Arbeiterinnen mit weißen Handschuhen schieben sorgfältig kleine Papierzettel in Teigtaschen. Die aufgedruckten Botschaften klingen so unbestimmt wie verheißungsvoll: „Now is a good time to explore“ ist auf einem zu lesen. Donya (Anaita Wali Zada), die seit ihrer Flucht aus Afghanistan in der kleinen Manufaktur für Glückskekse angestellt ist, blickt nachdenklich ins Leere. Zwischen den Fließbändern und Maschinen wird ihr ausdrucksstarkes Gesicht zum lebendigen Ankerpunkt der Szenerie.
Jeden Morgen fährt die Einundzwanzigjährige mit dem Zug aus der Schlafstadt Fremont in die Chinatown von San Francisco. Mit ihrer Kollegin Joanna verbindet sie ein freundschaftliches Verhältnis, doch darüber hinaus bleibt Donya meist für si
ür sich. Die Aufgeräumtheit ihres kleinen Apartments offenbart bei genauem Hinsehen ein völliges Fehlen persönlicher Gegenstände. Wenn es Nacht wird und Donya nicht schlafen kann, leistet sie ihrem Nachbarn Salim beim Rauchen vor der Tür Gesellschaft. Dass die Sterne, anders als in Kabul, hier so schnell über den Himmel wandern, spiegelt ihm die eigene Entwurzelung. Seine Termine beim Psychiater hält er für Zeitverschwendung und gibt sie gerne an Donya weiter, die sich ein Rezept für Schlafmittel erhofft. Gleichzeitig spürt sie, dass der rasende Stillstand in ihr sich nur im Kontakt mit anderen auflösen lässt.Auch wenn Fremont im Kern von Flucht, Überlebensschuld und Migration handelt, findet der iranische Regisseur Babak Jalali einen poetischen Erzählrhythmus abseits der sozialrealistischen Tristesse. Melancholische Trompetensoli unterspülen kontrastreiche Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Kamerafrau Laura Valladao schafft mit der Konzentration auf Schattierungen und Texturen eine diskrete Sinnlichkeit. Immer wieder rückt die Großaufnahme von Donyas zunächst undurchdringlich wirkendem Gesicht ins Zentrum. Stoisch behauptet sie sich in den Zumutungen des Exils. Als sie in der psychiatrischen Praxis wiederholt abgewiesen wird, weil diese auf der Ordnung der Terminvergabe beharrt, entgegnet sie schlicht: „Ich bin jetzt hier. Ich gehe nicht mehr weg.“Was wie ein Auftakt zur Traumatherapie wirkt, entwickelt sich zu einer Verkettung von lakonischen Vignetten. Doktor Anthony (Gregg Turkington) bemüht den Roman Wolfsblut von Jack London als paradigmatische Migrationserzählung. Die therapeutische Strategie, Donya durch das Angebot der Metaphernbildung zur Artikulation ihrer Gefühle zu bewegen, prallt mit einiger Situationskomik an ihr ab. Sie beschränkt sich im Gespräch lieber auf ihre biografischen Eckpunkte.Nach der Machtübernahme der Taliban 2021 konnte sie mit einem Evakuierungsflug aus Afghanistan entkommen. Als Dolmetscherin für das US-Militär hatte Donya Anspruch auf ein spezielles Visum, das sie, als arbeitende Frau im soldatischen Milieu, noch dazu kollaborierend mit den Besatzern, in eine doppelt ambivalente Position gebracht hat. Viele andere haben es nicht geschafft zu fliehen, was bei den Entkommenen Schuldgefühle auslöst. Diese Konflikte tragen sich bis in ihre kalifornische Nachbarschaft weiter.Banale Schönheit des FriedensBabak Jalalis Film zeichnet ein komplexes Bild der afghanischen Geflüchteten. Es zeigen sich große Unterschiede in den von ihnen gelebten Wertvorstellungen, und doch betont Fremont eine universelle menschliche Nähe, die das Gegeneinander mit Wärme und Humor auflöst. Die US-amerikanische Gesellschaft mit ihren vielen ethnischen und klassenspezifischen Differenzen erscheint in den atmosphärischen Schattenspielen der Schwarz-Weiß-Bilder ausgesprochen intensiv.Immer wieder gleitet der Film in lose aneinandergereihte Szenen von flüchtigen Begegnungen. Als Donya einmal ihre prekär lebende Arbeitskollegin Joanna zu Hause besucht, singt diese für sie einen Song der Folk-Sängerin Vashti Bunyan als Karaoke-Version. Ihre überraschend sanfte Stimme tritt in Kontrast zur kräftigen Körperlichkeit, mit der sich Joanna im Alltag behauptet. Just Another Diamond Day ist ein bedächtiges Lied, das von der banalen Schönheit eines friedlichen Augenblicks handelt. Als Donya beim Hören plötzlich zu weinen beginnt, anders als in den regelmäßigen Therapiestunden, wird deutlich, wie weit die Schemata der Trauma-Diskurse, die der Psychiater anbietet, vom subjektiven Erleben Donyas entfernt sind.Das alles nicht in einen handlungsgeleiteten Plot, sondern in offene Szenen und Bilder zu übersetzen, ist die große Stärke von Jalalis Film, der den vorsichtigen Öffnungsprozess seiner Protagonistin mit Sensibilität für Details und kleine Gesten entfaltet. Auch der zentrale Topos der Glückskekse dient nicht nur dem Anstoß einer Narration über Zukunft und Zufall, sondern hinterfragt stereotype Vorstellungen in Bezug auf Einwanderer.Denn die „fortune cookies“ sind keine chinesische Tradition, sondern ein genuin migrantisches Phänomen, das eigentlich von Japanern nach dem Zweiten Weltkrieg in San Francisco geprägt und dann von Chinesen für den US-Markt kommerzialisiert wurde. Wenn sich Donya als Autorin der Glückskeksbotschaften auf die Suche nach einem Traum begibt, ist dies nicht notwendig der amerikanische. Fremont gibt ihm filmisch einen Raum, der in der Härte und den Entbehrungen des Exils Momenten des Poetischen ihren Platz einräumt.Eingebetteter Medieninhalt