Lea Bonasera spricht mit Jakob Augstein: „Bitte nennen Sie mich nicht Klimaaktivistin“
Im Gespräch Lea Bonasera will nicht darüber reden, warum sie aus der von ihr mitgegründeten „Letzten Generation“ ausgetreten ist. Jakob Augstein hat sie aber etwas anderes verraten: Ist sie die allererste Klimakleberin der Republik gewesen?
Lea Bonasera war Mitte Februar zu Gast bei Jakob Augstein im Literaturhaus Berlin
Foto: Philipp Plum für der Freitag
Schon Wochen vor diesem Gespräch mit Jakob Augstein schreibt Lea Bonasera eine Mail an die Redaktion: Über die Gründe, warum sie im letzten November aus der von ihr mitgegründeten „Letzten Generation“ ausgetreten ist, möchte sie nicht reden. Zum Glück kann man mit Bonasera gut über viele andere Themen sprechen: über ihr BuchDie Zeit für Mut ist jetzt!, in dem sie die Wirksamkeit von zivilem Widerstand reflektiert. Oder darüber, wieso sie 2021 in einen trockenen Hungerstreik getreten ist.
Jakob Augstein: Frau Bonasera, haben Sie das Klimakleben eigentlich erfunden?
Lea Bonasera: Ich würde nicht sagen erfunden. Mitgeprägt eher.
Sie waren im Dezember 2021 eine der Gründerinnen der Letzten Generation. Wie kommt man denn
Jakob Augstein: Frau Bonasera, haben Sie das Klimakleben eigentlich erfunden?Lea Bonasera: Ich würde nicht sagen erfunden. Mitgeprägt eher.Sie waren im Dezember 2021 eine der Gründerinnen der Letzten Generation. Wie kommt man denn auf die Idee, sich auf die Straße zu kleben?Aus demselben Grund, aus dem sich Atomgegner bei Castortransporten an Schienen angekettet haben: Es ist eine Intervention. Und wir wollten nicht sofort von der Polizei weggetragen werden. Das Festkleben war aber nur eine von vielen Formen, die wir angewendet haben. Der zivile Widerstand umfasst über 350 Methoden.Was haben Sie noch probiert? Haben Sie Tempolimitschilder auf Autobahnen aufgestellt?Lustig, dass Sie das erwähnen – das wurde wirklich schon gemacht.Das gab bestimmt Ärger …Ne, es hat gar nicht funktioniert und ist untergegangen. Effektiver war es, andere Autos bei einer Maximalgeschwindigkeit von 130 auszubremsen. Leider hat diese Methode unheimlich viele Kapazitäten gebunden: Wir mussten Autos mieten, sehr lange nebeneinander fahren, um alle Spuren zu blockieren; und natürlich brauchten wir Leute, die bereit sind, ihren Führerschein dafür abzugeben. Das Festkleben war da vergleichsweise einfacher zu wiederholen.Heute sind Sie eine bekannte Klimaaktivistin.Können Sie mich bitte nicht so nennen? Der Begriff ist problematisch.Wieso?Weil er negativ geprägt ist. Die Politik benutzt solche Schlagworte, um Protest zu delegitimieren. 2022 hat Infratest Dimap eine Umfrage durchgeführt. Ergebnis: Bei über 60 Prozent der Befragten löste der Begriff Aktivist / Aktivistin negative Assoziationen aus. Ich bezeichne mich lieber als Protestierende.Placeholder infobox-2Sie zitieren in Ihrem Buch den amerikanischen Politikwissenschaftler Gene Sharp. Der sagt: „Diktaturen sind nie so stark, wie sie glauben. Menschen sind nie so schwach, wie sie denken.