern unumstrittener Kernpositionen zu konzentrieren, Unklarheiten könnten im Zweifelsfall top-down entschieden werden. In der Rest-Linken hingegen bleibt Klärungsbedarf.