Christiane Florin: Als ich damals in Bonn unter anderem Politikwissenschaft studierte, gingen viele aus unserem Seminar mal eben bei der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) vorbei. Deren Bücher waren kostenlos, und wir fühlten uns mit unseren gefüllten Rucksäcken irgendwie als bedeutende Multiplikatoren. Das ist eine Weile her. Die Buchreihen gibt es noch immer, wenn auch nicht mehr gratis. Dafür stehen jetzt digitale Formate zur Verfügung. Ist es richtig, ausgerechnet jetzt, da der Rechtspopulismus so viel Zuspruch erhält, der BpB die Mittel zu kürzen?
Frank Richter: Ich habe nicht in Bonn studiert, sondern in der DDR. Und wenn ich dort ein Heft oder ein Buch der BpB ergattern konnte, lief das meistens über illegale Wege. Als ich von den Kürzungen hörte, wollte ich es nicht glauben. Die Demokratie steht unter Druck. Es braucht sehr viel Aufklärung, auch angesichts der um sich greifenden Verschwörungsmärchen und Filterblasen. Natürlich muss eine staatlich finanzierte Einrichtung sich immer kritisch hinterfragen. Aber gerade jetzt die Mittel zu kürzen, halte ich für das falsche Signal.
Katharina Schmitz: Das sehe ich anders. Kein Geld ist natürlich auch keine Lösung, aber davon kann ja nicht die Rede sein. Der Etat der BpB hat sich seit 2012 verdreifacht auf ungefähr 96 Millionen Euro. Nun sollen 20 Millionen gekürzt werden. Aber vielleicht können wir uns zunächst verständigen, wie wir Demokratiearbeit verstehen – und was politische Bildung überhaupt bewirken kann.
Richter: Politische Bildung ist nicht einfach dasselbe wie Demokratiearbeit, da sollten wir präziser sein. Es handelt sich um einen elementaren Bestandteil der Bildung. Demokratie ist ja die einzige Gesellschaftsform, die man lernen muss. Einer der Gründe, warum Menschen mit ihr hadern, ist, dass sie diese Demokratie oft gar nicht richtig verstehen. Das begegnet mir nicht nur bei den sogenannten bildungsfernen Schichten. Und da haben wir nun dieses Juwel in Deutschland, die BpB. Über die Höhe des Budgets kann man ebenso streiten wie über Methoden, aber in so kurzer Zeit und ohne inhaltliche Vorbereitung, ohne politische Diskussion einfach so mal mehr als 25 bis 30 Prozent wegzustreichen, halte ich für falsch.
Florin: Frau Schmitz, Sie haben in ihrem Artikel „akademisches Geschwafel“ unterstellt. Wo sehen Sie die Grenzen der politischen Bildung?
Schmitz: Sie kann jedenfalls nicht die Demokratie retten. Ich halte es für einen großen Irrtum zu glauben, dass das Abdriften nach rechts ein Problem der Bildung ist. Das sieht man ja schon an der AfD-Anhängerschaft. Deren Wähler verfügen zu über 20 Prozent über akademische Bildung. Ich gehe davon aus, dass auch Zahnärzte und Rechtsanwälte rechtsaußen wählen. Es stimmt einfach nicht, dass ungebildete Menschen nach rechts abdriften, während Gebildete demokratisch gesinnt sind.
Richter: Dennoch bleibt politische Bildung eine Pflichtaufgabe. Auch wenn es gar keinen Extremismus gäbe, müsste Demokratie trotzdem gelernt werden.
Schmitz: Ich denke, es ist ein Missverständnis, dass man vielen Menschen Demokratie erklären muss. Als habe, wer eine andere Meinung hat, etwas nicht richtig verstanden und benötige mehr Bildung. Aber die Leute wissen schon, was Demokratie ist. Manche haben Ansichten, die uns vielleicht nicht passen, die aber immer noch demokratisch sind. Dem müssen wir uns offener stellen, auch in der Diskussion.