“ Diese Ästhetik des Widerstands gefällt mir. Ich habe mich nur gefragt, ob diese Logik auch für eine parlamentarische Demokratie wie unsere gilt.Das ist eine gute Frage. Tatsächlich war dieser Gedanke der Anstoß für meine Doktorarbeit: Ich habe im Studium immerzu Theorien über zivilen Ungehorsam gelesen, aber die bezogen sich alle auf Diktaturen. Da habe ich mich gefragt, ob das überhaupt einen Nutzen für meinen Alltag hier hat. Und dann habe ich verstanden: Widerstand beruht auf der Idee, dass die Macht der Regierenden verschoben werden muss, um etwas verändern zu können. Wieso sollte das nicht auf eine Demokratie anwendbar sein, deren politische Elite zu wenig für den Klimaschutz tut?Wie kann ziviler Widerstand erfolgreich sein?Ich verwende dafür in meinem Buch die Metapher verschiedener Säulen. Die Macht der Regierenden wird in einer Demokratie von mehreren Institutionen getragen: von der Polizei, Journalistinnen, Universitäten, Gerichten. Wenn Protest von einigen dieser Säulen unterstützt wird, hat das einen positiven Einfluss auf den Konflikt. Zum Beispiel haben wir 2021 bei unserem Hungerstreik vor dem Kanzleramt viel Hilfe von der katholischen Kirche bekommen, insbesondere von den Jesuiten.Sie haben damals eine Woche lang nichts gegessen, bis Olaf Scholz Ihnen ein Gespräch angeboten hat. Das kann man sich noch bei Youtube ansehen. Ihr Mitstreiter war sehr emotional und hat zum Kanzler gesagt: Es wird Todeszonen am Äquator geben, Milliarden Menschen werden sterben. Wenn Sie das nicht so aussprechen, Herr Scholz, müssen wir gar nicht weiterreden! Da habe ich an diesen Satz aus Ihrem Buch gedacht: Manche Konflikte sind nicht kompromissfähig und können nur durch „Struggle“ gelöst werden.Ich würde da zwischen zwei Dingen unterscheiden. Wenn es um die Gesprächsform geht, ist meine Haltung, dass ich auch mit meinem größten Feind rede und friedlich bleibe. Und glauben Sie mir, ich hatte schon mal ein Gespräch mit Volker Wissing! (lacht) Das Zitat aus meinem Buch bezieht sich auf eine andere Sache: Bei inhaltlichen Themen, bei der Klimakrise, können wir keine Kompromisse machen. Wir können nicht sagen, ach komm, ob jetzt zwei Grad oder zweieinhalb – ist doch egal. Wir müssen so nah wie möglich an der roten Linie von 1,5 Grad Erderwärmung bleiben. Wenn es dafür ein großes Ringen braucht, dann ist das so. Wie auch Johan Galtung sagte, Frieden ist nicht still und ruhig, sondern erst wenn alle Ungerechtigkeiten beseitigt sind.Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür, dass hier zu wenig für Klimaschutz gemacht wird?Ein Beispiel ist Lobby-Druck. Es wird immer so getan, als hätten wir die perfekte Demokratie, doch auch diese ist anfällig für Manipulationen und muss mit jeder Generation neu verteidigt werden. Denn wenn man aktuell hinter die Kulissen guckt, dann merkt man: Krass, es gibt da einen großen Einfluss von Interessengruppen.Ist es wirklich die Macht der Lobbyisten? Um das Klima zu retten, müssten wir alle unser Leben radikal ändern. Eigentlich leisten Sie keinen Widerstand gegen irgendein Schweinesystem – sondern gegen die Lebensweise eines jeden Einzelnen von uns.Ich habe nicht das Gefühl, dass ich gegen jeden Einzelnen Widerstand leiste. Es gibt Mehrheiten in Deutschland, die wollen, dass wir uns auf die Klimakrise vorbereiten, die wollen, dass man eine bezahlbare Bahn, regionale Lebensmittel und günstigen Öko-Strom hat. Ich kämpfe gegen Gruppen wie den Bauernverband, der sagt, wir vertreten die kleinen Landwirte, aber in Wirklichkeit für die Interessen der großen Konzerne da ist. Ich kämpfe gegen eine Lebensmittelindustrie, die uns vergiftetes Essen