Lektüre Was wäre der „Freitag“ ohne die klugen Texte seiner Autor:innen? Viele von ihnen schreiben auch Bücher, die aktuellsten stellen wir Ihnen hier vor – es geht um Mythen rund ums Geld, eine Endzeitreise und die Kunstwelt. Lesen lohnt sich!
Ein Blick in die Bücher der Freitag-Autor:innen lohnt sich
Foto: Rafal Milach/Magnum Photos/Agentur Focus
A
wie Alaska
In Newtok, am Ninglick, nicht weit vom Yukon-Delta, beginnt die Endzeitreise des Klimajournalisten Martin Theis. Aber er findet kein Gold, sondern etwas, das „nach Schlick, Benzin und Scheiße“ riecht: den auftauenden Permafrostboden Alaskas, aus dem das seit Jahrtausenden gespeicherte CO₂ entweicht. Theis, der im Freitag derzeit an der „Blue New Deal“-Serie mitschreibt, beginnt hier auch sein gleichnamiges Buch (Tropen) als Antwort auf die Frage seines Sohnes, wann die Welt untergehe. Und im Zwiegespräch mit ihm, der sein Leben noch vor sich hat. Theis schreibt mit der Melancholie desjenigen, der weiß, wie tief der Karren im Dreck steckt. Und mit der Hoffnung des Vaters, der sich um den Planeten sorgt, auf dem sein Sohn einmal leben s
olie desjenigen, der weiß, wie tief der Karren im Dreck steckt. Und mit der Hoffnung des Vaters, der sich um den Planeten sorgt, auf dem sein Sohn einmal leben soll. Vor allem aber mit Witz: Lohnt es noch, eine Lebensversicherung abzuschließen, die 2050 fällig wird? Warum ist es so schwierig, Geo-Engineering-Visionäre zu interviewen? Warum bauen die New Yorker Häuser da, wo sie bald überschwemmt werden? Pepe Egger Ewie Erfinder„Wenn wir Slawen Nikola Tesla in die Waagschale werfen, dann wiegt er wie euer Michelangelo“, erklärt ein Kroate einem Italiener, beide sind Auswanderer, in Amerika. Wie Nikola Tesla, Sohn eines serbischen Priesters, geboren in Kroatien. Der Erfinder des Wechselstrommotors, Vorreiter für den heutigen Elektromotor, suchte sein Glück in New York, wie so viele seiner Landsleute um 1900. Er forschte (u. a.) nach drahtlosen Wellen, die die Erde mit Energie und Informationen versorgen sollten. Die kroatische Autorin Alida Bremer erzählt in ihrem Roman Tesla oder die Vollendung der Kreise (Jung und Jung) von Teslas Transformatorspulen und Wechselstrom, aber auch von Heimweh, strauchelnden Helden und Einsamkeit. Der Buchtitel stammt aus Goethes Gedicht Das Göttliche. Zu Lebzeiten verkannt, ist Tesla in Kroatien längst Nationalheld. Maxi LeinkaufFwie FernsehenLutz Herden genügt ein erster Satz, schon ist der Zeitgeist ausbuchstabiert: „Es hat sich eingebürgert, dass Konfliktbefunde vom Augenblick zehren, der scheinbar ohne Vorleben ist.“ Ein Vorleben, das er in Der aufhaltsame Abstieg des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (Das Neue Berlin) schildert, ist das der heutigen Krise der Öffentlich-Rechtlichen: die Weigerung des Westens zwischen 1989 und 1991, eine Medienwende im Osten Anstoß sein zu lassen für Reformen selbstgenügsamer Strukturen im Westen. Herausgegeben mit den Freitag-Autoren Wolfgang Herles und Luc Jochimsen, Michael Schmidt und samt Vorwort Daniela Dahns, sind dies Berichte von Beteiligten; als „Betroffener und Beobachter“ schreibt Lutz Herden, Korrespondent und Redakteur, ab 1990 Leiter Hauptabteilung Nachrichten und Journale beim Deutschen Fernsehfunk, über dessen Liquidation, die sich heute rächt. Dieser Longread des für die „Zeitgeschichte“ Verantwortlichen, mit