Pro & Contra Die Erde ist endlich und das heutige Wirtschaftssystem ohne Wachstum unmöglich. Deshalb wird es kollabieren – so denken viele. Floris Biskamp stellt diesen Schluss infrage und erntet Widerspruch von Stefan Kalmring
Im Kapitalismus gilt: höher, schneller, weiter – Ist ein Ende in Sicht?
Foto: Imago Images
Pro
Alle Tage wieder hört man es: Kapitalismus sei notwendig auf Wachstum angewiesen, die Erde aber begrenzt. Deshalb sei das Wachstumsdenken Wahnsinn und der Kapitalismus notgedrungen bald am Ende. Schachmatt! Das Problem: Auch wenn beide Ausgangsannahmen zutreffen mögen, ist das ein Trugschluss.
Zunächst zur Annahme des kapitalistischen Wachstumszwangs: Auch wenn die ökonomischen Schulen darüber streiten, ob Kapitalismus notwendig auf Wachstum angewiesen ist, spricht vieles dafür. Kapitalismus wird unter demokratischen Umständen wohl nur dann bestehen können, wenn einerseits Kapital profitable Investitionsmöglichkeiten findet und diese Investitionen andererseits großen Teilen der Bevölkerung Arbeitsplätze bieten, deren Verdienstm&
, deren Verdienstmöglichkeiten gesellschaftliche Teilhabe erlauben. Dies ist in einer stagnierenden, gar schrumpfenden Wirtschaft nicht zu erwarten.Nun zur Begrenztheit der Erde: Der nutzbare Boden für Land-, Bau- oder Müllwirtschaft ist endlich, die Rohstoffe für Batterien oder Beton sind es auch. Noch dramatischer: Das Maß an Treibhausgasen, das die Atmosphäre ohne katastrophale Folgen verträgt, ist nicht nur begrenzt, sondern bereits überschritten. Die Menschheit muss die Netto-Emission von Treibhausgasen schnellstmöglich auf null senken und wird auch bei Landnutzung und Rohstoffgewinnung an Grenzen stoßen.Wenn nun beide Annahmen zutreffen, weil im Kapitalismus Wachstumszwang herrscht, aber die Erde begrenzt ist, müsste doch klar sein: Der Kapitalismus kommt an sein Ende – durch menschliche Entscheidung oder einen Zusammenbruch der Ökosysteme. Klingt logisch, ist es aber nicht. Denn das Wachstum, das der Kapitalismus braucht, ist von anderer Art als die Grenzen der Erde. Das Wachstum ist ökonomisch, es wird in (inflationsbereinigten) Dollar, Euro oder Yuan gemessen. Die Grenzen der Erde aber sind physisch: Quadratkilometer, Kilogramm, Kilowattstunden. Wirtschaft (kapitalistisch oder nicht) wird immer Natur vernutzen. Dass aber ein Wachstum in Dollar, Euro und Yuan notwendig mit einer immer weiter ansteigenden Nutzung von Quadratkilometern, Kilogramm und Kilowattstunden oder konkreter mit immer mehr Treibhausgasemissionen einhergehen muss, ist alles andere als zwingend.Das Beste wäre wohl, den Kapitalismus politisch zu testen. Zum einen durch massive staatliche oder staatlich gelenkte Investitionsprogramme in erneuerbare Energien, Energieinfrastruktur, Transportinfrastruktur, Gebäudedämmungen etc.; zum anderen durch strikte Verbote und (wenn es sein muss, um Liberale an Bord zu holen) hohe Bepreisungen umweltschädlicher Aktivitäten wie Flugreisen und Rinderzucht – Maßnahmen, die durch Kompensationen zu ergänzen sind. Dann kann der Kapitalismus zeigen, ob er die ihm oft zugetraute Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit wirklich hat: Kann er innerhalb physischer Grenzen ökonomisch wachsen? Wenn ja, ist immer noch offen, ob er den Menschen mehr nutzt oder schadet.Die vorerst größte Herausforderung ist ohnehin politisch: Gelingt es, in hinreichend vielen einflussreichen Ländern hinreichend schnell politische Mehrheiten zu organisieren, die ein solches Programm tragen, das mit Einschränkungen der Konsumgewohnheiten zumindest in reichen Ländern einhergeht? Dies ist aktuell kaum