Über das verkrampfte Verhältnis der Deutschen zu ihren jüdischen Mitmenschen
Verzweiflung „Im Großen und Ganzen hat der Deutsche Frieden geschlossen mit sich und dem Juden. Er spielt in seinem Alltag auch keine Rolle.“ Ertappt? Nein? Fein
Als ich das letzte Mal in Israel war, das war vor 20 Jahren, beziehungsweise als ich danach wieder nach München zog, da stellte ich Folgendes fest: Der Deutsche liebt entweder den Juden oder er mag ihn nicht. Dazwischen findet sich wenig. Er mag seine schöne, traurige Musik, aber lieber noch die fröhlichen Melodien verbrannter Städte, Dörfer, Menschen. Er trägt, in einer etwas späten, aber heute grenzenlosen Liebe, einen Davidstern um den Hals. Als Zeichen und Ausdruck seiner Verbundenheit.
Nicht nur, aber auch, weil er, irgendwo auf dem Dachboden in einem alten Karton in einem noch älteren Koffer, Dokumente einer jüdischen Urururgroßmutter gefunden hat. Zwar väterlicherseits, aber immerhin! Und irgendwie ist der Deutsche froh, dass er,
, dass er, wenngleich im Nachhinein, den Holocaust überlebt hat.Ganz wild wird es, wenn der Deutsche das Wort Israel hört. Da war er schon, da will er hin, das Wort löst in ihm Angst und Komplikationen aus. Er schleicht gebeutelt durch Yad Vashem, zittert, atmet schwer, kann nicht verstehen, was nicht verstanden werden kann. Nach dem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte geht er in eine Bar, in ein Café in Westjerusalem, weil er Hunger und Durst hat. Und kann kaum glauben, dass er beides noch verspürt, nach diesem Besuch!Auf zum See GenezarethAber irgendwas in ihm weiß, dass ihm sowohl der Hunger als auch der Durst zustehen. Und während er trinkt und isst, ist er randvoll mit Dankbarkeit jedem Israeli gegenüber (der ihm in diesen Stunden nur noch als Jude erscheint), der ihm nicht „Heil Hitler“ ins noch blasse Gesicht schreit oder gezielt vor seine Füße spuckt.Der Deutsche fährt auch gern zum See Genezareth. Dort schaut er stundenlang auf das Wasser und fragt sich, obwohl er weiß, dass dies keine Wissensfrage ist, wie der Jesus das bloß gemacht hat. Am Toten Meer, wo er sich am Vortag den Sonnenbrand seines Lebens geholt hat, wäre das ja noch irgendwie denkbar gewesen, aber hier … Aber egal, denn gleich geht es weiter nach Bethlehem. Und Bethlehem kennt der Deutsche wie seine Westentasche, siehe Weihnachtsgeschichte.Mancher Deutsche bleibt gleich länger und verschreibt sich sozialer Arbeit. Buße spielt dabei eine Rolle, die Faszination für die Landschaft, aber besonders die dankbare Erfahrung, dass die Israelis ihn wie einen Menschen behandeln. Obwohl er Fritz heißt. Und sein Vater noch Adi gerufen wurde. Zion kennt der Deutsche, siehe Religionsunterricht. Vom Zionismus weiß er eher nichts. Außer, dass es nur recht und billig ist, dass die Juden einen eigenen Staat haben.Das ist ja alles so kompliziert!Wo doch er, also nicht er persönlich, aber die anderen Deutschen, beziehungsweise die Nazis halt, Unverzeihliches verbrochen haben. Da kann er nicht noch an die anderen denken, die für alte Verbrechen heute leiden. Aber irgendwie ist es ihm schon auch arg. Andererseits: die Israelis werden schon wissen, was sie tun. Und selbst, denkt der Deutsche, hat er eine eigene Meinung dazu auf immer verwirkt, siehe Vater oder Opa Adi.Und ja, er weiß schon, dass das „alles sehr kompliziert ist“. Die Unausgeglichenheit der Situation kann er nicht sehen. Und überhaupt, er hat keine Ahnung, wie er Juden von Israelis trennen kann. Oder ob er das überhaupt darf.Wenn der Deutsche wieder in Deutschland ist, sucht er das nächstbeste Lokal mit „israelischer“ Küche auf. Dabei schmeckt ihm allein die arabische Küche. Gefillte Fisch mag er genauso wenig wie der marokkanischstämmige Jonathan, der