persönlicher Spur, sei gerade im Westen als Geschenk empfohlen. Sebastian PuschnerKwie KulturbetriebMan kennt ihn als humorvollen und klugen Musikkolumnisten, doch unser Autor Konstantin Nowotny kann auch messerscharfe Kulturkritik. Im Sammelband Judenhass Underground (Hentrich & Hentrich) wirft er einen Blick auf den Antisemitismus im Kunst- und Kulturbetrieb. Anhand des Skandals rund um die documenta fifteen zeigt er mit sauberer Recherche und präziser Argumentation, warum das Ganze eben kein Unfall war. Denn schließlich gab es auch die Diskussionen um Achille Mbembe, den neuen sogenannten Historikerstreit und nahezu alljährlich Angriffe auf das Berliner Popkultur-Festival. Dessen einziger Fehler in der Regel ist, israelische Künstler einzuladen – was für die zahlreichen BDS-Unterstützer im Kulturbetrieb einer Untat gleichkommt. Ein Beitrag und ein Buch, die aktueller kaum sein könnten. Leander F. BaduraLwie LehrmeisterEr bohrt oder zieht, pocht oder reißt: Schmerz ist ein schlimmer Stalker. Und sprachlich kaum fassbar, denn jeder Schmerz ist anders, wird subjektiv unterschiedlich empfunden. Schmerz kann einen an die Randzone der Existenz bringen, weil man ihm ausgeliefert ist. Der Literaturwissenschaftler Björn Hayer geht diesem Lehrmeister des Lebens und Todes in seinem Essay Sinn und Unheil. Die Ästhetik des Schmerzes (Quintus) nach, seinen Erscheinungsformen, dem Umgang mit ihm und was er aus denen macht, die ihn aushalten müssen. Dezidiert kein medizinisches Ratgeberbuch, folgt er vielmehr den vielfältigen Zeichen des Schmerzes in der Literatur, Kunst und Musik, seinen mythischen Spuren in der Auseinandersetzung mit dem Göttlichen und der Kraft des Schmerzes für die Zeitdiagnose und die künstlerische Produktivität. Über das Symptom hinaus, so Hayer, ist der Schmerz auch eine „Feuerprobe für das Überleben und Zusammenleben“ der Gesellschaft, eine Schule der Empathie. Ulrike Baureithel Pwie PogromWer hierzulande „Pogrom“ sagt, denkt vermutlich an die Pogrome im November 1938 unter den Nazis, bei denen Hunderte Jüdinnen und Juden ermordet und Synagogen niedergebrannt wurden. In Pogrom im Scheunenviertel (Verbrecher Verlag) befasst sich Karsten Krampitz jedoch mit einem Pogrom in Berlin, das 15 Jahre vorher, am 5. November 1923, stattfand. Dass bereits damals gewalttätige Mobs organisiert Jüdinnen und Juden angriffen und ihre Geschäfte zerstörten, ist heute kaum bekannt. Vor dem Hintergrund der zunehmend aggressiven Stimmung gegen Jüdinnen und Juden in der Weimarer Republik erzählt Krampitz nicht einfach die Ereignisse nach. Er nimmt die wenigen schriftlich erhaltenen Berichte der Opfer auf, schildert ihre Perspektiven und betont dabei den individuellen, aber auch den jüdisch organisierten Widerstand. Alina SahaRwie RilkeDie zehn Duineser Elegien,deren beide ersten im Schloss Duino in der Nähe von Triest entstanden sind, darf man wohl als Rainer Maria Rilkes Hauptwerk bezeichnen, zumal sie vor wie nach dem Ersten Weltkrieg von ihm geschrieben worden sind (1912 – 1922). Vom „Riss in der Schöpfung“, den Gunnar Decker in den hier angerufenen „Engeln“ symbolisiert sieht, muss der Dichter demnach schon vor 1914 gewusst haben. In Gunnar Deckers Darstellung wird deutlich, dass der Engel, so fern und unnahbar, ja „schrecklich“ ihn Rilke auch zeichnet, doch auch ein Selbstbild sein könnte. Gern umgibt er sich nur mit Frauen, Männer mag er nicht, und weiß doch, dass er nicht lieben kann: Wo eine Geliebte „bergen, / da doch die großen fremden Gedanken bei dir / aus und ein gehn und öfters bleiben bei Nacht.