In Wilhelmshaven soll im Winter ein zweites Terminal für den Import von Flüssiggas entstehen. Damit es besser transportiert werden kann, will der Gasnetzbetreiber eine 150 Kilometer lange Pipeline bauen, die sich durch den Nordwesten von Niedersachsen schlängelt. Überall ist davon die Rede: Liquefied Natural Gas (LNG). Dabei handelt es sich um verflüssigtes Erdgas, mit dem Europa durch die Energiekrise kommen will. Doch während wir hier darauf setzen, müssen in den Vereinigten Staaten, wo das LNG oft herkommt, viele Menschen mit ihrem Leben für den Boom bezahlen.
Der Aufschwung für die LNG-Produzenten begann mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022. In den Wochen nach dem Krieg machte die Europäische Union mit einer Fülle von Sanktionspaketen gegen Russland den Weg für alle möglichen Alternativen frei. Angesichts der drohenden Energiekrise (die inzwischen auch dauerhaft geworden ist), haben die Entscheidungsträger auf EU- und Staatsebene Klima- oder Ethikfragen aus ihren Überlegungen ausgeklammert. Wenn das Gas „nicht-russisch“ war, war es gut. Auf Rügen ist der Aktivismus gegen die von der Ampel geplanten LNG-Terminals groß. Der Bund wird Milliarden Euro in die Terminals an Nord- und Ostsee investieren, allein in den Hafen Mukran auf Rügen 200 Millionen Euro. Russisches Gas ist nicht nur aus politischen Gründen problematisch, sondern auch wegen vieler Methanlecks äußerst umweltschädlich. Stellt sich nun die Frage: Ist LNG wirklich eine gute Alternative?
In einer Pressekonferenz am 12. Oktober gaben verschiedene Aktivisten aus Gemeinden an der US-Golfküste einen schmutzigen Einblick in die Gewinnung von LNG aus den USA. Bei der Presseveranstaltung in Brüssel, die von der EU-Interessengruppe Food & Water Action Europe organisiert wurde, richteten Aktivisten von der Küste Louisianas sowie aus der Region Corpus Christi, Texas, einen emotionalen Appell an die europäischen Wähler vor den Wahlen zum EU-Parlament 2024. Sie forderten sie auf, die Pläne ihrer Regierungen zum Ausbau der LNG-Kapazitäten nicht zu unterstützen – und entsprechend abzustimmen.
Enrico Donda, ein Aktivist der Gruppe, erinnerte die Teilnehmer zuerst daran, dass die Europäische Union nach wie vor der größte Importeur fossiler Brennstoffe auf der Welt ist. Er fügte hinzu, dass die Europäische Kommission trotz gegenteiliger, nicht näher spezifizierter Zusagen ihre auf der COP26 in Glasgow gemachte Zusage, diese Importe zu reduzieren, noch nicht umgesetzt hat. Donda betonte, dass fast das gesamte bereits aus den USA gelieferte LNG aus Fracking-Gas besteht, einer der schmutzigsten und umweltschädlichsten Arten der Gasförderung, die es gibt. Die steigende Nachfrage aus Europa bedeutet jedoch, dass Fracking in den südlichen US-Bundesstaaten, wo es keine rechtlichen Grenzen für diese Praxis gibt, regelrecht expandiert. Und das, während es in Europa bereits verboten ist und auch in Großbritannien eingestellt wurde.
Sie nennen ihre Gegend „Krebs-Allee“
Beim Fracking, einer Methode zur Gewinnung von Schiefergas knapp unter der Oberfläche, werden Sand und große Mengen Wasser verwendet, um das Gas zu fördern. Dies ist einer der Hauptverursacher der Luft-, Wasser- und Lebensmittelverschmutzung an der Golfküste und in deren Umgebung. Eine Aktivistin, Michael Esealuka aus New Orleans, wies in Brüssel darauf hin, dass es für ihre Gemeinde um Leben und Tod geht: „Meine Gegend wird Krebs-Allee genannt“, sagt sie, „wir werden geopfert.“ Mit Krebsallee („Cancer Alley“) ist insbesondere jene Region in Louisiana gemeint, die sich entlang des Mississippi von East Baton Rouge bis hinunter nach Plaquemines Parish erstreckt, wo der Fluss in den Golf von Mexiko mündet. Eselakua erklärt, dass sich in dieser Region 150 Anlagen petrochemischer Unternehmen befinden – so viele, wie nirgends sonst in den USA.
Aber es ist auch die Heimat von Zehntausenden, die meist einer Minderheit angehören.
