Krieg in Nahost: Seine Folgen für die USA, Europa und China

Prioritäten Nicht nur, indem die Ukraine zum Bollwerk der euro-atlantischen Welt ausgebaut wird, auch im indopazifischen Raum erwartet Washington mehr Assistenz durch den verbündeten Teil Europas. Davon wird die China-Politik nicht unberührt bleiben
Ausgabe 42/2023
Joe Biden in Polen: Amerikanische Soldat:innen unterstützen vor Ort Flüchtlinge auf der Flucht vor dem russischen Angriffskrieg
Joe Biden in Polen: Amerikanische Soldat:innen unterstützen vor Ort Flüchtlinge auf der Flucht vor dem russischen Angriffskrieg

Foto: AFP

Die Verunsicherung ist groß in Europa, dass Joe Biden sein im August geschnürtes Hilfspaket für die Ukraine von 24 Milliarden Dollar gegen republikanische Hardliner nicht durchbringen wird. Zudem erscheint die Annahme nicht unberechtigt, der Krieg zwischen der Hamas und Israel könne die Ukraine-Politik der USA negativ beeinflussen. Dennoch spricht manches dafür, dass sich daran selbst bei einem republikanischen Wahlsieg 2024 nicht viel ändern wird. Ein wesentlicher Grund liegt in der vom Mainstream in Washington verfolgten Gesamtstrategie, die einem übergreifenden Ziel gilt, das mit allen verfügbaren Mitteln erreicht werden soll: das Bewahren von „US -Primacy“ in der Welt. Nur dies ermögliche, so das Hauptargument seiner Verfechter, Kernziele umzusetzen, den Schutz des Landes ebenso wie seiner vitalen Interessen, den Erhalt offener globaler Märkte wie die Vermeidung eines Nuklearkrieges.

Seit über zehn Jahren verfolgen die USA eine „Pivot to Asia“-Strategie, ausgerufen von Barack Obama angesichts des rasanten Anwachsens chinesischer Machtressourcen und Pekings erklärtem Ziel, bis 2049 überall weltweit führend zu sein. Mittlerweile sehen die USA in China den Hauptrivalen für ihren Führungsanspruch. Entsprechend gilt das Land als größte strategische Herausforderung, während man in Russland bis 2021 einen nahen Konkurrenten („near competitor“) sah, mit dem man sich trotz aller Interessengegensätze arrangieren konnte. Dieses Herangehen – obwohl bereits seit der Krim-Annexion 2014 hinterfragt – endete mit dem russischen Angriff auf die Ukraine. Seither ist Moskau integraler Bestandteil einer auf China bezogenen Gesamtstrategie, die Russland als „unmittelbare und dauerhafte Bedrohung“ beschreibt und seinen Krieg gegen die Ukraine in eine „strategische Niederlage“ verwandeln will. Damit hätte es sich als Großmacht erledigt, wäre als enger Partner Chinas geschwächt und die Volksrepublik gleich mit. So verbindet Washington seinen Eindämmungskurs gegenüber Peking mit umfassenden Sanktionen und einem Höchstmaß an Militärhilfe für die Ukraine. Das Kalkül: Je länger der Krieg dauert, umso höher die Verluste Moskaus, desto instabiler und schwächer wird es sein. Daaus werde sich ein immer geringeres Unterstützungsniveau ergeben, auf das Peking mittel- und langfristig hoffen kann.

Höhere Kosten und Risiken

Der Ukraine soll dabei zum osteuropäischen Bollwerk der euro-atlantischen Welt ausgebaut werden, ähnlich der Rolle Israels in Nahost oder der Taiwans, Japans und Südkoreas in Asien. Europa ist zunächst einmal gehalten, sich selbst und die Ukraine stark aufzurüsten, möglichst mit US-Waffen – eine Forderung, die im Fall einer Eskalation des Nahost-Konflikts noch lauter werden dürfte. Zweitens wird Assistenz für die USA im Indopazifik erwartet. Indem Washington die euro-atlantische Region mit der indo-pazifischen durch ein dichtes Gewebe von Partnerschaften verknüpft, will es zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Russlands Imperialismus und Chinas Revisionismus, um den eigenen globalen Vorrang zu wahren.

Nur ist die angestrebte „strategische Niederlage“ Russlands so illusorisch wie ein von außen betriebener Regimewechsel. Moskau lässt sich nicht in den Ruin treiben, sondern richtet seine Ökonomie anders aus. Nicht nur der jüngste BRICS-Gipfel führte die Annahme ad absurdum, es ließe sich international isolieren, weder in Afrika, Asien oder Nahost. Der Vorstellung, China durch eine Niederlage Russlands entscheidend zu schwächen, um einer US-Dominanz zu dienen, liegt ein aus dem Kalten Krieg bekanntes Null-Summen-Denken zugrunde, wonach der Verlust des einen den Gewinn des anderen bedeutet. Tatsächlich fördert das die Kriegsgefahr.

Deutschland und Europa spielen bislang nur die Rolle des willfährigen Vasallen. Sie folgen dem US-Kalkül nahezu kritiklos und drohen zu Objekten eines amerikanisch-chinesischen „Great Games“ um globale Vorherrschaft zu werden. Den höchsten Preis bezahlt bisher die angegriffene Ukraine. Ob sie wirklich so lange durchhält, wie sich das US-Strategen erhoffen, ist ebenso fraglich wie die Bereitschaft in den Gesellschaften des Westens, die damit verbundenen Lasten zu tragen. Denn das Ringen um die Vorherrschaft kann noch viele Jahre dauern – je länger, desto höher die Kosten und Risiken für alle direkt und indirekt Beteiligten. Es ist daher höchste Zeit, diesen Irrweg zu verlassen und einer „Grand Strategy“ der USA nicht blind zu folgen.

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