Tupoka Ogette über Rassismus: „Ich sehe Wut und Hass. Ich sehe Liebe!“
Interview Widerstand und Stärke: Sie ist eine der bekanntesten Frauen, die Rassismus in Deutschland bekämpft. Tupoka Ogette erzählt von ihrer Arbeit als Antirassismustrainerin, ihrer Wut auf das patriarchale System – und ihrer Kindheit in Leipzig
Tupoka Ogette im Interview: „Ich glaube an eine revolutionäre Liebe, nicht immer ist die sanft“
Foto: Carolin Windel
Wir treffen Tupoka Ogette zwei Stunden vor ihrer Lesung in der Musikalischen Komödie in Leipzig. Den Tag hat sie in der Stadt verbracht. Mit ihrem Mann Stephen war sie bei ihren Großeltern, die immer noch im Leipziger Süden wohnen, zu Besuch. Mehr als 600 Menschen werden Ogette an diesem Abend in Leipzig zuhören.
Seit 2012 arbeitet sie als Antirassismustrainerin. Sie hat drei Bücher geschrieben, Exit Racism ist ein Spiegel-Bestseller. 2019 wurde Tupoka Ogette vom Onlinemagazin Edition F als eine der 25 erfolgreichsten Frauen des Jahres ausgezeichnet. Monatlich spricht sie in ihrem Tupodcast mit Schwarzen Frauen über das Leben, über Widerstand und Heilung. Neben ihrer Arbeit als Antirassismustrainerin berät sie Firmen und Vereine.
der Freitag: Frau Oget
sie Firmen und Vereine.der Freitag: Frau Ogette, wie fühlt es sich an, wieder in Ihrer Geburts- und Studienstadt zu sein?Tupoka Ogette: Sehr, sehr viele gleichzeitige Emotionen: Ich bin sehr aufgeregt, gespannt. Ich hatte noch nie in meinem Berufsleben eine Veranstaltung, auf der so viele Menschen waren, die mich als Kind schon kannten. Ich habe hier Afrikanistik studiert und hatte mein Schwarzes Coming-out. Es ist komplex. Je näher ich an Leipzig komme, desto vulnerabler fühle ich mich.Was meinen Sie mit dem Schwarzen Coming-out?Damit meine ich meine Politisierung. Es ist eine kollektive Erfahrung für Schwarze Menschen, gewisse Erfahrungen zwar einordnen zu können, aber keine Sprache dafür zu haben. Ich habe lange geglaubt, dass ich das Problem, ein bisschen sensibel und ein bisschen schwierig sei. Das Schwarze Coming-out ist der Prozess, mit anderen Schwarzen Menschen durch Lektüre erstens eine Sprache zu finden für das, was ich erlebe, und zweitens, das miteinander verknüpfen zu können und herauszufinden: Das bin nicht nur ich, sondern es ist eine kollektive Erfahrung und es hat einen Namen, und zwar Rassismus.Sie haben im Gegensatz zu manch anderen Antirassismustrainerinnen und -trainern einen sehr liebevollen Ansatz. Wie sind Sie dazu gekommen?Ich würde eher sagen: Hart in der Sache, aber sanft im Umgang. Meine Mutter ist weiß, meine Großeltern ebenso, ich bin mit weißen Menschen befreundet. Meine Frage war und ist: Was verändert Rassismus in den Beziehungen, die ich zu ihnen habe? Ich glaube an eine revolutionäre Liebe, und die ist nicht immer sanft. Ich glaube, diejenigen, die meine Rassismuskritik für sanft halten, waren noch nie in meinem Workshop. Natürlich habe ich einen wohlwollenden Ansatz, aber diese Auseinandersetzung ist und bleibt hart.Empfinden Sie in Bezug auf Rassismus auch Wut?Ich habe diese Arbeit begonnen, weil ich sehr wütend war und sich diese Wut gegen mich selbst gerichtet hat, sie war autoaggressiv. Die Wut entstand im Zuge der Politisierung, in der Auseinandersetzung und in dem Verstehen, was Rassismus mit mir, aber auch mit dieser Gesellschaft macht. Es hat mich besonders wütend und ohnmächtig gemacht, dass meine Kinder auch Rassismus erleben. Ich habe festgestellt: Diese Wut frisst mich auf, wenn ich nicht irgendwas tue.Sie sagten einmal, Sie dachten früher, dass Sie in Bezug auf Rassismus zu sensibel seien – bis Sie Wörter gelernt haben, die Ihre Erfahrungen beschreiben konnten. Was hat sich für Sie geändert nach dieser Wortfindung?Wenn du eine Sprache dafür findest, was dir passiert, dann macht es das real. Du merkst, dass du nicht die einzige Person bist, der es so geht. Und du verstehst, dass du dir das alles nicht eingebildet hast. Dass deine Reaktionen berechtigt waren. Und das hat mich erst mal wütend gemacht, klar. Es ist auch schmerzhaft, weil du merkst, wo Rassismus überall sitzt. Es hat mich aber auch befreit. Ich bin klarer und mutiger geworden.Woher nehmen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?Ich habe ganz oft keine Kraft. In solchen Momenten ziehe ich die Kraft aus den vielen Menschen, die ebenso diesen Kampf gegen Rassismus führten oder führen. Mit Büchern, Filmen, Musik und Tanz des Widerstandes. Hier in Leipzig hat mich ein junges schwarzes Mädchen angeschrieben, es wird heute im Publikum sitzen: Sie ist zehn Jahre alt und kämpft an ihrer Schule gegen Rassismus. Oder