Als sich der Separatismus in der Ostukraine im Frühsommer 2014 Geltung verschaffte und von Russland unterstützt wurde, versammelte sich eine Gruppe hochrangiger Beamter im Hauptquartier des russischen Verteidigungsministers, einem imposanten Gebäude am Ufer der Moskwa. Sie waren dort, um Jewgeni Prigoschin zu treffen, einen Mann mittleren Alters mit rasiertem Kopf und rauem Ton, den viele im Raum nur als zuständig für die Catering-Verträge der Armee kannten. Nun hatte Prigoschin ein besonderes Anliegen. Er wollte, dass ihm das Ministerium ein Gelände zur Verfügung stellte, um darauf „Freiwillige“ ausbilden zu können, die keinen offiziellen Kontakt zur russischen Armee hätten, aber bei deren Operationen hilfreich sein könnte
nten.Vielen im Ministerium gefiel Prigoschins Art nicht, aber er machte deutlich, dies sei keine gewöhnliche Bitte. „Der Wunsch kommt von Papa“, soll er den Beamten gesagt und dabei einen Spitznamen für Wladimir Putin gebraucht haben, der eine Nähe zum Präsidenten mehr als nur andeutete. Dass es ein solches Treffen tatsächlich gab, über das bisher noch nirgends geschrieben wurde, geht auf das Zeugnis eines einstigen hochrangigen Mitarbeiters im Ministerium zurück. „Ich habe damals nicht viel davon gehalten“, lässt der sich zitieren.Gab es diese Begegnung wirklich, bahnten sich damit Entscheidungen an, die enorme Auswirkungen auf den militärischen Aktionsradius Russlands haben sollten. Prigoschins Armee der Vertragskämpfer („Kontraktniki“) kam zunächst in Syrien und der Zentralafrikanischen Republik zum Einsatz. Mit den Jahren sollten die Aktivitäten gut zehn Länder in Afrika erfassen, denen Sicherheitsdienste und Waffentraining zuteilwurden. Prigoschin leitete dieses Netzwerk lange Zeit von seinem Büro auf der Peterburger Wassiljewski-Insel aus, nicht weit vom „Alten Zollhaus“ entfernt, wo er zwei Jahrzehnte zuvor begonnen hatte, die ersten Restaurants zu betreiben. Obwohl er kein offizielles Amt innehatte, soll Prigoschin zuweilen an hochrangigen Treffen im Kreml teilgenommen haben. So im April 2018 an einer Begegnung zwischen Putin und dem madagassischen Präsidenten Hery Rajaonarimampianina, worüber nur die New York Times berichtete.„Mit ihm regierte die Angst“, erinnert sich Marat Gabidullin, ein Wagner-Kommandeur, der Ende 2017 drei Monate im Petersburger Hauptquartier verbrachte und Prigoschin täglich über die Lage in Syrien informierte. Gabidullin, der sich heute in Frankreich aufhält, erzählt auch, Prigoschin habe viel Fürsorge walten lassen für seine Söldner, wenn sie verwundet wurden. Die Büroatmosphäre aber sei streng gewesen. „Prigoschin überschritt gegenüber seinen Mitarbeitern oft Grenzen des Anstands, wenn er unhöflich wurde“, so Gabidullin. „Er konnte Menschen in der Öffentlichkeit blamieren.“Mit dem Krieg gegen die Ukraine fanden Prigoschins Formationen Zuspruch und Zulauf, als Strafgefangene – oft von Prigoschin persönlich – rekrutiert werden durften. Die „Wagner“-Gruppe wuchs nach Schätzungen westlicher Dienste auf eine Stärke von 50.000 Mann. Als diese Söldner-Einheiten Anfang Juni Bachmut eroberten und kurz zuvor die Stadt Soledar eingenommen hatten, waren das für Moskau erste relevante Gebietsgewinne seit dem Spätsommer 2022. Dazu veröffentlichte Prigoschin ein Video, mit dem er die „Wagner“-Gruppe lobte als „wahrscheinlich erfahrenste Armee der heutigen Welt“. Er konnte und wollte es auskosten, in jenem Rampenlicht zu stehen, das auf ihn als mächtigen, erfolgreichen und umstrittensten Akteur von Putins Gnaden fiel. Schließlich lag dieser außergewöhnliche Aufstieg hinter ihm. Prigoschin hatte einst Jahre im Gefängnis verbracht und danach Hotdogs verkauft. Man wusste, er konnte ein rücksichtsloser Intrigant sein, unterwürfig gegenüber Leuten, die er brauchte, und tyrannisch gegenüber Untergebenen.„Er ist ehrgeizig, talentiert und schreckt vor nichts zurück, um zu bekommen, was er will“, sagt ein russischer Geschäftsmann, der Prigoschin in den 1990er Jahren erlebte. Doch scheinen für ihn weder Geld noch Macht die allein motivierenden Faktoren gewesen zu sein, obwohl er mit der Zeit beides in Hülle und Fülle angesammelt hat. Zusätzlich ergriff ihn das Jagdfieber, beseelt von der Überzeugung, im Namen des einfachen Mannes gegen korrupte Eliten zu kämpfen und Rivalen zu zerstören. Folglich hat sich dieser Epikureer, der nie ein Politiker war, Feinde gemacht: Geschäftspartner, die sich betrogen fühlten; Generäle, die er „unfähige Bürokraten“ nannte; hochrangige Sicherheitsleute, die fanden, dass Prigoschin Ambitionen hegte, die ihm nicht zustanden. Aber sie alle konnten ihm wenig anhaben, solange er sich die Gunst seines wichtigsten Förderers bewahrte: des Mannes, den er „Papa“ nannte.