Letzte Generation im Museum: Sichere Räume für unsichere Ideen

Gastbeitrag Der Konservierungswissenschaftler Stefan Simon erklärt, warum Museen mit Klimaaktivist*innen zusammenarbeiten sollten
Ausgabe 24/2023
Braver als die Suffragetten: Aktivistinnen der Letzten Generation kleben an einem Bild in der Gemäldegalerie in Berlin
Braver als die Suffragetten: Aktivistinnen der Letzten Generation kleben an einem Bild in der Gemäldegalerie in Berlin

Foto: Fritz Engel/Laif

Als ich vor einem Jahr von den Aktionen von Klimaktivist*innen in englischen Museen erfuhr, galt meine erste Überlegung der Frage, wie man den verwendeten Sekundenkleber bei Minimierung möglichst aller konservatorischer und gesundheitlicher Risiken von den Gemälderahmen entfernen kann. Dass Ähnliches auch in Deutschland passieren würde, war absehbar.

Vergleichen wir die Aktionen der Klimaaktivist*innen mit denen der Suffragetten-Bewegung in England Anfang des 20. Jahrhunderts, so war etwa der Angriff Mary Richardsons auf das Velazquez' Gemälde The Toilet of Venus (die Rokeby Venus) in der National Gallery 1914 ein wirklich dramatisches Signal dafür, dass die Women's Social and Political Union entschlossen war, gezielt auch kulturelle Einrichtungen ins Visier zu nehmen, um Frauen endlich ihr Wahlrecht zu sichern. Einer Geheimdienstquelle zufolge wurde bei einem Treffen militanter Kämpferinnen beschlossen, „die Gräueltaten auf Galerien und Museen fortzusetzen, bis kein einziges Bild mehr unversehrt in London zurückbleibt“. Auch außerhalb Londons kam es zu Anschlägen– 1913 wurden in der Manchester Art Gallery gleich 13 Bilder beschädigt.

Die Aktionen der Letzten Generation in den Museen nehmen sich demgegenüber geradezu rücksichtsvoll aus. Dennoch versteigen sich reichweitenstarke Medien in Deutschland zu wüsten Beschimpfungen, wie „Klima-Deppen“, „Klima-Chaoten“, „irrer Öko-Terror“, wenn es um die Letzte Generation geht. Sogar der Kanzler einer Bundesregierung, deren Bilanz im Kampf gegen die Klimakrise mehr als beklagenswert ist, hält die Aktionen der Letzten Generation für „völlig bekloppt“ – und mehr als 80 Prozent der Bundesbürger stimmen dieser Einschätzung Ende Mai 2023 zu.

Dass die Klebeaktionen in den Museen nicht auf ein enthusiastisches Echo stoßen, ist verständlich. Der eingetretene Schaden ist nicht nur materieller Natur. So wurden in Folge der Attacken in zahlreichen Museen die Personenkontrollen verschärft, ihre ohnehin knappen Ressourcen müssen die Kultureinrichtungen für mehr Aufsichten und in die Erweiterung ihrer Sicherheitsarchitektur investieren. Museen, die doch Orte des Willkommens sein wollen, haben ihre Besucher*innen aufgefordert, ihre Mäntel abzugeben – und das in einem Winter, in dem verbunden mit dem Notfallplan Gas die Raumtemperaturen spürbar abgesenkt wurden. Dies alles läuft dem Desiderat eines zugänglichen, offenen Museums zuwider.

Einige Sammlungen verbrauchen mehr Energie als ein Krankenhaus

Dennoch: Wir müssen konstatieren, dass Museen flächenbezogen zu den größten CO₂-Emittenten im urbanen Feld gehören. Untersuchungen an der Yale University belegen, dass der Energieverbrauch einiger Sammlungen sogar den eines Krankenhauses übersteigen kann. Grund dafür sind eine exzessive Klimatechnik und eng ausgelegte Feuchte- und Temperaturkorridore, die für die überwältigende Mehrheit der musealen Objekte zudem konservatorisch nicht notwendig sind. Dieser Zusammenhang ist durch die Forschung seit Jahrzehnten belegt. Wieviele tausend Tonnen CO₂ wurden seit Ende der 60er Jahre in Deutschland aus Museen in die Atmosphäre emittiert, ohne die Lebensdauer der uns anvertrauten Objekte spürbar zu verlängern?

Die Bizot-Gruppe, in der sich die großen Kunstmuseen der Welt zusammengeschlossen haben, empfahl zwar schon 2012 eine leichte Erweiterung des musealen Klimakorridors, zehn Jahre später folgte auch der Deutsche Museumsbund mit einer ähnlichen Empfehlung. Die Häuser aber, in denen selbst diese aus heutiger Sicht unzureichende Aufweitung umgesetzt wird, lassen sich immer noch an einer Hand abzählen. Wann verstehen wir, dass der Klimawandel nicht vor den Türen der Museen Halt machen wird?