verkauft, das vollgesprüht ist mit Chemie. Ohne solchen Lobby-Einfluss wäre Veränderung leichter: Wir hätten weniger Pestizide auf den Äckern und gesündere Lebensmittel auf dem Teller.Was einen stutzig macht: Als Sie das erste Mal wählen durften, haben Sie Ihr Kreuz brav bei der CDU gemacht.Das stimmt leider. (schmunzelt)Was war da los?Na ja, ich hatte ursprünglich einen anderen Plan für mein Leben. Meine 20er habe ich mir so vorgestellt: Ich gehe studieren und unternehme schöne Dinge. Ich bin in einem Ort aufgewachsen, ganz um die Ecke von der Tönnies-Fabrik. Ich dachte, ich esse weiter Fleisch und fliege in den Urlaub. Alles gut. Erst durch mein Studium habe ich verstanden, dass da etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Die Natur und das Klima verändern sich zu drastisch. Wir steuern aktuell auf eine Erderwärmung von drei Grad zu. Bis ich die ganzen Fakten damals verstanden hatte, sind aber noch drei, vier, fünf Jahre vergangen.Und dann?Bin ich vegan geworden und habe mit dem Protest begonnen.Wo ist Ihre persönliche Grenze des zivilen Widerstandes?Ah, jetzt wollen Sie wissen, ob ich mich schon radikalisiert habe …Ich will wissen, wie weit Sie für die gute Sache gehen würden. Widerstand ist ein Spektrum: Man kann wie Greta Thunberg nicht mehr in die Schule gehen; man kann aber auch das Parlament in die Luft jagen.Das ist nicht das Spektrum, auf dem ich mich bewege. Wenn Sie wissen wollen, wo meine persönliche Grenze ist: Menschen darf keine physische Gewalt angetan werden.Was waren noch gleich die Hauptforderungen der Letzten Generation?Ein Lebensmittel-retten-Gesetz, ein Tempolimit, bezahlbare Bahntickets und ein Gesellschaftsrat.Okay, Sie haben recht: Das ist so was von nicht radikal.Es geht mir nicht um Radikalität, sondern um Effektivität. Damit ziviler Widerstand erfolgreich ist, ist es gut, wenn zwei Komponenten zusammenkommen: Die Proteste müssen nicht-normativ und konstruktiv sein.Was soll das denn heißen?Sie dürfen nicht normativ in dem Sinne sein, dass Ihnen die Politik auf die Schulter klopft und sagt: Gute Sache, da stimmen wir überein. Es darf also nichts total Offensichtliches sein. Ein gewisses Maß an Konflikt muss man schon hervorrufen. Aber gleichzeitig muss man bereit sein, den Widerstand zu beenden, wenn die eigenen Forderungen erfüllt wurden. Sonst denkt die Öffentlichkeit: Das sind Verrückte, mit denen kann man nicht reden.Sie zitieren in Ihrem Buch den Bewegungsforscher Bill Moyer, der in den 80ern einen Action-Movement-Plan entworfen hat. Demnach geht eine Bewegung durch acht verschiedene Phasen: Rückschläge gehören dazu, das Gefühl von Misserfolg, das Gefühl von Verzweiflung, von Wirkungslosigkeit. Nur wenn man trotzdem nicht aufgibt, hat man Erfolg. Haben Sie diese Phasen auch erlebt?Mir hat Moyers Plan geholfen, weil er sagt: Protest ist nicht etwas, das einfach so von heute auf morgen funktioniert. Es gibt Phasen, in denen es darum geht, das Thema überhaupt erst mal auf die Agenda zu bringen. Und es gibt auch Phasen der Erschöpfung, in denen man müde ist, doch interessanterweise liegen diese oft kurz vorm Gewinn. Natürlich sollte man sich aber immer kritisch hinterfragen, denn nur weil man Widerstand leistet, heißt das nicht, dass er erfolgreich ist. Es braucht einen guten Plan.
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