Bei Metamorphosen denkt man an Ovid, an Damen, die wahlweise Spinnen oder Olivenbäume werden, Herren zu Ochsen oder Steinen. Der italienische Biologe Marco Di Domenico zeigt unter Reverenz an Ovid, wie sehr die Vielfalt des Lebens auf dem Planeten durch reale Verwandlungen geprägt ist. Zwar gehört unsere Spezies Mensch zu den sich linear entfaltenden, aber selbst die haben teil an der großen Metamorphose, wenngleich nicht so wie die Qualle Turritopsis, die ihren Lebenszyklus umkehren kann. Vertrauter sind einem metamorphotisch die Schmetterlinge. Aber die sind nur ein ästhetisches Tüpfelchen auf einem Alphabet von sich auf bizarrste Weise wandelnden Lebewesen, von Aalen über Glühwürmchen, Grottenolme, Libellen, Quallen, Wanderheuschrecken bis hin zu Zikaden. Man liest von wundersamsten Geschlechtsverhältnissen, besonders gruselig: die Parasiten.
Was kann man – außer der Menge an Einzelspezies – aus alledem lernen? Zumindest die unermessliche Vielfalt der Lebens- und Entwicklungsformen. Hoffentlich mehr Ehrfurcht vor jenem Leben, das wir nicht sind und das gut ohne uns auskommt, das wir immer noch in endgültige Vergangenheit verwandeln.
Was nicht alles ist schon über Mode geschrieben worden! Und wie wenig reicht intellektuell an Barbara Vinken heran. Madeleine Köchy stützt sich auf das, ohne das es Mode so gar nicht gäbe, auf Modemagazine und deren Abbildungen. Durch die und um die herum, geschickt ausgewählt und arrangiert, führt sie prägnant von der Gründerzeit zur Moderne der 1920er Jahre, interessant als Geschichte der Verquickung von Star-Namen der Branche mit Magazinen, Schnittmusterheften, Influencern, Zeichnern und Fotografen.
Bisher habe ich so gut wie alles von Barbara Vinken gern gelesen, gelegentlich mit Kopfschütteln, meist mit Bewunderung, sowieso mit Amüsement. Beim Lesen von Diva. Eine etwas andere Opernverführerin mehr Kopfschütteln. Angeblich als „elitär unkritisches Divertissement“ abgetan, will Vinken die Oper vor „geschmäcklerischer Kennerschaft“ retten. Durch ihre weibliche Verführungskraft.
Die frauenmörderischen Opern liest sie – mehr wegen der Texte als der Musik – als nonbinäre Entnaturalisierung der Geschlechterrollen. Die Diven enden nicht tragisch, sondern „widerlegen die Tragik“, ruinieren so die tumbe toxische Männlichkeit. Anhand des Kernrepertoires des angeblich ahnungslosen Geschmacksbürgertums – Mozart, Verdi, Puccini, plus Zugabe von Lulu und Rosenkavalier, dafür ohne Wagner, Händel, Purcell oder Vivaldi – kommt sie zu einigen kühnen Fulgurationen, mehr jedoch zu bezweifelbaren Erkühnlichkeiten. Ein bewanderter Bekannter hat mir eine ganze Reihe Fehler aufgezählt, mir reicht, was mich irritierte: Wenn sie suggeriert, dass früher nur Kastraten Frauenrollen gesungen hätten, bei Mozart die Königin der Nacht mit ihrer „nonbinären Stimme“ im Ohr bleibt, aber keine Rede von Papageno ist, wenn in Così fan tutte einerseits eine „typisch männliche (...), heldenhafte (...) Kastratenstimme“ aufgegriffen wird, in Le nozze de Figaro Cherubino „die weiblichste Figur auf der Bühne“ ist – wo bleibt da die Durchkreuzung binärer Geschlechterkonstellationen? Und dann gibt es ja auch den einen oder anderen Treffer.
Maria Callas, die Diva mit der unersetzlichen, unnachahmlich „dreckigen“ Stimme. Was alles an Dokumentationen oder Enthüllungen verschiedenster Art hat man nicht schon über sie lesen oder sehen können! Eva Gesine Baur entfaltet noch einmal ihr Leben und Wirken, nun, angelehnt an eine Bemerkung Pier Paolo Pasolinis, als Ineinander einer explizit modernen und einer antiken Frau. Dabei gelingt es ihr nicht nur, sich durch Gerüchte, Klatsch und schlichtweg Fehlinformationen hindurchzuarbeiten, sondern das Leben dieser auf der Bühne so oft grandios Sterbenden lebendig werden zu lassen, ohne es mit falschem Pathos aufdonnern zu müssen.
Als Kiki vom Montparnasse – 1901 unehelich in einem burgundischen Dorf geboren, mit 14 Modell für Bildhauer, nach und nach den diversesten Künstlern ein Modell, selbst zeichnerisch begabt, dann bekannt und berüchtigt als Chansonnière – dem Fotokünstler Man Ray begegnete, der als jüdischer Kleinbürger Emmanuel Radnitzky aus den USA nach Paris gekommen war, schwieg er aus mangelnder Kenntnis der französischen Sprache, was sie wiederum als geheimnisvoll interpretierte. Die beiden wurden ein Paar, das sich liebte und noch mehr zankte. Dass die „Königin von Montparnasse“ entschieden mehr war als nur Modell und Muse, gar bloß die ikonische Rückenansicht der Violine von Ingres, zeigt ihre Biografie, die mehr eine Doppelbiografie der beiden und dabei zugleich eine Wiederbelebung der surrealistischen 1920er des Montparnasse ist.
Sachlich Richtig liest Bücher über Mode, Grottenolme und die unsterbliche Maria Callas
Das Brevier der Verwandlungen. Metamorphosen im Tierreich Marco Di Domenico Christine Ammann (Übers.) Folio 2023, 283 S., 27 €
Spaziergänge durch hundert Jahre Mode. Von der Gründerzeit bis in die Moderne Madeleine Köchy Faber & Faber 2023, 192 S., 36 €
Diva. Eine etwas andere Opernverführerin Barbara Vinken Klett-Cotta 2023, 432 S., 30 €
Maria Callas. Die Stimme der Leidenschaft. Eine Biographie Eva Gesine Baur C. H. Beck 2023, 507 S., 29,90 €
Kiki Man Ray. Kunst, Liebe und Rivalität im Paris der 20er Jahre Mark Braude Barbara Steckhan und Thomas Wollermann (Übers.) Insel 2023, 365 S., 26 €
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.