Dem Kunstkritiker Waldemar Januszczak wird das Zitat zugeschrieben, wonach der Museumsneubau global kein Boom mehr sei, sondern eine Orgie. Offensichtlich wurden im noch jungen 21. Jahrhundert mehr Museen errichtet als im 19. und 20. Jahrhundert zusammen, eines klimafeindlicher als das andere. Dabei sollte doch allen seit langem klar sein, dass das beste Museum, welches man jetzt in der sich kontinuierlich verschärfenden Klimakrise bauen kann, das ist, auf dessen Bau man verzichtet.

Als liefen wir mit verbundenen Augen in ein Minenfeld

Wir befinden uns in einem für die Menschheit kritischen Jahrzehnt: Die vom Menschen verursachten globalen Treibhausgasemissionen und dadurch verursachten Erwärmungsraten sind auf ihrem höchsten historischen Niveau und es ist zu erwarten, dass die globale Erwärmung von 1,5 Grad Celsius bereits innerhalb der nächsten 10 Jahre erreicht oder überschritten wird, wenn keine Abkühlung durch große Vulkanausbrüche erfolgt. Was das für uns alle bedeuten kann, wird in immer mahnenderen Berichten vom IPCC beschrieben oder wie es die ehemalige Executive Secretary der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) Patricia Espinosa aus Mexico einmal formulierte: „Im Moment ist es so, als würden wir mit verbundenen Augen in ein Minenfeld laufen“. Sind wir uns dessen bewusst?

Die Aktivist*innen der Letzten Generation mit Sicherheit. Man kann den von ihnen gewählten Methoden durchaus kritisch gegenüberstehen. Direktor*innen von fast 100 großen Museen reagierten im Herbst 2022 mit „tiefster Erschütterung über die riskante Gefährdung“ der ihnen anvertrauten Objekte. Man kann diese Reaktion nachvollziehen. Demgegenüber warf die Letzte Generation die berechtigte Frage auf „Was ist mehr wert, Kunst oder Leben?“, und konstruierte damit einen Gegensatz, den die meisten Museumsmitarbeiter so nicht erkennen können oder wollen.

Auf Museumsneubauten verzichten

Es gibt Möglichkeiten, Energieeinsparungen in Museen vorzunehmen und Emissionen zu reduzieren: Neben dem Verzicht auf Neubauten und der stärkeren Nutzung des Bestands ist die Aufweitung von Klimakorridoren ein erster Schritt in die richtige Richtung, ist doch die Sorge um unsere Umwelt eine ganz natürliche Erweiterung der primären Funktion von Museen, ihre Sammlungen gut durch die Zeit zu bringen.

Am Internationalem Museumstag, am 21. Mai, haben acht deutsche Museen ihre Tore für Aktionen der Letzten Generation mit Dauerlesungen zur Klimakrise, Aktionstrainings oder künstlerischen Performances geöffnet: die Hamburger Kunsthalle, das Europäische Hansemuseum Lübeck, das Museum Ludwig Köln, das GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, das Deutsches Hygienemuseum Dresden, das Museum für Kommunikation Nürnberg, das Zeppelin-Museum Friedrichshafen und die Kunsthalle Rostock. Sie haben damit ihre Häuser im Sinn von Elaine Heumann Gurian als „sichere Räume für unsichere Ideen“ zur Verfügung gestellt und folgen damit auch der Kampagne #MuseumsAreNotNeutral.

Mein amerikanischer Kollege Lonnie Bunch, zu seinen Erfahrungen als Gründungsdirektor des National Museum of African American History and Culture (NMAAHC) befragt, antwortete: „Wir wollten ein Aktivistenmuseum sein. Wir wollten sagen, dass es nicht unsere Aufgabe ist, einen einzigen Standpunkt zu fördern, sondern Amerika besser zu machen. Unsere Aufgabe ist es, alle dunklen Ecken zu beleuchten – Dinge zu tun, die kontrovers sind, nicht um der Kontroverse willen, sondern Dinge zu tun, die wichtig sind, die den Menschen helfen, die den Menschen Wissen vermitteln, während sie sich mit diesen Dingen auseinandersetzen und diskutieren.“

Wenn Museen relevant und in Zeiten der globalen Klimakrise eine Agora für interessante Debatten werden oder bleiben wollen, müssen sie sich an den oben genannten Werten orientieren. Das Anliegen der Klimaaktivist*innen sollte unser aller Anliegen sein.

Stefan Simon ist seit 2005 Direktor des Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Als Gründungsdirektor des Institute for the Preservation of Cultural Heritage (IPCH) und Direktor der Global Cultural Heritage Initiatives an der Yale University, New Haven, CT (2014-2019) hat Simon vor allem die Entwicklung nachhaltiger Konservierungsstrategien priorisiert, angetrieben von der Debatte zur Klimakrise und dem „Grünen Museum“. Der Konservierungswissenschaftler ist seit 2010 Mit-Initiator einer gleichnamigen Veranstaltungsreihe in Deutschland.

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