Die Bewohner in der Nähe der Fracking-Anlagen sind von Krebs, Geburtsfehlern, COPD, Herz- und Lungenkrankheiten betroffen. Einige dieser Krankheiten entstehen durch die Verschmutzung von landwirtschaftlichen Flächen, der Luft sowie durch verunreinigtes Wasser. Dies ist auf die chemischen Prozesse zurückzuführen, die beim Fracking zur Erdgasgewinnung nötig sind. Der Guardian berichtete 2019, dass allein in der Gemeinde Plaquemines „in fast jedem Haushalt jemand an Krebs gestorben ist.“ Aber es gibt noch ein anderes Problem in der Region: die Dürre.
Nach Angaben der lokalen Aktivisten hat das Fracking dazu geführt, dass die Gemeinde Plaquemines Parish in nur wenigen Jahren 50 Prozent ihrer Landmasse verloren hat. Vor einigen Jahren kam zu einer schweren Dürre in Louisiana, einem historischen Gebiet mit wasserreichen Sumpfgebieten. „Wenn ich von hier nach Hause kam, wusste ich nicht, ob wir noch sauberes Wasser zum Trinken haben würden“, erinnert sich Eselakua. Wenn man sich den „Dürremonitor“ der University of Nebraska-Lincolnvom vom 26. Oktober ansieht, stellt man fest: Der größte Teil von Louisiana leidet auch heute unter einer schweren Dürre. Dies wird durch ein massives Eindringen von Meerwasser in die Trinkwasserressourcen in den südlichen Gebieten noch verschlimmert.
Das Hauptproblem beim Fracking ist, dass in der Regel die Sumpfgebiete in unmittelbarer Nähe des Meeres betroffen sind. Nach wiederholten Explosionen, um das Gas aus dem Boden zu holen, dringt das Meer in die Süßwasserreservate ein und verseucht sie mit ungenießbarem Salzwasser. Dieses Meerwasser bahnt sich dann seinen Weg den Mississippi hinauf und beeinträchtigt das Wassersystem des noch trockeneren Nord-Louisianas und bedroht das Wasserreservoir eines Großteils der US-Südküste. So sieht es aus, das Teufelsgeschäft der US-Regierung: Für eine schnelle und profitable Gasförderung werden Menschen krank gemacht. Und das Wasser: salzig.
Welches Unternehmen dahintersteckt
Das größte multinationale Unternehmen, das von den lockeren bundes- und einzelstaatlichen Vorschriften in Louisiana profitiert, ist Venture Global, das derzeit die LNG-Anlage in Plaquemines Parish entwickelt, um vor allem den Gasbedarf der EU zu decken. „Ein Paradies für Aasgeier“, nennt Eselakua diesen Ort auf der Konferenz in Brüssel. „Diese Anlage deckt alle Widersprüche der fossilen Brennstoffindustrie auf.“
Die Halbinsel, auf der sich die Fracking-Anlage in Plaquemines Parish eines Tages befinden soll, liegt in der Nähe der mexikanischen Golfküste. Die Mehrheit der Einwohner dieses Gebiets sind schwarze Amerikaner, die auch die großen Verwüstungen während des Hurrikans Ida im Jahr 2021 erlebten. Die Katastrophe, die auch auf Faktoren des Klimawandels zurückzuführen ist, war die bisher größte Bewährungsprobe für die organisierten Gruppen vor Ort, die aufgrund der langsamen und unzureichenden Katastrophenhilfe auf Landes- und Bundesebene oft die einzige Hilfe waren, auf die sich die Einwohner verlassen konnten. Der Aktivismus hörte jedoch nicht mit Ida auf.
Michael Eselakua und ihre Gruppe setzten ihre Kampagne fort, um die geplante großangelegte Erweiterung der LNG-Fracking-Anlagen von Venture Global zu stoppen. Doch ihr Aktivismus wurde durch den Ukraine-Krieg und die gestiegene Nachfrage Europas nach dem Flüssigerdgas gestoppt. Nach den Plänen der EU, die LNG-Importe – vor allem aus den USA und Katar – erheblich zu steigern, hat Venture Global eine beispiellose Expansion in der Region Plaquemines Parish angekündigt. Dies ist der Hauptgrund, warum lokale Aktivisten beschlossen haben, einen Abgesandten in Richtung europäische Öffentlichkeit zu schicken, um von den schwerwiegenden Kosten für die Gemeinden in den USA zu berichten. Laut US-Volkszählung ist Plaquemines Parish jene Region, die am siebtstärksten in den USA von Krebserkrankungen betroffen ist. Kann Europa da noch weggucken?
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