Chinas Vorsitz im UN-Sicherheitsrat schafft Raum für Friedensangebote
Diplomatie Da der außenpolitischen Kultur Pekings die kolonialistische und kulturmissionarische Hybris fremd sind, fallen Initiativen zur Beendigung des Gaza-Krieges möglicherweise auf fruchtbaren Boden, wenn sich alle bewegen
Zhang Jun leitet seit November als turnusmäßiger Vorsitzender den UN-Sicherheitsrat
Foto: Xinhua/Imago
Kurz vor seinem Tod, im Sommer 2020, als die Welt unter der Covid-Erschütterung bebte, wandte sich der ehemalige britische Großrabbiner Baron Jonathan Sacks noch einmal an die Öffentlichkeit. Wie wunderbar es sei, „Zeit mit Menschen zu verbringen, die völlig anders sind als man selbst, und herauszufinden, wie vieles uns gemeinsam ist.“ Sacks lenkte den Blick über religiöse, ideologische und kulturelle Fraktionen hinaus: „Gott ist auf der Seite des Spiels der Menschheit, nicht auf der Seite einer Partei“.
Was nach romantischer Verklärung klingt, entpuppt sich als Türöffner. Es geht um die hohe Kunst, aus Freiheit selbstbestimmt zu handeln; nicht aus Gewohnheit schädliche Muster fortzuschreiben. Darum zitierte Jonathan
eit schädliche Muster fortzuschreiben. Darum zitierte Jonathan Sacks „eines der schönsten Axiome des Judentums“: Wer ist ein Held? Einer, der aus einem Feind einen Freund macht. (Avot de-Rabbi Natan, 23). Zeit für eine ehrliche BestandsaufnahmeSeit dem 1. November 2023 leitet nun Chinas Diplomat Zhang Jun zum vierten Mal den UN-Sicherheitsrat als turnusmäßiger Vorsitzender. Zhang tritt das Amt mit Elan an und widmet sich besonders dem Gazakrieg, es sei unerlässlich, einen Waffenstillstand zu fördern, weitere zivile Opfer und ein Übergreifen des Konflikts zu verhindern. Zhang ist bei der UNO bekannt als Verteidiger weltweit vereinbarter „roter Linien“, erfahren im Umgang mit politischer Provokation und strategischer Eskalation. „China hört auf die internationale Gemeinschaft und wird mit allen betroffenen Parteien zusammenarbeiten, um rasch und verantwortungsvoll sinnvolle Maßnahmen des Rates gemeinsam umzusetzen.“ Man werde sich auf die Konfliktursachen konzentrieren.Mit anderen Worten, an die Stelle von Ablenkung, Verwirrung und Moralisierung soll der Sicherheitsrat als ehrlicher Makler dem realpolitischen Interessenausgleich dienen. China unterhält enge Wirtschaftsbeziehungen in der Region, unter anderem zu Israel und dem Iran. Es hat zugleich in den Augen einer großen Mehrheit der Nationen durch konsequentes Festhalten an den Standards des Völkerrechts erhebliches Vertrauen gewonnen. China bringt sich intensiv und geschmeidig auf allen Ebenen der UNO ein, zunehmend mehr etwa bei Bildung, Gesundheit und Umwelt. Es nutzt offene Türen nach Russland, Indien und Pakistan – sogar US-Politiker begeben sich wieder häufiger auf dem Weg nach Peking. Auch die EU wird früher oder später nicht darum herumkommen, Chinas pragmatischen Zugang zum Israel-Palästina-Konflikt ernstzunehmen.Während es moralgesättigten deutschen Medien schwerfällt, Akteure, Strategien und Interessen zu sortieren, scheint aus Sicht amerikanischer, britischer oder israelischer Analysen die aktuelle Lage recht klar: Israel habe im Gefolge der US-Doktrin, Stellvertreter-Kriege zu orchestrieren und Marionetten-Regimes zu installieren, Hamas aus einer Terrorzelle zu den „Taliban Israels“ gemacht, schreibt die Washington Post.Das Konzept, „Hamas indirekt zu stärken, hat sich in Rauch aufgelöst”, vermerkt die Times of Israel. Selbst eine Mehrheit der Israelis sieht den eigenen Regierungschef in der Verantwortung für das Versagen, die eigene Bevölkerung zu schützen und das Auftrumpfen der Hamas zu verhindern. Es ist Zeit für eine ehrliche Bestandsaufnahme und einen vernünftigen Kurswechsel, um einem Weltfrieden zu dienen, der den globalen Verhältnissen des 21. Jahrhunderts entspricht. Geht dieser Impuls vom UN-Sicherheitsrat aus, dann erhält auch dieser eine Chance sich als handlungsfähig zu rehabilitieren.Spielraum für die Korrektur von IrrtümernAnders als es viele Vorurteile wollen, ist Chinas Position nicht nur ein propagandistischer Erfolg, sondern