Ikone der Linken: Affirmative Ethik von Rosi Braidotti – Machen statt Meckern
Theorie Die Philosophen haben die Welt nur verschieden kritisiert, Rosi Braidotti will mit ihrer Affirmativen Ethik ein Denken der Posititivät begründen – gegen die Kultur der Angst von rechts. Frei von Widersprüchen ist ihr Ansatz allerdings nicht
Die Philosophen haben über die Welt immer nur gemeckert, Rosi Braidotti will machen statt schnattern
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Philosophische Systeme sind Versicherungsanstalten gegen erkenntnistheoretische Risiken. Fehler müssen vermieden werden, darum wird alles sehr genau genommen und das Einfachste fällt schwer: Woher weiß ich, dass dies kein Traum ist? Oder: Gibt es eine Außenwelt? Weil er derartige Wahrheitsfragen der Lächerlichkeit preisgab, war Friedrich Nietzsche im Wortsinne eine Entlastung für das Fach. Er nahm der Philosophie ihre Schwere. An die Stelle der prüfenden Grübelei sollte eine Fröhliche Wissenschaft treten, die unverzagt ans Werk geht und das ewige „Nein!“ der Philosophen in ein „heiliges Ja-sagen“ verwandelt, wie es im Zarathustra heißt.
Wenn man die im Grundsatz negative Philosophie verdächtigt, im Bündnis m
t.Wenn man die im Grundsatz negative Philosophie verdächtigt, im Bündnis mit den herrschenden Verhältnissen zu stehen, kann man der Perspektive Nietzsches etwas Kritisches abgewinnen. So ist es im Denken der italienisch-australischen Philosophin Rosi Braidotti. Sie verbindet Positivität mit einem subversiven Impuls. Obwohl es auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein scheint, ist Braidottis Affirmative Ethik kritisch. Denn Affirmation meint bei ihr nicht die logische Operation, die einem Subjekt ein bestimmtes Prädikat zuspricht („Der Baum ist grün“, „Der Staat ist gut“), darum auch nicht die konformistische Sanktionierung des Status quo, sondern etwas Prozedurales: den zustimmenden Bezug auf Veränderungskräfte. In ihren Worten: „Positivität impliziert keine geistlose Akzeptanz oder unkritische Passivität. Sie priorisiert stattdessen die Transformation.“Rosi Braidotti ist, in ihren Worten, ein Kind der „poststrukturalistischen Generation“. Als sie 1981 für ihre Doktorarbeit nach Paris kam, hatte sie noch die Gelegenheit, Gilles Deleuze und Luce Irigaray persönlich zu erleben. Bekannt wurde sie mit dem 1994 erschienenen Buch Nomadic Subjects, einer genuin dynamischen Theorie: Wenn man wie eine Nomadin denkt, wird das vermeintlich Feste flüssig. In Italien schon längst eine Ikone der Linken, wird die Feministin auch hierzulande immer bekannter: Vor einem Monat hielt sie an der Freien Universität Berlin die „Hegel Lecture“ und nutzte die Gelegenheit, um für ihre Affirmative Ethik zu werben.Braidotti denkt materialistisch: Denken ist ein KörpereffektBraidottis Philosophie ist durch und durch materialistisch. Nicht nur, weil sie wie Nietzsche der klassischen deutschen Philosophie, respektive dem Idealismus, den Rücken kehrt, sondern weil ihre Denkweise die Basis im Körperlichen hat. Im Gegensatz etwa zur kantischen Morallehre werden in der Affirmativen Ethik keine Triebe unterdrückt. Das Gegenteil ist der Fall: Neigungen helfen ihr, das Handeln auszurichten. Das geht so weit, dass Braidotti Vernunft überhaupt als Physiologisches begreift, Bewusstsein als „verfleischlichte Subjektivät“ – und jeder, der schon einmal vergeblich versucht hat, hungrig einen philosophischen Text zu lesen, wird die Plausibilität dieser Einsicht nicht leugnen: Denken ist ein Körpereffekt. Dies gilt übrigens nicht ausschließlich restriktiverweise, sondern auch im gegenteiligen Ermöglichungssinn. Was sich da in einem als Affekt regt, drängt schließlich dazu, sich zu realisieren. Mit einer Analyse Braidottis: Every emotion is a motion – im Begriff der Emotion steckt die Bewegung.Ein solcher Materialismus greift nicht auf Karl Marx zurück, sondern auf den erwähnten Deleuze. Dessen Denken lässt sich mit dem Untertitel eines seiner Bücher über Spinoza als praktische Philosophie begreifen. Einen Praxisvorrang sah der historische Materialismus von Marx zwar auch, aber dieser hielt bei seinen Tätigkeitsbemühungen am Wahrheitsanspruch der negierten philosophischen Tradition fest. Dies ist in der Linie Nietzsche-Deleuze-Braidotti nicht mehr der Fall. Die Theorie hat hier Besseres zu tun, als im Erkenntnismodus nach dem Grund der ideologischen Verfehlung zu suchen oder Bewegungsgesetze der Gesellschaft zu analysieren. Man stützt sich selbstgenügsam auf diejenigen Impulse, die das eigene Schaffen in Gang setzen, und ermutigt andere, es ebenso zu tun, sodass etwas Kollektives und Neues daraus entstehen kann. Die Legitimitätsfrage