„Der Traum des Dichters oder, Der Kuss der Muse“ (Paul Cézanne)
Foto: Bridgeman Images
Ich bin promovierte Philosophin, Buchautorin, Performerin und Übersetzerin. Ich schreibe für namhafte Medien, stehe regelmäßig bei einem Staatstheater auf der Bühne, halte Vorträge, mache Radio. Mein Einkommen liegt unter dem Existenzminimum.
Das letzte Jahr habe ich vor allem damit verbracht, ein Buch zu schreiben, für das ich vom Verlag einen Vorschuss von 5.000 Euro bekommen habe (abzüglich der 15 Prozent Provision für meine Agentin). Dazwischen habe ich kleinere Aufträge übernommen, einen Radiobeitrag (350 Euro für eine gute Woche Arbeit) oder einen Artikel für eine Zeitschrift (660 Euro für circa einen Monat Arbeit). Von diesem Einkommen muss ich nicht nur meinen Lebensunterhalt bestreiten, sondern auch meine Bü
ne Büromiete sowie meine Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung bezahlen und Krankheitsausfälle sowie Auftragsflauten überbrücken. Das geht nicht auf. Aus meiner Wohnung bin ich nicht geflogen, weil mir Freundinnen und Familienmitglieder Geld geliehen oder geschenkt haben. Ich habe keine Rücklagen und keine private Altersvorsorge. Ich bin 51 Jahre alt. Wenn ich mit meinem Freund essen gehe, zahlt er.Warum lebe ich so? Ich und meine kulturschaffenden Kollegen? Denn ein Einzelfall bin ich nicht. Manche haben besser verdienende Partnerinnen, haben geerbt, viele haben Brotjobs. Aber die wenigsten können von ihrer künstlerischen oder publizistischen Arbeit leben. Laut der Künstlersozialkasse, die den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungsabgaben für Selbstständige im Kulturbereich übernimmt, lag das durchschnittliche Jahreseinkommen zum 1. Januar 2023 für Männer bei 22.439 Euro, für Frauen bei 17.388 Euro.Die Gewerkschaft Verdi hat kürzlich ein Konzept vorgestellt, nach dem die Honorare für selbstständige Kulturschaffende mit einem Schlüssel berechnet werden, der an die Tarifverträge im öffentlichen Dienst angelehnt ist. Auf dieser Grundlage errechnet Verdi etwa für die Übersetzung eines 300-seitigen Romans „von hoher Komplexität“ ein Honorar von 36.011 Euro. Zum Vergleich: Für das letzte Buch, das ich übersetzt habe, ein äußerst kniffliges Theoriewerk, habe ich für 526 Seiten 19.283 Euro bekommen, hochgerechnet hätten es laut Basishonorarkonzept 63.120 Euro sein müssen. Für eine Moderation bei einem Filmfestival sollen 264 Euro gezahlt werden. Die Realität: Ein renommiertes deutsches Filmfestival zahlt aktuell 100 Euro dafür. Und so fort.Offensichtlich versprechen wir freien Künstler, Journalistinnen oder Lektoren uns etwas anderes als finanzielle Sicherheit im Gegenzug für unsere Arbeit. Zum einen sind es die Freude und die Erfüllung, die mit dem Ausführen unserer Berufung einhergehen. Ich kann von mir sagen: Schreiben macht mich glücklich. Auf der Bühne zu stehen ist jedes Mal ein Rausch. Aber es würde mir nicht in den Sinn kommen, andere Dinge, die mir Spaß machen, zum Beispiel lange Zugreisen oder Krafttraining, zu meinem Beruf zu erklären, auch wenn ich damit ein bisschen was verdienen könnte. Kultur schaffe ich nicht bloß zum eigenen Vergnügen, sondern zum Vergnügen, zur Inspiration oder zur Irritation anderer Menschen. Kultur schaffe ich, weil ich in Kontakt treten will. Nicht nur erzeuge ich dabei Produkte, von denen ich erwarte, dass sie von anderen als sinnvoll rezipiert werden. Ich erhoffe mir davon auch, auf eine gewisse Art und Weise wahrgenommen zu werden – und hier liegt die Krux: Wir Kulturschaffenden sind bereit, für erschreckend wenig finanzielles Kapital zu arbeiten, weil wir uns jede Menge symbolisches Kapital erhoffen.Die Folgen des GeniekultsWir hängen der Erzählung nach, dass der Erzeuger von Kunst- und Kulturprodukten etwas Besonderes ist. Der Geniekult, wie er sich vor allem in der Romantik durchsetzte und der dem Künstler eine Begabung verlieh, die ihn zur Ausnahmefigur gegenüber der Mehrheitsgesellschaft machte, hallt immer noch nach. Demnach ist das Künstlergenie frei, unangepasst, mutig, kindlich in seiner Fähigkeit, zu spielen und zu zerstören, auch ein bisschen