„Wir leben in einem System, das nicht leicht zu verstehen ist.“
Richter: Das widerspricht meiner Erfahrung. Wir leben in einem System, das nicht leicht zu verstehen ist. Ich selbst muss, obwohl ich Politiker im Landtag bin, täglich neu hinzulernen. Allein die unterschiedlichen Ebenen unseres Staates - Kommunalpolitik, Landespolitik, nationale Politik, europäische Politik - sind schwer zu durchdringen. Und ohne Theorie geht es nicht.
Schmitz: Ohne Praxis aber auch nicht.
Richter: Wir brauchen beides. Es gehört auch Übung dazu.
Schmitz: Das leuchtet mir ein, aber ich finde es trotzdem wahnsinnig unkonkret. Mir kommt es oft so vor, dass sich in der BpB ein „Juste Milieu“ mit sich selbst beschäftigt.
Zur Person

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Frank Richter ist Mitglied der SPD und sitzt seit 2019 im sächsischen Landtag. Er ist studierter Theologe. Von 2009 bis 2016 war er Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen. 1989 wurde er als Gründer der Gruppe der 20 in Dresden bekannt
Florin: Was meinen Sie damit?
Schmitz: Damit meine ich Leute mit der Einstellung, die heute im linksliberalen Milieu gewünscht ist, die man nicht mehr von Demokratie überzeugen muss. Eulen nach Athen!
Florin: Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat 2019 eine Studie zur politischen Bildung an Schulen veröffentlicht. Demnach profitieren vor allem Gymnasien von der politischen Bildung. „Wer hat, dem wird gegeben“ – so ist diese Studie biblisch überschrieben. Jene 30 Prozent, die laut Umfragen Misstrauen in demokratische Institutionen hegen, werden hingegen nicht erreicht. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Richter: Das ist ein Problem, ja. Es ist für die Demokratie elementar, alle zu integrieren, und da sind auch Fehler gemacht worden. Andererseits haben wir ja den Wahl-O-Mat, ein hervorragendes niederschwelliges Format. Ich habe ihn selbst zweimal mit erarbeitet.
Stellt der Wahl-O-Mat Fragen so, dass man auf keinen Fall AfD wählt?
Schmitz: Der Wahl-O-Mat ist ganz sicher ein Erfolgsprodukt, aber nicht wenige zweifeln an dessen Überparteilichkeit. Die Fragen würden so gestellt, heißt es, dass man am Ende auf gar keinen Fall AfD wählt.
Richter: Das ist nicht richtig, dafür geht es bei diesen Dingen viel zu gewissenhaft zu. Manchmal haben wir Kritik eher andersherum gehört: dass manche überraschend bei der AfD rauskommen ...
Schmitz: Der Verdacht der Einseitigkeit bleibt. Lehrer sagten mir, dass BpB-Materialien, die sie früher gern im Unterricht nutzten, sich in den vergangenen Jahren verändert hätten, hin zu einer bestimmten Tendenz.
Florin: Welche Tendenz soll das denn sein?
Schmitz: Alles, was wir unter „woker Politik“ fassen. Die BpB erscheint vielen tendenziös.
Richter: Dann wäre doch aber nicht die Kürzung der Mittel die logische Konsequenz, sondern die Schärfung der Kontrollorgane.
Florin: Kommt auch im Sächsischen Landtag Kritik an einer angeblich allzu woken BpB?
Richter: Politische Bildung ist dort immer wieder ein Thema. Und natürlich ist Anpassung der Methodik nötig, um Wirksamkeit zu erzielen. Aber wir planen keine Kürzung, sondern eine moderate Steigerung, verbunden mit einem Weiterentwicklungskonzept, das besonderen Wert legt auf die Stärkung partizipativer Elemente. Und auf Dialogforen.
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Katharina Schmitz ist nach Stationen beim Fernsehen und in einer Agentur für politische Kommunikation seit 2017 Kulturredakteurin beim Freitag. Sie wuchs auf einem Bauernhof in Rheinland-Pfalz auf und studierte Politik- und Literaturwissenschaft in Bonn
Schmitz: Dann hieße die Strategie weiterhin „Wir müssen mehr informieren, dann sind die Menschen auch aufgeklärter bezüglich der Demokratie“. Ich sehe das Problem aber eher darin, dass die Parteien in den Regionen, in denen Rechtsextremismus auf dem Vormarsch ist, zu wenig präsent sind. Sie lassen der AfD zu viel Raum. Da können die Landeszentralen dann politisch bilden, wie sie wollen – es hilft nichts. Was nützt mir politische Bildung, denken sich die Leute, wenn ich keinen Termin beim Bürgeramt bekomme, das Krankenhaus schließt, mich Inflation sorgt?