stellt sich nicht. Sie würde einen Rückfall in das verbissene Verhaltensmuster der alten Philosophie bedeuten.Der positive Materialismus bricht also mit der Obsession für das Falsche und konzentriert sich stattdessen auf seine Kräfte. Er kommt ins Handeln. Nicht das Objekt der Kritik, Gesellschaft, steht im Fokus, sondern die beteiligten Subjekte. An diesem Punkt konvergiert die Ethik der Affirmation mit der nomadischen Theorie Braidottis. Diese ist ebenfalls mehr an dem interessiert, was sich bewegt, als an dem, was bewegt werden soll – und eben darum positiv: „Das nomadische Denken setzt sich mit der Gegenwart nicht oppositionell auseinander, sondern eher affirmativ, und zwar nicht aus Anpassung, sondern aus der pragmatischen Überzeugung, dass die Bedingungen, aus denen qualitative Veränderungen entspringen, nicht dialektisch aus einer direkten und gewaltsamen Konfrontation mit dem Bestehenden hervorgehen.“Auch die Affirmative Ethik muss sich abgrenzenDas Problem liegt auf der Hand: Ob die so generierte Bewegung aus der sozialen Verstrickung hinausführt oder nur tiefer in sie hinein, kann nicht gesagt und eigentlich nicht einmal gefragt werden.Man mag daher der Auffassung sein, ein solches Verständnis von Gesellschaftskritik sei relativistisch, weil es nicht zwischen Richtig und Falsch unterscheide. Allerdings würde Braidotti diesen Vorwurf mit Verweis auf ihre Parteinahme für progressive politische Alternativen, etwa den Feminismus, zurückweisen. Historisch steckt dahinter die seit Ende der 1970er zu beobachtende Abwendung vom Allgemeinheitsanspruch politischen Handelns, die Andreas Reckwitz als die Herausbildung einer „Politik des Besonderen“ bezeichnet. Schwerer als der Relativismusverdacht dürfte daher der logische Widerspruch wiegen, dass auch die Affirmative Ethik Abgrenzungen tätigen muss, um sich zu formulieren, etwa von der Hegel’schen Philosophie. Reine Positivität ist undenkbar.Aber vielleicht machbar. In der Praxis kann aus einer Negation die Differenz werden, wenn man diesen Vorgang horizontal versteht: Kein Mensch ist ein einheitlicher, von der Vernunft vertikal dominierter Ichblock, sondern ein Feld, auf dem sich Kräfte schneiden. Das war mit der Losung vom Tod des Subjekts gemeint. Die Formel richtet sich gegen das transzendentale, abstrakte Selbst – ihm will auch Braidotti an den Kragen. Vielfältige, konkrete Subjektivität soll indessen zum Leben erweckt werden. Zwischenmenschliche Beziehungen sind ebenfalls nach diesem Differenzmodell konzipiert, auch hier wird die Vertikale getilgt, sodass die einander Anderen friedlich koexistieren können: Differenz ohne Unterordnung. Die Intention der Affirmativen Ethik ist insofern weniger relativistisch als relationistisch.Auch in ökologischen Fragen: Wider die KatastrophologieDiese Idee nachbarschaftlicher Allverbundenheit gilt für alle Lebewesen. Der Mensch unterscheidet sich von anderen Tierarten, ist aber nicht besser oder schlechter als diese. Vom spinozistischen Monismus inspiriert, konzipiert Braidotti eine Einheitslehre, die so umfassend wie nur irgend möglich vorzustellen ist: Wie sich bei Spinoza alles im Innenraum Gottes zutrug, der aus diesem Grunde pantheistisch mit der Natur im Ganzen gleichgesetzt werden konnte, so begreift Braidotti alle Phänomene als Variationen derselben Materie. Die Affirmative Theorie ist deshalb zugleich eine Ethik der Nachhaltigkeit, wobei ihr besonderer Dreh ist, dass die Natur als Beherrschungsgegenstand gar nicht erst auftreten kann.So entsteht, was man eine nichthierarchische Lebensphilosophie nennen kann. Das Adjektiv ist entscheidend, da eine vitalistische Theorie auch für die rücksichtslose Selbsterhaltung von Individuen oder sozialen Gruppen dienen kann. In diesem Sinn bezog sich der Faschismus auf Nietzsche. Um diese Verbindung auszuschließen, formuliert Braidotti gewissermaßen einen methodischen Antifaschismus, wobei sie unter Faschismus in der Hauptsache eine Ideologie der Angst versteht: Das deutsche Volk ist vom Aussterben bedroht! Solches Denken soll in der affirmativen Philosophie von vornherein ausgeschlossen werden, mit der möglicherweise überraschenden Konsequenz, dass auch in ökologischen Fragen jede „Katastrophologie“ abgelehnt wird. Die Losung lautet, sich nicht auf den Untergang zu fixieren, sondern auf das, was Leben spendet.Negative, begrenzende Freiheitslehren stehen nicht hoch im Kurs. Auch Braidotti radikalisiert die positive Freiheit: Aus der Abwesenheit von Zwang soll mehr noch als die Befähigung von Individuen etwas Kollektives und Schöpferisches werden. Am liebsten wäre die Affirmative Ethik eine Theorie der Befreiung.Placeholder authorbio-1