verrückt in seinem Getriebensein von den inneren Schöpfungsimpulsen. Es hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, verführt sie, verhöhnt sie, zeigt ihr, was sie an wildem, schönem Leben verpasst, indem sie brav ihren Beitrag zum Bruttosozialprodukt leistet. So altbacken dieses Bild ist, so hartnäckig hält es sich. Seit mindestens einem Jahrhundert wird es aufs Korn genommen, und ist im Jahre 2024 nicht auch die biederste Mitbürgerin Darstellerin ihrer eigenen frechen Originalität, ihr unermüdliches Posten und Inszenieren durch Aufmerksamkeit und Neid belohnt?Während etwa der promovierte Übersetzer von kunsthistorischen Texten für den Wissenschaftsbetrieb kaum zur Projektionsfläche für Enthemmungsgelüste der Normalos taugt, hält sich bei uns Kulturschaffenden dieses Bild und tröstet uns – mehr oder weniger erfolgreich – darüber hinweg, dass wir am Existenzminimum herumkrebsen. Es hält sich auch bei unseren Auftraggeberinnen, beziehungsweise diese rechnen damit, dass wir an diese Erzählung glauben, sonst müssten ihre Budgets ganz anders ausgestattet sein. Hier – bei den Verlagen, Theatern, Veranstaltungsorten etc. – wird nämlich auf einer systemischen Ebene mit einkalkuliert, dass wir uns mit Krümeln zufriedengeben, weil wir uns von unserer Arbeit neben Erfüllung und Ausdruckslust eben diese Distinktionseffekte erhoffen – auch gegenüber anderen Kulturschaffenden. Warum sonst läuft ein Kulturbetrieb weiter, der die unhaltbaren Lebensbedingungen seiner Produzenten in Kauf nimmt? Der wissentlich ausbeutet, ohne sich sorgen zu müssen, dass ihm die Arbeitskräfte ausgehen? Es gab unser bisher immer genug, die die unterbezahlte Arbeit auf sich nehmen, weil die Schaffenslust in uns drängt, weil wir darin unseren Lebenssinn finden und weil wir uns davon eine Art Anerkennung erhoffen, die wir im Vergleich zur Existenzsicherung überbewerten – und das oft auch angesichts des Ausbleibens einer solchen Anerkennung. Sie könnte ja noch kommen, wenn man wirklich, wirklich gut ist.Dabei gibt es Abstufungen. Ich bin zum Beispiel bereit, für weitaus weniger finanzielle Entschädigung ein Buch zu schreiben, als eins zu übersetzen. Weil das Schreiben einen größeren symbolischen Wert hat als das Übersetzen – bei Ersterem schöpfe ich auf eine Art aus mir selbst, wie ich es beim Übersetzen eines Textes von jemand anderem nicht tue. Für das Korrekturlesen einer KI-Übersetzung möchte ich wiederum einen besseren Stundensatz als für eine Übersetzung, weil diese Arbeit erniedrigend und entfremdet ist. Auch wenn es ein hohes Maß an Konzentration und sprachlicher Fähigkeit erfordert – es fühlt sich wie Maloche an und nicht nach freier Kreativität. Hier wird deutlich, wie sehr ich und viele meiner kulturschaffenden Kolleginnen finanzielles Kapital mit symbolischem gegenrechnen. In anderen Berufsfeldern ist das nicht so: Chirurginnen oder Vorstandsvorsitzende genießen in der Regel ein hohes Ansehen und ein hohes Gehalt.Ich begrüße das Verdi-Konzept ausdrücklich, teilweise werden an ähnliche Honoraruntergrenzen angelegte Regelungen für öffentlich finanzierte Kultur schon angewandt. Aber vielleicht sollte auf der – sozusagen – Arbeitnehmerseite parallel auch etwas anderes passieren: Vielleicht sollten wir Kulturschaffenden die Fantasie der Distinktionseffekte durch ausbeuterische Arbeit aufgeben. Wenn unsere Arbeit tatsächlich Arbeit ist und kein Hobby, besteht die adäquate Entlohnung in unserem Wirtschaftssystem in finanziellem Kapital, dessen Fehlen keineswegs durch symbolisches wettgemacht wird. Dass wir dieses symbolische Kapitel wertschätzen, wird nicht restlos aus uns herauszukriegen sein, aber vielleicht könnten wir den flüchtigen Kitzel der Anerkennung als „Kreative“ oder „Talente“ als eine Art Trinkgeld kassieren, welches das uns zustehende Gehalt weder mindert noch gar ersetzt. Dies hieße, uns von unserer Eitelkeit zu befreien, während wir gleichzeitig ernster nehmen würden, was wir tun. Sobald es nämlich weniger um unser Ansehen geht, geht es eher um die Kultur, die wir schaffen.
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