Vor ein paar Jahren, als ich meine Söhne zur Schule begleitete, war da plötzlich dieser Gedanke: Ich halte sie jeden Tag an der Hand, aber eines Tages brauchen sie mich nicht mehr an ihrer Seite und wir werden diese körperliche Nähe verlieren. Ich beschloss, meinen Vater und meinen Großvater zu fotografieren, wie sie Hände halten – aber es war am Beginn der Pandemie, mein Großvater war 95 Jahre alt und wir wollten ihn schützen. Es sollte über ein Jahr dauern, bis wir ihn wieder treffen konnten.
Unterdessen fiel mir auf einem Spaziergang durch Sofia, wo ich lebe, ein Haus auf, das ich fotografieren wollte. Eine Frau kam aus dem Haus, die einen Mann im Rollstuhl schob. Ich nahm an, sie würden mich wegscheuchen, aber stattdessen zeigte mi
zeigte mir die Frau ein gerahmtes Bild eines jungen Mannes von etwa 30 Jahren. Sie sagte, er sei ihr einziger Sohn und vor acht Monaten gestorben. Sie fragte, ob ich ihren Mann mit dem Porträt fotografieren könne.Ich war sprachlos, es fühlte sich wie ein Zeichen an. Es war genau das Bild, das ich im Kopf hatte. Ich machte dieses Foto und dann das beabsichtigte Porträt von meinem Vater und Großvater. Kurz darauf starb mein Großvater. Es ist das einzige Bild, das mein Vater besitzt, auf dem nur sie beide zu sehen sind.Es war das erste Foto einer andauernden Serie. Bisher habe ich Väter und Söhne in Bulgarien, Georgien, der Türkei, Armenien und in den Westbalkanstaaten fotografiert. Viele leben weit voneinander entfernt. Manchmal macht eine ganze Community mit – jemand schlägt einen Nachbar vor, dessen Sohn in der Nähe ist, und sagt, vielleicht könnten wir sie zusammenbringen. Manche rufen an und bitten um ein Bild.Andere entstehen durch Zufallsbegegnungen. Mir ist es lieber, wenn ich mich den Leuten als Fremder nähern muss. Im Fall des hier abgebildeten Fotos war das so. Als ich durch Georgien reiste, sah ich die beiden am Straßenrand. Ich hatte nur eine Minute Zeit, um ihnen die Idee zu erklären und sie zu überzeugen. Als ich das Foto machte, hatte ich nur ein paar Sekunden, bevor ihnen die Situation unangenehm wurde. Es ist immer eine Herausforderung, einen Hintergrund zu finden, der für die Fotografierten eine Bedeutung hat, und die Authentizität dieser besonderen Geste zu erhalten.Es gibt von Land zu Land natürlich kulturelle Unterschiede und die Lücke zwischen den Generationen erscheint an Orten größer, die in jüngster Zeit Konflikte oder politische Systemwechsel erlebt haben.Es gibt viele Gründe, warum Väter und Söhne nicht teilnehmen möchten. Bei der älteren Generation ist es tendenziell eher das Empfinden, dass Männer keine Gefühle zeigen sollten. Bei den Söhnen Schüchternheit und Unbeholfenheit, die mit Stereotypen von Maskulinität und Offenheit zu tun haben. Wenn es Vätern und Söhnen so schwerfällt, sich an den Händen zu halten, wie schwer würde es erst Fremden fallen, denke ich mir.Ich schicke allen einen Abzug und manchmal bekomme ich im Gegenzug ihre Geschichte. Manche haben sich seit Jahrzehnten nicht mehr an den Händen gehalten, manche noch nie. In ein paar Fällen haben sich Beziehungen verändert, zum Besseren – sogar Entfremdungen wurden überwunden. Andere hatten zuvor schon eine enge Beziehung. Selbst die härtesten Kerle scheinen aber zu akzeptieren, dass Vater-Sohn-Verhältnisse irgendwie heilig sind: Sie haben etwas Unanfechtbares. Ich habe auch schon kostenlose Postkarten meiner Porträts verteilt, und viele können sich in diesen Bildern von Fremden selbst erkennen.Ich sehe all diese Bilder – selbst das meines Vater und Großvaters – als Ikonen, Stellvertreter von etwas Größerem als den einzelnen Individuen. Ich versuche, so viele Länder und Kulturen wie möglich einzubeziehen. Es würde mich nicht wundern, falls daraus eine lebenslange Reise wird.