Krieg, Klima, Krisen: Ist die Sommerpause noch zeitgemäß?
Pro & Contra Jetzt beginnt wieder die Zeit, in der früher Baggersee-Krokodile die Zeitungen bevölkerten. Können wir weiterhin ein paar heiße Wochen so tun, als wäre nichts? „Absolut!“, findet Arno Frank. „Auf keinen Fall!“, sagt Katharina Schmitz
Die Sommerpause! Endlich! Gebenedeit sei sie unter den Pausen, derer es ohnehin viel zu wenige gibt! Und wenn es sie mal gibt, die Pausen, dann wissen wir sie nur selten zu schätzen. Wenn etwa der ICE auf offener Strecke ein Nickerchen macht, der Fahrstuhl auf seinem Weg in den zwölften Stock häufiger zum Stillstand kommt oder die Beziehung mal auf Eis liegt.
Der Kapitalismus, der alte Tunichtgut, fordert freilich die ständige Verfügbarkeit von allem, und zwar rund um die Uhr. Auch an Feiertagen, bei Sonnen- und bei Mondenschein, sollen alle nur denkbaren Dienstleistungen „abrufbar“ sein. Die Digitalisierung, des Kapitalismus‘ geschmeidiger Neffe, hat diese Erwartungshaltung weiter befördert, um ein kategorisches Sofort erweitert. Beide Pap
rweitert. Beide Pappenheimer haben uns bereits so erfolgreich zugerichtet, dass wir selbst temporäre Abweichung vom Gewohnten als Störung empfinden. Jedes Zögern, jedes Stocken. Jede Pause.Von Juli bis August beispielsweise macht sogar „das politische Berlin“ eine Pause, finden im Bundestag keine Sitzungen statt. Dann sind alle Abgeordnetenbüros verwaist, ihre Bewohnerinnen ausgeflogen nach Teneriffa, und der Pförtner in seiner Kabine spielt „Candy Crush“ auf dem Handy. Der Pförtner ist interessant, den müssen wir uns merken.Nun ist die Sommerpause, anders als die kulturbedingte Weihnachtswinterpause, zunächst ein Kind bürokratischer Sommerferienverfügungen. Eine soziale Errungenschaft, die neuerdings klimatische Unterstützung erfährt. Bei sommerlichem Niedrigwasser werden echte wie sinnbildliche Reaktoren sicherheitshalber heruntergefahren. Da kann dann, wer’s kann, für ein Weilchen die Füße hochlegen.In der behaglichen Gewissheit, dass sich das Hamsterrad der Welt auch „ohne uns“ in der Sommerpause weiterdreht. Zwar nur in verminderter Geschwindigkeit, aber es dreht sich. Hier kommt übrigens der Pförtner wieder ins Spiel, den wir uns hoffentlich gemerkt haben. Irgendwer hütet weiter das Tor, schmiert die Weltachse, leert die Mülltonnen – oder schreibt Texte wie den vorliegenden, weil die Sommerpause im Betrieb sich als thematisches Sommerloch bemerkbar macht.Die ungebrochene Betriebsamkeit in Redaktionen oder Ämtern, Kanzleien oder Arztpraxen, Polizeiwachen oder Supermärkten nährt den Verdacht, die echte Sommerpause sei alleine „denen da oben“ vorbehalten. Als führen die politischen Repräsentanten stellvertretend für die von ihnen Repräsentierten in die Großen Ferien. Einerseits kann das Ressentiments schüren. Andererseits erinnert es daran, dass auch Politiker nur Beamte sind und nicht etwa frei schaffende Künstler.Die politische Sommerpause hat überdies den – auf für die Allgemeinheit erholsamen – Effekt, dass mit der parlamentarischen Arbeit auch die Nachrichten- und Neuigkeitsmaschine stoppt. Keine Gesetze, keine Debatten, keine Diskussionen. Auch die Studios der Talkshows liegen leer und verwaist wie portugiesische Stauseen im Hochsommer.Wer seine Musik noch auf Vinyl hörte, weiß um die metaphysische Wirkung der Pause. Nach der Hälfte einer Schallplatte war einstweilen Ende. Zwangspause als Angebot zum Innehalten. Eine Zäsur als Gelegenheit, das Gehörte im Kopf weiterschwingen zu lassen. Wobei die Pause zum Plattenwenden nicht ungefährlich ist für die Platte. Möglich, dass Hörerinnen und Hörer es mit dem Anhören der ersten Seite bewenden lassen.So gesehen ist die Sommerpause, um mit Alexander Kluge zu sprechen, „die Lücke, die der Teufel lässt“. Zeit zur Kontemplation kann auch zu einer Besinnung führen, die mit Besinnlichkeit nichts zu tun hat. So ist die Sommerpause gleichsam ein geöffnetes Zeitfenster zum Durchlüften des Oberstübchens. Und eine vage Idee davon, dass alles, alles auch