“ Denn „Bleiben ist nirgends“. Dies „ewige Unterwegssein“, so Decker in seiner neuen Biografie Rilke. Der ferne Magier (Siedler), könne als Rainer Maria Rilkes selbst gewähltes Lebensmotto verstanden werden. Es war wohl auch ein typischer Riss in der Männerpsyche. Michael JägerTwie TheaterAxel Brüggemann ist ein Autor, den man unter A wie Allzweckwaffe abspeichert. Begeistert ihn ein Thema, schickt er postwendend etwas Kluges, das außerdem bestens unterhält. Dass Brüggemann vor allem Fachjournalist für Klassik ist, erkannte ich erst, als ich ihn vor ein paar Jahren im Smoking mit Mikro in Bayreuth sah. Was sich hinter den Kulissen des Betriebs ändern muss, bringt er in Die Zwei-Klassik-Gesellschaft (Frankfurter Allgemeine Buch) auf den Punkt. „Welche Rolle übernimmt das Theater in einer Welt, die selbst zum Theater geworden ist?“, fragt er und fordert: „Konzertieren, eifrig streiten, muss wieder Zweck der Musik werden.“ Er führt mit Verve aus, was vom Schulunterricht über die Opernhäuser bis zum Fernsehen anders laufen müsste, damit Klassik mehr Menschen bewegt – und was unsere Gesellschaft davon hätte. Christine KäppelerÜwie Über allesWir können diese Wortkombination nicht mehr lesen, ohne an den Weltherrschaftsdünkel zu denken, den nationalistischer Missbrauch an Hoffmann von Fallerslebens Deutschlandlied geheftet hat. Dass der Außenpolitik-Experte Michael Lüders sein neues Buch Moral über alles (Goldmann) nennt, gemahnt dialektisch an jenes „Deutschland, Deutschland über alles“: Belehren wollen wir die Welt noch immer, nur nützt das Deutschland nicht mehr viel: Die Moral, die Ampel-Deutschland vor sich herträgt, widerspricht seinen Interessen inzwischen so sehr, dass sein Gewicht zu gering zu werden droht, um international noch etwas bewirken zu können – und sei es zum intendierten Besten: Eines von mehreren Beispielen hierfür ist der jähe Boykott gegen Russland. Dieser hat die energieintensive deutsche Exportwirtschaft so hart getroffen, dass Deutschland in die Rezession gefallen ist. Dass Lüders diese Diagnose nicht nur im Allgemeinen stellt, sondern auch vor Ort besichtigt – etwa in Schwedt an der Oder, wo die viertgrößte Raffinerie des Landes verwaist –, macht sein Buch spannend. Velten SchäferZwie Zaster„Im Deutschen“, so zitiert Georg Seeßlen in seinem neuen Buch an einer Stelle den Aphorismus-Dichter und Philosophen Georg Christoph Lichtenberg, „reimt sich Geld auf Welt.“ Dementsprechend handelt Geld (bahoe books) keineswegs nur von Finanzen im engeren Sinn, sondern vom großen Ganzen, von Erziehung, Erzählungen und Popkultur, davon, „wie wir uns Geld einbilden“. Das vom Monopoly-Spiel vermittelte Kapitalismus-Training („Generation auf Generation lernte mit Monopoly, was der Unterschied zwischen Haben und Nicht-Haben ist“), kommt genauso vor wie die Themen Erben und Verprassen, Schulden, Steuerbetrug und natürlich Kryptowährung. Gerade jetzt, wo das Geld, das man anfassen kann, im Verschwinden begriffen ist, macht es Sinn, den alten und neuen Mythen nachzuspüren, die rund um das Geld entstehen. Barbara Schweizerhof
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