vor allem durch Lern- und Kooperationsprozesse im Zuge derBelt and Road Initiative (BRI/Neue Seidenstraße)erarbeitet. Hier können zwei Besonderheiten ins Spiel kommen. Erstens geht China im Rahmen seines Mandats und seiner definierten Interessen ergebnisoffen und ohne versteckte Agenda in solche Prozesse. Es hat ein grundlegendes Interesse daran, dass alle Akteure sich langfristig an die Vereinbarungen halten können. Hieraus ergibt sich Spielraum für die Korrektur von Irrtümern und Missverständnissen. Zweitens ist Chinas außenpolitischer Kultur die kolonialistische und kulturmissionarische Hybris fremd, die strukturelle Macht ideologisch überhöht.Daher ist es weniger wahrscheinlich, dass Verhandlungsteilnehmer herabgesetzt werden. Die Zeit ist reif und das Land ist reif, sich nicht nur in überregionaler, sondern aus globaler Verantwortung zu beweisen. Bisher sind alle Versuche gescheitert, eine dauerhafte Lösung für ein gesundes Zusammenleben von Israelis und Palästinensern zu finden. China bringt einen neuen kulturellen Ansatz ein – ein besserer ist nicht im Angebot. Diesen Umstand kann sich zunutze machen, wer hofft, die schwachen Impulse, die während der kurzen Dauer des Vorsitzes von China ausgehen können, im Ansatz zu stärken und zur Entfaltung zu bringen. Man darf sicher sein, dass China diese Initiative gut vorbereitet hat. Nicht zuletzt kann es hierfür sein neues Gewicht aus der Neubelebung der Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien ins Spiel bringen. Entscheidend in der strategischen Einordnung der chinesischen Position ist allerdings der Friedens-Pragmatismus und die Abwesenheit ideologischer Allüren in außenpolitischen und vor allem in internationalen Fragen.Auffälliges deutsches De-EngagementZwei aktuelle Ereignisse zeugen von Chinas Willen, für globale Verständigungsarbeit zu werben und dabei besonders an die frühere deutsche Vorbildfunktion zu appellieren. Eine eben in Peking zu Ende gegangene Menschenrechtskonferenz wird zum Staatsereignis. Es handelt sich um ein Symposium der Friedrich-Ebert-Stiftung, mit der früheren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Weder nahm die deutsche Öffentlichkeit davon Notiz, noch findet die Stiftung den Mut angesichts des zu erwartenden Shitstorms ihre Pflichtmeldung in deutscher Sprache abzugeben. Das laufende deutsche De-Engagement kaschiert China durch die Betonung von Statussymbolen. Mangels Alternativen bleibt den diplomatisch hochsensiblen Chinesen kaum etwas anderes übrig. Hier rächt sich, dass Chinas Fixierung auf offizielle Hierarchien kaum neue Spielräume und neue potentielle Allianzen zugelassen hat. Besonders in der Wirtschaft setzt man auf die Nomenklatur der Verbände und Behörden, findet dadurch kaum Zugang zu den „Hidden Champions“ oder informellen Akteuren, die wichtige Kompetenzen aus den Wurzeln der realen Wertschöpfung anzubieten haben. Die Treue zum altmodischen Top-Down-Ansatz drückt Respekt vor der Souveränität und dem Potential meritokratischer Selbstorganisation des habituell hochgeschätzten Deutschlands aus.Deutschlands potemkinsche Kulissen Tatsächlich verbaut sich China so den Zugang zu neuen, frischen Kräften und stützt die abgewirtschafteten Eliten. Auch tut man sich überaus schwer damit, den offiziellen Mythos aufzugeben, wonach die vergangenen Regierungsperioden segensreich für das Gedeihen deutsch-chinesischer Zusammenarbeit gewesen wären. Ausgebliebene Investitionen in Chinakompetenz und Verengung der geistigen und sozialen Räume für interkulturelle Begegnung wurden übersehen.Die Menschen, die trotz oder wegen der offiziellen Politik Gutes geleistet haben, werden durch Deutschlands potemkinsche Kulissen überschattet. Gleichwohl besteht Hoffnung, allein schon, weil die Worte der früheren Justizministerin offiziös und zustimmend zitiert werden: „Lassen Sie uns nach dem suchen, was wir aus unseren unterschiedlichen Ideen heraus gemeinsam tun können!“ Womöglich ist dies kein Pfeifen im Walde, sondern ansteckender Optimismus mit Breitenwirkung.
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