Richter: Der wichtigste politische Bildner ist die Politik selbst, das stimmt. Ohne vernünftige, bürgernahe Politik nützt die ganze Bildung nichts. Aber es geht eben auch nicht ohne. Als Bürger muss ich wenigstens ungefähr verstehen, wie unser politisches System funktioniert. Darüber hinaus brauche ich Erfahrungsräume, Dialogräume. Als ich noch Direktor der Landeszentrale für politische Bildung war, haben wir das erfolgreiche Modellprojekt „Kommune im Dialog“ entwickelt. Von solchen parteiübergreifenden Bürgerversammlungen, die alle einbeziehen, brauchen wir mehr, gerade in strukturschwachen Regionen. Sie erhöhen die Akzeptanz. Wenn im ländlichen Raum infolge der anstehenden Kürzungen keine politische Bildung mehr stattfindet, schadet das der Demokratie.
Schmitz: Ich finde das sehr spannend. Aber es ist ja durchaus umstritten. Sie selbst gerieten 2015, als Sie mit den Pegida-Leuten geredet haben, in die Kritik. Wollen die Landeszentralen heute überhaupt noch mit Menschen reden, die ihnen politisch nicht sympathisch sind?
Richter: Es kann uns nicht gefallen, wenn sich große Gruppen in der Gesellschaft aus dem demokratischen Diskurs verabschieden. Die wieder reinzuholen, auf sachlicher Ebene, gegen die Verschwörungsmärchen, muss die Aufgabe der politischen Bildung sein. Auch damals wäre es besser gewesen, wenn viel mehr Institutionen, auch gerade politische Parteien, sich dem Dialog gestellt hätten. Dadurch hätte sehr viel an Problemstau damals schon abgearbeitet werden können, der sich jetzt in ganz dunkle politische Kanäle ergossen hat.
Florin: Erreicht man mehr Menschen aus dieser Gruppe, wenn man mehr Geld ausgibt?
Richter: Nein, der Zusammenhang besteht nicht. Aber wenn man die Mittel aufstockt, muss man begründen, warum man sie aufstockt. Und wenn man kürzt, muss man begründen, warum man kürzt. Es muss eine inhaltliche Untersetzung des Finanzbedarfs geben. Den sehe ich nicht, und das stört mich.
„Die AfD in den Parlamenten ist ein Beleg für funktionierende demokratische Strukturen“
Schmitz: Auf der anderen Seite wird viel über Doppelstrukturen bei der Förderung gesprochen. Es gibt zum Beispiel noch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Dafür wurden 2022 die Gelder um 16,5 Millionen erhöht auf jetzt rund 180 Millionen. Daneben existieren viele Kompetenznetzwerke, Partnerschaften ... Ich finde, da sollte man genauer hinschauen.
Richter: Leider muss ich Ihnen zustimmen. Wir haben manchen Wildwuchs, da muss Ordnung reingebracht werden. Das nun aber mit der Daumenschraube einer so radikalen Kürzung erreichen zu wollen, halte ich angesichts sinkenden Vertrauens in die Lösungskompetenz der Demokratie nicht für zielführend.
Florin: Sehen Sie die Demokratie aktuell grundsätzlich in Gefahr?
Schmitz: Sie ist ein bisschen ins Schleudern geraten ...
Richter: ... aber stabil. Unsere demokratischen Strukturen funktionieren. Ich würde sogar so weit gehen, dass die Tatsache, dass die AfD – die ich als politischen Gegner bekämpfe – jetzt in den Parlamenten sitzt, ein Beleg dafür ist.
Schmitz: Dass das Erstarken der AfD und unser Umgang damit ein Beweis für unsere wehrhafte Demokratie ist, nehme ich jetzt mal optimistisch mit.
Das Streitgespräch wurde am 26. August im Deutschlandfunk in der Sendung „Streitkultur“ ausgestrahlt. Die ist eine gekürzte und leicht bearbeitete Version.
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