vorstellbar – und würde nicht leichter, wenn man diese Agenda auch noch an die Zustimmung zu einer sozialistischen Revolution koppelt. Floris BiskampContraIst ein ökologisch grenzenloses Wachstum im Kapitalismus möglich? Eine theoretische Frage. Praktisch stehen wir schon vor den Herausforderungen, die uferloses Wachstum beschert. Der Slogan, es sei „fünf vor zwölf“, klingt hohl. Er suggeriert, wir könnten das Ruder rumreißen, ohne unsere Lebensweise zu ändern. Das ist ein frommer Wunsch.Jede Maßnahme zählt. Doch müssen wir über die systemischen Ursachen der anbrechenden Katastrophe reden – und über einen „System Change“. Denn bewussteres Verhalten alleine reicht nicht. Grüner Konsum kollidiert stets mit anderen Zielen – ob mit Konsumwünschen oder der Notwendigkeit, auf dem Land zur Arbeit zu pendeln. Das frisst etwaige Einspareffekte immer wieder auf.Menschen brauchen Essen, Kleidung, Schutz – ohne Produktion, also Umwandlung von Energie und Naturstoffen, geht das nicht. Im Kapitalismus erfolgt dies in einem konkurrenzgetriebenen Modus, der Waren und Profite produziert und die Gesellschaft in Arbeit und Kapital spaltet. Letzteres muss aus Geld stets mehr Geld machen, um in der Konkurrenz zu bestehen – also mittels Arbeitskraft, Rohstoffen und Werkzeugen etwas fabrizieren, das mehr wert ist als die Investition.Gerne lösten sich Unternehmen von den natürlichen Grundlagen der Produktion, um ungebunden und immer schneller Geld zu verwerten. Da kapitalistische Ökonomien monetäre Ökonomien sind und nur Geldvermehrung im Blick haben, entsteht auch oft die irrige Vorstellung, dies sei machbar. Aber es sind – nach Karl Marx – die regelmäßig auftretenden Krisen, die dies schmerzhaft als Trugschluss entlarven.Die ökologische und die ökonomische Krise bilden eine Art Zange. Die grenzenlose Geldvermehrung überlastet die Ökosysteme. Die kapitalistische Verwertung ist schneller, als sich Natur regenerieren kann, denn das Kapital muss im Konkurrenzdruck kurzfristig denken. Notwendig – und notwendig nichtkapitalistisch – ist daher eine Wirtschaftsweise, die sich an die Geschwindigkeit der Ökosysteme anpasst und nicht in Monaten oder Jahren denkt, sondern die Jahrhunderte im Blick hat.Rationalisierungen sind da nur Milderung, aber kein Ausweg. Unternehmen wollen immer Ressourcen, Arbeitskraft und damit Kosten einsparen, was ökologisch sinnvoll sein kann. Wird aber Arbeitskraft eingespart, kommt es wirtschaftlich zu Schwierigkeiten, da nur Arbeitskraft Werte – und Profit – erzeugt. Die Einsparung von Rohstoffen und Energie wird wiederum durch die Wachstumstendenz ausgeglichen. Eine Entstofflichung der Wirtschaft, etwa durch den Übergang zu einer Dienstleistungsgesellschaft, hat ebenfalls Grenzen. Fast alles, was wir als Dienstleistung fassen, etwa die Arbeit am Computer, hat tatsächlich einen hohen Energie- und Ressourcenverbrauch. Recycling ist gut, unterliegt aber den Gesetzen der Thermodynamik. Energetisch bleibt es ein Zuschussbetrieb.Wir müssen also darüber sprechen, wie eine radikaldemokratische und ökologisch nachhaltige Alternative aussehen könnte. Da diese leider gegenwärtig nicht auf der Tagesordnung steht, müssen wir aber auch darüber sprechen, wie wir politisch damit umgehen wollen, dass der Klimawandel und das Artensterben alle Verwerfungen, die der Kapitalismus so bereithält, noch potenzieren wird. Und darüber, dass es für ein humanes und emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt noch schwieriger werden wird, als es schon heute ist. Stefan KalmringPlaceholder infobox-1
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