auch in den Workshops, wenn ich es schaffe, dass Menschen wirklich ein Verständnis dafür entwickeln, was Rassismus mit uns macht. Ich arbeite zusammen mit meinem Mann, das hat vieles verändert, weil wir gegenseitig gut auf uns aufpassen können. Ich versuche, besser auf mich zu achten. Ich gehe seit einiger Zeit zur Osteopathie, mache Sport, reise sehr gern mit meiner Familie – vor allem ans Meer oder in die Berge. Und ich mache Supervision.Sie sprechen oft davon, dass weiße Menschen Allys sein können.Ich wünsche mir, dass der Begriff als Verb gebraucht wird. Es ist eine Tätigkeit und kein Status. Es geht darum, sich gegen Diskriminierungsformen einzusetzen, von denen man selber nicht betroffen ist. Diese Entscheidung muss immer wieder neu getroffen werden. Darin liegt auch eine Chance: Du kannst dich ab sofort entscheiden, es zu machen. Und auch, wenn es nicht sofort funktioniert, kannst du sagen: Ich mache es immer wieder. Ein Ally zu sein bedeutet, sich solidarisch zu verhalten.Wie sieht Ihre Utopie der deutschen und der globalen Gesellschaft aus?Ich hatte mal ein Interview, in dem es um „realistische Utopien“ ging. Natürlich schwebt über allem die Idee einer Welt, in der es keine Kriege und keine Marginalisierung gibt, in der wir alle einfach nur sein können. Das ist natürlich eine Aufgabe, die erschlägt. Rassismus gibt es seit 500 Jahren, das Patriarchat noch länger. Da komme ich mir sehr klein vor und es ist keine Vision, die mich nachhaltig stützt. Ich habe aber Hoffnung auf eine rassismus- und diskriminierungskritische Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die hinschaut, die eine Sprache findet, die sich mit Reparationen auseinandersetzt, die Handlungsräume schafft, die Zukunftsvisionen möglich macht. Eine Welt, in der unsere Kinder und Kindeskinder ein bisschen mehr atmen können.Wer sind Ihre Vorbilder?Maya Angelou ist auf jeden Fall jemand, der mich sehr geprägt hat. Auch Toni Morrison, Alice Walker, James Baldwin. Ganz persönlich ist es auch meine Mutter. Durch sie habe ich gelernt, dass Systeme, nur weil sie gerade legal sind, wie es zum Beispiel die DDR-Diktatur war, nicht per se richtig sein müssen und dass man Sachen hinterfragen kann. Meine Großmütter – in Leipzig und in Mbeya in Tanzania. Ich habe das Glück, von starken, mutigen, feministischen Frauen umgeben zu sein. Auch wenn sie sich selbst nicht unbedingt Feministin nennen würden.In den vergangenen Jahren ist viel passiert, es wird mehr über Rassismus geredet. Aber haben Sie auch das Gefühl, dass sich wirklich etwas verändert?Es ist ja bereits eine Veränderung, dass wir mehr darüber sprechen, dass der Diskurs auch im Mainstream sichtbarer geworden ist. Es gibt einfach mehr Vorfälle, die dokumentiert werden, wenn sie passieren. Prominentestes Beispiel dafür ist der Mord an George Floyd. Aber diese Veränderungen geschehen nicht von allein. Sie passieren, weil Menschen diese Veränderung einfordern. Und das trotz großer Verluste und großer persönlicher Opfer, die sie bringen. Und obwohl ihre Erfahrungen und ihre Forderungen immer wieder relativiert werden. Natürlich werde ich jetzt in andere Kontexte eingeladen als vor fünf oder zehn Jahren. Gleichzeitig gibt es aber einen riesigen Backlash. Vor zwei Jahren haben viele gefragt, ob nach dem Mord an George Floyd jetzt alles ganz anders sei und ob es „geschafft“ sei. Aber alle Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, wussten, dieser mediale Scheinwerfer leuchtet eine Weile und geht dann wieder aus. Diese Ausdauer, die bleibt nicht. Und jetzt ist es wieder so weit, dass viele Menschen sagen: „Na ja, jetzt ist ja auch mal wieder gut mit dieser politischen Korrektheit, Rassismus haben wir jetzt durch.“ Es gibt eben beides, die Menschen, die vorpreschen, und den Backlash.Sie machen diese Arbeit seit mehr als zehn Jahren. Was sehen Sie, wenn Sie auf diese Zeit zurückblicken?Sehr viele Gespräche und sehr, sehr viele Begegnungen. Ich sehe, dass es viele Menschen gibt, die sich mit Rassismus auseinandersetzen möchten. Ich sehe aber auch meine Zusammenbrüche – keine Frage. Ich sehe auch all die Wut und den Hass, den ich vor allem online mitbekomme. Ich sehe aber auch die viele Liebe. Ich sehe viele Schwarze Menschen, People of Color, indigene Menschen, die ich treffen durfte und darf. Die kämpfen und trotzdem lieben und trotzdem feiern. Ich sehe eine neue Generation, die viel mehr und viel früher Worte hat für das, was passiert. Das ist stärkend und berührend.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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