ganz anders sein könnte. Arno FrankContraWas die Ferien angeht, da war ich schon immer neidisch auf die Franzosen. Diese Saison vielleicht weniger angesichts der gewaltvollen Unruhen im Land und der Proteste gegen eine Polizei, die vielleicht noch nie etwas mit den Flics aus den Gendarm-von-St.Tropez-Filmen gemeinsam hatte, die ich als Kind so liebte. Neidisch, denn ganz Frankreich klappt im Sommer die Bürgersteige hoch, fährt mit Sack und Pack ins Ferienhaus, auf den Campingplatz. Weil die Eltern nicht wochenlang Zeit haben, sind auch die Großeltern vor Ort – wenn sie schon in Rente sind. Bravourös, wie die Franzosen immer wieder gegen die Erhöhung des Rentenalters kämpfen, sie retten damit ja auch die französischen Ferien. Man trinkt Wein, es kommt zu amourösen Verwicklungen und besungen wird all das in Chansons wie zum Beispiel in Une belle histoire.Große französische Filme erzählen davon und weil die Franzosen nicht gänzlich von der Sonne geblendet sind, spielen neben der Melancholie des Sommers auch en passant gesellschaftspolitische Themen eine Rolle. Gerade auf arte ist noch zu sehen der Film Ein unvergesslicher Sommer. Er handelt von dem 16-jährigen Ali, der jetzt erwachsen werden muss. Ali, der Name sagt es schon, sein Bruder Selim sieht klar wie ein Kind mit migrantischen Wurzeln aus. Was gar kein Thema ist. Und nun herrscht bei den urfranzösischen Großeltern in der Dordogne diese flirrende Langeweile, die Dorfjugend ist nicht komplett verreist, manche müssen arbeiten.Typisch jetzt wieder, dass die Deutschen den Filmtitel vermasseln. Der französische Titel ist viel existenzieller, lautet La fin d´éte. Ach, Deutschland. Es passt zu dieser „wohlverdienten“ Sommerfrische, von der dieser Tage wieder so wischi-waschi die Rede ist, wir Deutschen sind leider esprit-technisch oft so tiefgründig wie Pauschalurlauber. Was heißt überhaupt „wohlverdient“? Es klingt wie die gute, alte Leistungsgesellschaft. Ist die Pflegekraft denn mitgemeint? Oder lautet die Bedingung für wohlverdienter Urlaub wie üblich: hart arbeiten und dabei ordentlich Geld verdienen? In „meinem Film“ jedenfalls besucht die Pflegekraft im August die Mutter im Elternhaus im Odenwald und fragt sich, wie das mit einer neuen Heizung gehen soll. Und danach fährt sie zum „Auftanken ihrer Akkus“ mit dem Auto herum.Derweil macht Politik parlamentarische Sommerpause, zwei Monate lang. Ich frage mich, wie es kommt, dass es nach der Ahrtalkatastrophe vor zwei Jahren eines weiteren Beweises bedarf, dass Katastrophen normalerweise keinen Urlaub beantragen, der vom Parlament noch rechtzeitig durchgewunken wird. Durchwinken klappt ja nichtmal mit der Kindergrundsicherung. Und hat Friedrich Merz (CDU) ausnahmsweise (!) Recht, wenn er sagt, dass ihm das mit Heizungsgesetz gerade zu heiß ist?Eine Erholung von der Dystopie, ja, aber bitte weniger Laisser-faire beim „Vertretungsplan“. Apropos. Beim Lehrermangel-Problem hat Politik jetzt dann wohl auch hitzefrei. Heißt dann wohl: weiterhin massiver Unterrichtsausfall nach den Ferien. Bis dahin wochenweise Sommerferien in der Stadt. Das nächste Freibad besuchen die Kinder nicht. „Weil es da immer Ärger gibt“. Die verstärkte Polizeipräsenz derzeit ist mir willkommen, je suis vraiment desolée, aber trotzdem bleibt ja der Sprungturm geschlossen wie in Corona-Zeiten. Ätzend spaßfrei ist das und kein Wunder, dass die Kinder nicht hinwollen.Lieferung von Streumunition. Waldbrände. Hitzewellen. Die AfD im Höhenflug. Was ist noch wichtig genug, um Politiker XY vom wohlverdienten Urlaub abzuhalten? Es ist doch eher so: Die sommerbedingte Komplettlahmlegung wirkt nicht mehr zeitgemäß. Das weiß auch die Bild, für die es themenmäßig ein Jahrhundertsommer wird. Die wird ihre Leute in die Urlaubsregionen der Welt senden und Politiker dabei erwischen, wie sie Wein trinken. Wird viel Sonnenöl verreiben. Und Rechtspopulist Z wird sich den mediterranen Elbwein entspannt nachschenken. Katharina Schmitz
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