ihn in dem netten Café in Jerusalem neulich so freundlich bedient hat; einen Tsholent kann er nicht buchstabieren und das mit der/die/das Kugel versteht er nicht.Manchmal ist er auch ein AntideutscherOder der Deutsche, wenn er das Wort Israel hört, verwechselt das angebliche Gleiche mit dem ganz anderen Selben, oder war es andersherum? Und wirft zusammen, was nicht zusammengehört, was aber auch einmal gesagt werden muss, weil „was die da unten machen, also das ist eine Sauerei“. Dabei schaut er so, als würde er nichts anderes als Zustimmung ertragen können. Manchmal ist der Deutsche auch ein Antideutscher. Und verdammt und mahnt vor unheilbringendem Nationalismus. Allerdings nur in seinem Land. Niemals aber im jüdischen Staat. Einen Widerspruch zwischen einer deutsche Pfuideifi und einer israelischen Hurraversion ein und derselben Pestilenz sieht er dabei nicht. Wo soll denn der sein, bitte? Und er verweist auf arrivierte Geschichtsbücher und zu diesem Thema nicht erschienene Artikel in der deutschen Presse.Dazwischen redet der Deutsche gerne über Muslime. Er nennt sie kulturfremd, nicht kompatibel mit dem christlich-jüdischen Abendland, dessen Wertevertreter er ist. Er ist sich in diesem Moment nicht bewusst, dass er ähnlich über Muslime spricht, wie sein Vater/Großvater über Juden gesprochen hat. Und dass es ein christlich-jüdisches Abendland gar nicht gegeben hat, ist ihm in dem Moment wurscht oder kann so nicht stimmen, siehe Bibel.Im Großen und Ganzen hat der Deutsche Frieden geschlossen mit sich und dem Juden. Er spielt in seinem Alltag eigentlich auch keine Rolle. Natürlich weiß er schon, dass der Jude, nicht nur in seinem Land, recht großen Einfluss auf die Politik hat. Und das Pelzgeschäft vorne am Eck … und die Anwälte … und Kulturschaffenden, aber bitte, das stört den Deutschen nicht. Also nicht mehr, und nicht wirklich. Nur manchmal. Obwohl, eigentlich nein.Außerdem freut er sich zu sehr auf die baldig wieder stattfindenden jüdischen Kulturtage. Da geht er hin mit erwartungsvollem Interesse und toleranter Herzlichkeit und denkt sich, „nein, hier nie wieder“.Für alles andere haftet er nicht.In jüdischen Suppenküchen gekochtZu meiner Person: Ich fuhr mit 19 zum ersten Mal nach Israel und mit Ende 20 das erste Mal nach Palästina. Hebräisch sprech’ ich leidlich, Arabisch mit Händen und Füßen. Die Sprache der Verhältnismäßigkeit, des Unrechts und der Menschenrechte kenne ich im Schlaf. Ich habe einen BA in Israeli Politics und einen MA in Jewish Diaspora and Hebrew Literature aus London. Ich habe volontiert bei der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem, bei einer winzigen palästinensischen Human Rights Group gearbeitet, war Teil von Machsom Watch, der Women in Black und war mit politischen Aktivisten demonstrieren gegen die – vom israelischen Gericht – als illegal bezeichnete Mauer. Ich kenne jedes Flüchtlingslager, in denen Palästinenser hausen.Ich habe zerstörte Häuser aufgebaut und zuschauen müssen, wie israelische Siedler mit Hilfe der Armee Häuser in der muslimischen Altstadt – in der ich wohnte – einnahmen. Ich habe in jüdischen Suppenküchen gekocht und mit Palästinensern Feuerholz für kalte Jerusalemer Nächte gesammelt. Und ich habe auch einen Polizisten kennengelernt, der mir den Mund verbieten wollte, „weil wir Deutschen unsere Heizungen noch mit Juden heizen“. Ich nahm daraufhin meinen internationalen Presseausweis und warf ihn in den Müll. Seitdem arbeite ich als Schriftstellerin über frühes Sterben, verhunzte Lebenund auch über Israel: Vom Scheitern einer Utopie. Jüngst in zweiter Auflage. Außer Vor- und Nachwort musste ich nichts ändern. Es wurde alles nur schlimmer.
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